Prof. Dr. M.A. aus Bremerhaven und Prof. Dr. G.K. aus Bremen schreiben zu unserem Artikel (1): >> Vieles an der Sortis®-Kampagne der Firma Pfizer mag man fragwürdig finden. Die Empörung sollte im ARZNEIMITTELBRIEF aber nicht die Seriosität der Darstellung möglicher praktischer Konsequenzen aus Studien beeinträchtigen. So haben Sie es versäumt, darauf hinzuweisen, dass nach wie vor für Pravastatin die zugelassene tägliche Maximaldosis nur 40 mg, für Atorvastatin dagegen 80 mg beträgt. Es können also im Analogieschluss aus PROVE IT nach akutem Koronarsyndrom 80 mg Atorvastatin durch 80 mg Pravastatin nur als Off-label-use und mit – soweit wir bisher wissen – erhöhtem Myopathierisiko ersetzt werden, um eventuell eine gleichstarke LDL-Senkung wie unter 80 mg Atorvastatin zu erreichen. Bei der aktuellen Datenlage wäre die klügere Entscheidung des Bundesausschusses daher eine Ausnahmeregelung für Atorvastatin in hoher Dosierung nach akutem Koronarsyndrom gewesen. EUROASPIRE und andere Studien haben eine massive Unterversorgung gerade von kardiovaskulären Hochrisikopatienten belegt. Wollen wir dem trügerischen Reiz von „Buy now pay later” entgehen, sind bei dieser wie bei anderen vorgesehenen Sparmaßnahmen vorlaufende, zumindest aber begleitende Studien mit harten Endpunkten zu fordern. Sehr viele der hierzu notwendigen Daten werden fortlaufend von den Kassen dokumentiert, aber unverständlicherweise kaum evaluiert. <<
Antwort: >> Wir stimmen völlig mit Ihrer Bewertung des Datenschatzes überein, der in den Unterlagen der Krankenkassen schlummert. Aus den Abrechnungen der Krankenhausaufenthalte (DRG-System), Rehabilitationen, Arztbesuchen und Medikamentenverordnungen könnte man auch in Deutschland Patientenprofile und Register erstellen, aus denen die Compliance der Ärzte an die Leitlinien und der Patienten an die Verordnungen zu sehen ist, darüber hinaus aber auch, welche Maßnahme welchen Effekt hat. Man müsste dazu die Behandlungsdaten in zeitlicher Folge auflisten und dann sehen, wie viel länger und besser die leitliniengerecht behandelten Patienten gelebt haben im Vergleich zu den nicht leitliniengerecht behandelten. Man könnte auch sehen, wo die effektivste Medizin gemacht wird. Vielleicht könnte man auch zur Häufigkeit schwerer Nebenwirkungen vergleichende Informationen erhalten, die im Übrigen fehlen. Es ist wirklich erstaunlich, dass diese Art der Versorgungsepidemiologie nur in wenigen lokalen Initiativen oft ohne Unterstützung der Krankenkassen betrieben werden kann.
Nun zur Sortis®-Werbekampagne der Firma Pfizer in der Tagespresse. Dort wurde behauptet, Sortis® sei der beste Cholesterinsenker. In diesem Fall verstoße die Festbetragsregelung gegen das Gesetz. Die Kampagne wurde mittlerweile nach gerichtlicher Entscheidung abgebrochen und mit einem Bußgeld von 25000 EUR belegt. Das wird die Firma sicher anstandslos zahlen, denn es geht um viele hundert Umsatzmillionen. Diese können ohne Preisbegrenzung weiter erreicht werden, aber nur, wenn die Ärzte weiter verordnen und die Patienten aus eigener Tasche bezahlen. Bevor sie das allerdings tun, sollten sie Folgendes bedenken:
1. Alle Statine haben bei gleichem Risikoprofil der Patienten die gleiche prophylaktische Wirkung, wenn der gleiche LDL-Wert erreicht wird. Der für die sekundäre Prävention empfohlene LDL-Richtwert (< 100 mg/dl) kann in aller Regel auch mit den Standard-Dosierungen anderer Statine erreicht werden.
2. Die Häufigkeit von Nebenwirkungen ist bei starker (z.B. > 30%) Cholesterinsenkung am höchsten. Auch nach der PROVE-IT-Studie war die Nebenwirkungsrate der Hochdosis-Therapie höher, der positive Effekt der LDL-Senkung unter 100 mg/dl aber vergleichsweise gering (2). Der Quotient aus Wirkung und Nebenwirkung ist für den Hochdosis-Bereich völlig unbekannt.
3. Der Gebrauch zur „Primärprävention” ist für Atorvastatin, Pravastatin und Lovastatin gut belegt. Die prophylaktische Wirksamkeit von Pravastatin und Simvastatin ist bei Patienten mit nachgewiesener Arteriosklerose, also zur Sekundärprävention, auch gut dokumentiert. Die PROVE-IT-Studie betraf nur Patienten mit akutem Koronarsyndrom (2). Selbst in diesem schmalen Indikationssegment wurde die koronare Sterblichkeit trotz Intensivtherapie mit 80 mg Atorvastatin/d nicht signifikant gesenkt. Im Indikationskatalog für Sortis® kommt die sekundäre Prävention bei nachgewiesener Arteriosklerose generell nicht vor.
4. Wenn in sehr seltenen Einzelfällen Intensivtherapie einer LDL-Erhöhung notwendig ist, wird man die Kosten für die Kombinations- oder Hochdosis-Therapie ohne Sortis® begründen können. <<
Literatur
- AMB 2004, 38, 94b.
- Cannon, C.P., et al. (PROVE IT = PRavastatin or AtOrVastatin Evaluation and Infection Therapy): N. Engl. J. Med. 2004, 350, 1495.