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Pegylierte Alfa-Interferone in der Behandlung der HBeAg-negativen und der HBeAg-positiven chronischen Hepatitis B

Zusammenfassung: Im Prinzip sollte man bei allen Patienten mit chronischer Hepatitis B (HBeAg-negative und HBeAg-positive) in erster Linie Substanzen einsetzen, die zumindest die Potenz einer endgültigen Viruselimination haben. Dieses Ziel kann zurzeit nur mit Interferonen, vorzugsweise mit pegylierten, nicht aber mit Nukleosid-Analoga erreicht werden. Man sollte sich also nicht durch die massiven Werbekampagnen für neue Nukleosid-Analoga irritieren lassen und zunächst bei allen Patienten mit chronischer Hepatitis B prüfen, ob eine Interferon-Monotherapie möglich ist. Wie schon früher wurde auch jetzt wieder gezeigt, dass bei chronischer Hepatitis B die Kombination von Interferonen mit Nukleosid-Analoga keine Vorteile hat. Eine Therapie mit Nukleosid-Analoga bei chronischer Hepatitis B sollte bei speziellen Indikationen erfolgen und unter der Kontrolle durch Spezialisten. Die Empfehlungen zur Behandlung der chronischen Hepatitis B haben sich seit unserer letzten Übersicht (14) gewandelt und sind durch neue Substanzen und Studienergebnisse konkreter geworden.

Die chronische Hepatitis B ist ein weltweites Gesundheitsproblem mit über 400 Millionen Betroffenen (1). Patienten mit chronischer Hepatitis B haben ein erhöhtes Risiko für Leberzirrhose und Leberkrebs. Die chronische Hepatitis B ist neben der chronischen Hepatitis C eine der Hauptursachen für das hepatozelluläre Karzinom, das in Nordamerika und in Europa die größte Zuwachsrate aller soliden Tumoren in den letzten Jahren hat.

Gerade hinsichtlich einer Prävention des hepatozellulären Karzinoms ist die Behandlung von Patienten mit chronischer Hepatitis B und besonders auch von Patienten mit HBeAg-negativer chronischer Hepatitis B sehr wichtig (2), zumal die Zahl der Patienten mit HBeAg-negativer chronischer Hepatitis B weltweit zunimmt (3, 14). Bisher waren die Aussichten für diese Patientengruppe gering, das Virus endgültig zu eliminieren (HBsAg wird negativ, anti-HBs-Antikörper werden positiv = Serokonversion). Gewisse Fortschritte in der Behandlung der chronischen Hepatitis B sind zwar durch die Entwicklung von Nukleosid-Analoga gemacht worden (4, 5), das Hauptziel, die Serokonversion, wird durch diese Therapie aber fast nie erreicht. Zwar unterdrückt die Therapie mit Lamivudin messbar die Virusreplikation im Blut, nach Absetzen des Medikaments kommt es jedoch häufig zu erneuter Virusvermehrung. Diese Therapie muss also in der Regel dauerhaft fortgeführt werden. Die Langzeittherapie ist jedoch wegen der hohen Resistenzrate problematisch: So treten nach fünf Jahren Therapie bei bis zu 65% der Patienten sogenannte YMDD-Mutationen der HBV-Polymerase auf, die das Medikament wirkungslos machen (6). Während bei Patienten mit HBeAg-positiver Hepatitis B die Behandlung mit nicht pegyliertem Interferon alfa zu einer dauerhaften Elimination des Virus führen kann und die Langzeitprognose dieser Patienten deutlich verbessert (7), konnte dies bei Patienten mit HBeAg-negativer chronischer Hepatitis B mit dieser Therapie viel schlechter erreicht werden (8).

Seit einigen Jahren sind für die Behandlung der chronischen Hepatitis C pegylierte Alfa-Interferone zugelassen. Durch die Anheftung von Polyethylenglykol-Molekülen, im Falle von Peginterferon alfa-2a durch das Anheften eines verzweigten 40-kD Polyethylenglykol-Moleküls, wird erreicht (9), dass der Serumspiegel des Medikaments während des Dosierungsintervalls konstant im effektiven Bereich bleibt. Dies führte zu einer effektiveren Behandlung der chronischen Hepatitis C (10) und der HBeAg-positiven chronischen Hepatitis B (11). Darüber hinaus haben diese Peginterferone den Vorteil, dass sie nur noch einmal und nicht dreimal in der Woche gespritzt werden müssen.

HBe-Ag-negative chronische Hepatitis: In einer kürzlich vorgelegten Studie wurde die Wirksamkeit der Therapie mit Peginterferon alfa-2a allein, Lamivudin allein und mit einer Kombination der beiden bei Patienten mit HBeAg-negativer chronischer Hepatitis untersucht (12). Es handelte sich um eine multizentrische, internationale, prospektive, randomisierte Studie mit insgesamt 537 Patienten. Die Studienpatienten waren Erwachsene, die mindestens seit sechs Monaten HBeAg-negativ und anti-HBe-Antikörper- sowie HBsAg-positiv sein mussten. Der HBV-DNS-Gehalt im Blut betrug bei allen Patienten über 100 000 Kopien/ml, und die SGPT (ALAT) war mindestens um das Doppelte und höchstens um das Zehnfache des oberen Normalwerts erhöht. Es musste bei allen Patienten eine Leberbiopsie aus den letzten 24 Monaten vorliegen, die die histopathologischen Kriterien einer chronischen Hepatitis erfüllte, aber keine Zirrhose zeigte. Die HBV-DNS-Bestimmungen wurden in Referenzlaboren durchgeführt, die anderen Werte wurden in den Studienzentren erhoben. Die Studienzentren wurden offensichtlich streng überprüft, denn alle neun Patienten aus einem Zentrum, in dem Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung auftraten, wurden ausgeschlossen. Die Patienten bekamen Standarddosierungen der Medikamente (Peginterferon alfa-2a = Pegasys® 180 µg einmal pro Woche s.c., Lamivudin = Zeffix® 100 mg/d oral) 48 Wochen lang. Die Nachbeobachtungszeit betrug 24 Wochen. Erwartungsgemäß traten UAW (Fieber, Glieder- und Muskelschmerzen, Kopfschmerzen) häufiger in den Gruppen mit Interferon auf als in der Gruppe mit Lamivudin allein. In der Studie kam es bei 26 Patienten zu insgesamt 27 schwereren UAW: neun (5%) bei Patienten in der Gruppe mit Peginterferon alfa-2a Monotherapie, zwölf (7%) bei Patienten mit Peginterferon alfa-2a plus Lamivudin und fünf (3%) bei Patienten mit Lamivudin alleine. Insgesamt war die Abbruchrate gering.

Nach Abschluss der Therapie (48 Wochen) war der Prozentsatz mit normalisierten Transaminasen am höchsten in der Lamivudin-Gruppe (s. Tab. 1). 24 Wochen nach Absetzen der Medikation allerdings war der Prozentsatz mit normalen Leberwerten in der Peginterferon-Gruppe am höchsten (p = 0,004). Das virologische Ansprechen (HBV-DNS < 400 Kopien/ml) war nach Abschluss der Therapie am besten in der Kombinationsgruppe. Allerdings zeigte sich auch hier, dass 24 Wochen nach Absetzen der Therapie sich die alleinige Gabe von Peginterferon nicht mehr von der Kombinationsgruppe (Peginterferon plus Lamivudin) unterschied. Dabei sind die beiden Gruppen, in denen die Patienten Peginterferon bekommen haben, deutlich besser als die Gruppe, die Lamivudin allein erhaltenen hat (p < 0,001). 24 Wochen nach Absetzen der Therapie war bei insgesamt zwölf Patienten das HBsAg eliminiert worden. Eine komplette Serokonversion (HBsAg-negativ, HBs-Antikörper-positiv) zeigten acht Patienten am Endpunkt der Studie; alle waren mit Peginterferon alfa-2a behandelt worden. Keiner der Patienten in der Gruppe, die nur Lamivudin bekommen hatten, wurde HBsAg-negativ oder erreichte die Serokonversion. Aus den Studien mit konventionellem Interferon alfa bei Patienten mit HBeAg-positiver chronischer Hepatitis B kann abgeleitet werden, dass im Verlauf der nächsten Jahre die Zahl der Serokonversionen in den Gruppen, die mit Peginterferon behandelt wurden, noch ansteigt (7). Das histologische Ansprechen, gemessen 24 Wochen nach Ende der Therapie, war in den drei Gruppen nicht signifikant unterschiedlich und korrelierte mit dem biochemischen und virologischen Ansprechen. YMDD-Mutationen wurden bei 32 (18%) der 179 Patienten nach einem Jahr Behandlung mit Lamivudin gefunden. In der Kombinationsgruppe trat nur eine Mutation auf. Ohne eine Behandlung mit Lamivudin kam es nicht zu diesen Mutationen.

HBeAg-positive chronische Hepatitis B: In eine aktuelle Studie zur HBeAg-positiven chronischen Hepatitis B wurden 307 HBeAg- und HBsAg-positive Patienten (HBsAg > 6 Monate positiv) eingeschlossen (13). In die Endauswertung kamen 266 Patienten, von denen 130 eine Kombinationstherapie aus pegyliertem Interferon alfa-2b (PegIntron®; 100 µg/Woche in den Wochen 1-31 und 50 µg/Woche in den Wochen 32-52) plus Lamivudin (100 mg/d) sowie 136 Patienten, die eine Monotherapie mit pegyliertem Interferon alfa-2b (100 µg/Woche in den Wochen 1-31 und 50 µg/Woche in den Wochen 32-52) plus Plazebo erhalten hatten.

Analog zur Therapiestudie bei Patienten mit HBeAg-negativer chronischer Hepatitis B (12) zeigt sich auch in dieser Studie kein anhaltender Vorteil für die Kombinationstherapie (s. Tab. 2). Eine Leberbiopsie am Ende der Studie war optional und wurde bei 110 Patienten durchgeführt. Die Auswertung dieser Patienten ergab keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Die HBeAg-Elimination und die Serokonversion waren in beiden Gruppen nicht unterschiedlich; es gab auch keinen Unterschied im Hinblick auf die Normalisierung der Transaminasen. Hinsichtlich des viralen Ansprechens, gemessen an der Unterdrückung der Virusreplikation im peripheren Blut (HBV-DNA < 200 000 bzw. < 400 Kopien/ml), bringt Lamivudin, wie erwartet, einen Vorteil solange es eingenommen wird (s. Tab. 2). Sobald die Behandlung mit Lamivudin aber unterbrochen wird, kommt es zum Wiederaufflackern der Virusreplikation, und der Effekt ist nicht mehr nachweisbar. Innerhalb des Beobachtungszeitraums wurde bei ca. 7% der Patienten eine HBsAg-Serokonversion erzielt, was als Endziel der Behandlung gilt. Die Erfahrung aus Studien mit konventionellem Interferon lässt vermuten, dass die Zahl der HBsAg-Serokonversionen auch Jahre nach einer Therapie mit pegyliertem Interferon alfa noch deutlich ansteigt, was insgesamt als prognostisch günstig gewertet werden muss (7).

Literatur

  1. Lai, C.L., et al.: Lancet 2003, 362, 2089.
  2. Lavanchy, J.: J. Viral Hepat. 2004, 11, 97.
  3. Funk, M.L., et al.: J. Viral Hepat.2002, 9, 52.
  4. Lai, C.L., et al.: N. Engl. J. Med. 1998, 339, 61.
  5. AMB 1998, 32, 78b.
  6. Lok, A.S.F., et al.: Gastroenterology 2003, 125, 1714.
  7. Niederau, C., et al.: N. Engl. J. Med. 1996, 334, 1422.
  8. Oliveri, F., et al.: Am. J. Gastroenterol. 1999, 94, 1366.
  9. Perry, C.M., und Jarvis, B.: Drugs 2001, 61, 2263.
  10. Zeuzem, S., et al.: N. Engl. J. Med. 2000, 343, 1666.
  11. Cooksley, W.G.E., et al.: J. Viral Hepat. 2003, 10, 298.
  12. Marcellin, P., et al.: N. Engl. J. Med. 2004, 351, 1206.
  13. Janssen, H.L.A., et al.: Lancet 2005, 365, 123.
  14. AMB 2001, 35, 41.

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