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Tramadol erhöht das Risiko für schwere Hypoglykämien und Hyponatriämien

Tramadol als „schwaches Opioid“-Analgetikum wird zunehmend und vielfach nicht in Übereinstimmung mit therapeutischen Leitlinien bei Patienten mit muskulo-skelettalen und anderen nicht Tumor-bedingten Schmerzsyndromen verordnet (1). Mögliche Nebenwirkungen bei höherer Dosierung sind epileptische Anfälle, ein Serotonin-Syndrom (vgl. 6), verschiedene Interaktionen mit anderen Arzneimitteln (vgl. 9), Entwicklung von Abhängigkeit, Atemdepression und sogar Tod (1, 2).

Über zwei weitere mit dem Gebrauch von Tramadol assoziierte Nebenwirkungen wurde kürzlich aus der Arbeitsgruppe von Fournier et al. (Montreal, Kanada) berichtet (3, 4). Sie untersuchten verschiedene Fallmitteilungen in der Literatur über schwere Hypoglykämien bzw. Hyponatriämien in Zusammenhang mit der Einnahme von Tramadol, die besonders zu Beginn der Behandlung aufgetreten waren.

Fournier et al. führten zu beiden Symptomkomplexen umfangreiche Fall-Kontroll-Studien durch, basierend auf der Auswertung des „United Kingdom Clinical Practice Research Datalink“, verbunden mit der „Hospital Episodes Statistical Database“. Es wurden nur Patienten mit schweren Hypoglykämien und Hyponatriämien untersucht, die zu einer Aufnahme ins Krankenhaus geführt hatten.

Verglichen wurde die Inzidenz dieser beiden möglichen Nebenwirkungen bei Patienten, die entweder Tramadol oder Codein einnahmen. Der Grund dafür war, dass Patienten, die Codein einnehmen, in ihren klinischen Merkmalen den Tramadol einnehmenden Patienten ähnlicher sind und damit besser vergleichbar als ein allgemeines Kontroll-Kollektiv.

Hinsichtlich schwerer Hypoglykämien ergab sich folgendes: Die Odds ratio (OR) für Hypoglykämien allgemein bei Einnahme von Tramadol im Vergleich mit Codein war 1,52 (95%-Konfidenz-Intervall = CI: 1,09-2,1). In den ersten 30 Tagen nach Beginn der Einnahme der Analgetika war die OR allerdings höher: 2,61 (CI: 1,61-4,23). Dieser Unterschied zwischen Tramadol und Codein erwies sich auch in Untergruppen-Auswertungen als robust. Die absolute Inzidenz schwerer Hypoglykämien bei Einnahme von Tramadol war allerdings gering (< 5 Fälle/1000 Jahre). Die Dunkelziffer im ambulanten Bereich dürfte aber deutlich höher sein, besonders bei Diabetikern, denn bei ihnen werden sie in der Regel auf die Wirkung von Antidiabetika zurückgeführt. Der Mechanismus der Hypoglykämien unter Tramadol ist noch nicht klar. Auch in Tierexperimenten wurden Hypoglykämien beobachtet (1).

In einer methodisch identischen Arbeit wurde von Fournier et al. (4) die Inzidenz von Krankenhausaufnahmen wegen Hyponatriämie unter Tramadol- mit denen unter Codein-Therapie verglichen. Sie war unter Tramadol um den Faktor 2 höher (Hazard-Ratio = HR: 2,05; CI: 1,08-3,86). Wurden Patienten nicht berücksichtigt, bei denen vor der Einnahme dieser Schmerzmittel bereits Hyponatriämien zu einer Krankenhausaufnahme geführt hatten, dann war die HR für Tramadol mehr als dreifach höher als unter Codein (HR: 3,54; CI: 1,32-9,54). Die Pathogenese von Hyponatriämien unter Tramadol ist plausibel. Ähnlich wie Antidepressiva vom Typ der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) blockiert Tramadol im Gehirn die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin in die Zellen. Das ist einer der Mechanismen, über die Tramadol Schmerzen reduziert (1). Über diesen Mechanismus, wie über die partielle Blockade des µ-Opioid-Rezeptors im ZNS, kann Tramadol die Vasopressin (ADH)-Sekretion enthemmen und zum Syndrom der Inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) führen (5; vgl. 7). Antidepressiva vom SSRI-Typ können dieses Syndrom auch verursachen.

Fazit: Tramadol wird zunehmend bei Schmerzsyndromen verschrieben, die eigentlich mit anderen Analgetika behandelt werden sollten. Neben vielen anderen bedrohlichen Nebenwirkungen, besonders der Entwicklung von Abhängigkeit und – bei Höherdosierung – von Atemdepression und Todesfällen wurde jetzt über das erhöhte Risiko für schwere Hypoglykämien und Hyponatriämien (im Vergleich mit Patienten, die Codein einnehmen) berichtet. Die Verschreibung von Tramadol sollte bei Patienten ohne fortgeschrittene Tumorerkrankung nach ähnlich restriktiven Kriterien wie bei anderen Opioiden erfolgen (vgl. 8, 10).

Literatur

  1. Nelson, L.S.,und Juurlink, D.N.: JAMA Intern. Med. 2014, 175, 194. Link zur Quelle
  2. Babalonis,S., et al.: Drug Alcohol Depend. 2013, 129, 116. Link zur Quelle
  3. Fournier,J.P., et al.: JAMA Intern. Med. 2014, 175,186. Link zur Quelle
  4. Fournier,J.P., et al.: Am. J. Med. 2014, 128, 418. Link zur Quelle
  5. Raffa,B., et al.: J. Pharmacol. Exp. Ther. 1992, 260, 275. Link zur Quelle
  6. AMB2013, 47, 43. Link zur Quelle
  7. AMB2011, 45, 01. Link zur Quelle AMB 2011, 45, 89. Link zur Quelle AMB 2006, 40, 92. Link zur Quelle
  8. AMB2014, 48, 85. Link zur Quelle
  9. AMB2011, 45, 65. Link zur Quelle
  10. Häuser, W., etal.: Dtsch. Arztebl. Int. 2014, 111, 732. Link zur Quelle