Knaben mit verzögerter Pubertät (Hodenvolumen im Alter von 13,5 Jahren noch kleiner als 4 ml und verzögerte Genitalentwicklung) sind oft relativ klein und haben häufig erhebliche psychische Probleme im Umgang mit gleichaltrigen Mädchen und Jungen. Diese Pubertätsvariante tritt in vielen Fällen familiär gehäuft auf. Die Diagnostik ist auf die Erkennung seltener organischer endokrinologischer Störungen oder auf die eventuelle Verursachung durch schwere Allgemeinerkrankungen zu richten. Bei Knaben mit sogenannter konstitutionell verzögerter Pubertät muß dann in Abstimmung mit den Patienten und ihren Eltern entschieden werden, ob man abwartet oder eine Hormontherapie beginnt. Die Hormontherapie besteht in der Regel in dem Anstoß der Pubertät durch Injektion von 100 bis 250 mg Depot-Testosteron alle 4 Wochen, wodurch der pubertäre Wachstumsschub initiiert und meist auch die natürliche, vom Hypothalamus ausgehende Pubertät beschleunigt wird. Eine solche vorsichtig durchgeführte Therapie führt nicht zur Verringerung der auf Grund des Alters und des Knochenstatus des Knaben vorauszusagenden endgültigen Körpergröße. Bei Überdosierung von Testosteron kann es jedoch zum frühzeitigen Epiphysenschluß und trotz initialen Wachstumsschubs zu einer Verringerung der Endgröße kommen. Es ist gesichertes Wissen, daß der Epiphysenschluß mehr eine Funktion von Östrogenen als von Testosteron ist. Besonders eindrücklich wird dies belegt durch Männer, denen Östrogen-Rezeptoren infolge einer Genmutation fehlen, oder bei denen die Umwandlung von Testosteron in Östradiol durch die Mutation des Gens einer wichtigen Aromatase nicht funktioniert. Solche Männer erleben gar keinen oder einen sehr verspäteten Schluß der Epiphysen, wachsen bis etwa zum 30. Lebensjahr und haben eine schwere Osteoporose trotz normaler Testosteronwerte.
Vor diesem Hintergrund führten S. Wickmann et al. aus Helsinki und Göteborg folgende Studie an 35 Knaben mit verzögerter Pubertät durch, die eine entsprechende Kinderklinik mit Beratungs- bzw. Behandlungs-Wunsch aufgesucht hatten (Lancet 2001, 357, 1743). 10 Knaben entschieden sich, die normale Pubertät und den normalen Wachstumsschub abzuwarten. 23 Knaben wünschten eine Hormontherapie, von denen per Randomisierung 12 eine Testosteron-Therapie mit 6 mal 250 mg Testoviron Depot (Schering) alle 4 Wochen plus ein orales Plazebo für 12 Monate erhielten (Gruppe P). 11 Knaben erhielten die gleiche Testosteron-Therapie, statt des Plazebos aber 12 Monate lang täglich 2,5 mg Letrozol (Femar, Novartis; Gruppe L) für 12 Monate. Letrozol ist ein hochspezifischer Aromatase-Hemmer der 4. Generation, der die Umwandlung von Testosteron in Östradiol weitgehend blockiert.
Ergebnisse: Bei den unbehandelten Knaben nahm das Knochenalter in 12 Monaten um 1,1 ± 0,8 Jahre zu. In Gruppe P nahm es um 1,7 ± 0,9 Jahre zu. In Gruppe L nahm es nur um 0,09 ± 0,6 Jahre zu. Der Unterschied zwischen Gruppe P und L ist mit p = 0,03 signifikant. Besonders interessant sind Unterschiede in der vorausgesagten Endgröße in den verschiedenen Gruppen. Bei den unbehandelten Knaben änderte sich die vorausgesagte Endgröße aufgrund der Röntgenuntersuchungen der Knochen nicht signifikant (ca. 2 ± 4 cm Körpergröße). In Gruppe P änderte sie sich überhaupt nicht, während sie in Gruppe L signifikant um 5,1 ± 3,7 cm zunahm.
Die Therapie mit Testosteron bei Knaben mit konstitutionell verzögerter Pubertät erfolgt in der Regel überwiegend aus psychologischen Gründen, hat aber möglicherweise auch einen günstigen Effekt auf die maximale Knochendichte, die zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr erreicht wird. Man mag sich fragen, ob der Gewinn von 5 cm Körpergröße in Gruppe L eine solche Therapie rechtfertigt. Bei Knaben mit voraussichtlich geringer Endgröße ist diese Frage aber prinzipiell zu bejahen. Die Studie von Wickmann et al. vermittelt jedoch über den praktischen Wert hinaus wichtige Einblicke in die relative Rolle von Östrogenen und Androgenen bei der Knochenreifung und dem Skelettwachstum des Mannes und könnte auch für die Behandlung von Jugendlichen mit anderen Wachstumsstörungen richtungsweisend sein.
Fazit: Die Behandlung der verzögerten Pubertät und des verzögerten Wachstums bei Knaben mit Testosteron kann um eine zusätzliche Behandlung mit einem Aromatase-Hemmer erweitert werden, wodurch ein Östrogen-bedingter vorzeitiger Schluß der Epiphysenfugen verhindert werden kann.