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Bei asymptomatischer Hyperurikämie wird zu häufig Allopurinol verordnet

Klinische Pharmakologen aus Mailand, Italien, berichten im JAMA über schwere bis schwerste Hautreaktionen nach Allopurinol bei zehn Patienten, die innerhalb eines Jahres aufgetreten waren (1). Bei einer ausführlicher besprochenen Indexpatientin handelte es sich um eine 81-jährige, gesund erscheinende Frau, der wegen einer gering erhöhten Serum-Harnsäure-Konzentration von 6,6 mg/dl Allopurinol (150 mg/d) verordnet worden war. Wenige Stunden nach Einnahme der ersten Dosis entwickelte sich eine schwerste Hautreaktion vom Hypersensitivitäts-Typ (vgl. 2), an der die Patientin wenige Tage später im Krankenhaus starb. Bei sechs der zehn dem Pharmakovigilanz-Zentrum der Lombardei gemeldeten ähnlichen, aber nicht tödlich verlaufenden Nebenwirkungen, war Allopurinol ohne strenge Indikation wegen asymptomatischer Hyperurikämie von < 10 mg/dl verordnet worden.

Die nicht-evidenzbasierte Verordnung von Allopurinol scheint international ein Problem zu sein. Dies zeigen Erhebungen der General Practise Research Database (GPRD) aus Großbritannien (3). Von 471 „Patienten“ mit Hyperurikämie, die entsprechend einem „quality indicator“ nicht behandlungsbedürftig waren, erhielten 267 eine Verordnung von Allopurinol. Der „quality indicator“ war in dieser Studie folgendermaßen definiert: Wenn ein Patient keine Anamnese hat von 1. Gichtarthritis oder Tophi, 2. Nephrolithiasis oder Hyperurikosurie und 3. nicht aktuell wegen einer malignen Krankheit behandelt wird, sollte keine Therapie bei asymptomatischer Hyperurikämie erfolgen, denn derzeit gibt es dafür keine allgemein akzeptierte Indikation.

Nach Ansicht von C. Carnovale et al. (1) gibt es jedoch drei evidenzbasierte Indikationen für die medikamentöse Behandlung einer asymptomatischen Hyperurikämie:

  • Eine persistierend auf > 13 mg/dl erhöhte Harnsäure im Serum bei Männern und > 10 mg/dl bei Frauen wegen des Risikos einer akuten oder chronischen Harnsäure-Nephropathie (4-6),
  • Eine Harnsäureausscheidung über 1100 mg/d wegen des hohen Risikos einer Harnsäure-Urolithiasis (nur Xanthinoxidase-Hemmer),
  • Prophylaktisch vor einer onkologischen Chemo- oder Radiotherapie zur Vermeidung einer Harnsäure-Nephropathie.

Hinsichtlich des Grenzwerts der Serum-Harnsäure, oberhalb dessen asymptomatische Patienten außer mit diätetischen Maßnahmen mit Medikamenten behandelt werden sollten, gibt es jedoch unterschiedliche Meinungen. In den „Arzneiverordnungen“ wird beispielsweise eine Interventionsindikation bei Werten > 9 mg/dl gesehen, da sich im Laufe der Zeit nahezu immer eine Gicht manifestiert (7).

Es ist unbestritten, dass nach einem ersten oder wiederholten Gicht-Anfall die Konzentration der Harnsäure im Serum mit Xanthinoxidase-Hemmern oder Urikosurika dauerhaft auf < 6 mg/dl gesenkt werden sollte.

Die Inzidenz von Allopurinol-Hypersensitivitäts-Syndromen (Haut, seltener Nephritis) wird mit 0,1-1% angegeben (1). Das ist angesichts der auch in Deutschland sehr wahrscheinlich zu häufigen und zu hoch dosierten Verordnung von Allopurinol klinisch bedeutsam. Allopurinol sollte bei Lebererkrankungen sehr zurückhaltend und bei Niereninsuffizienz unbedingt in niedriger Dosis, d.h. der glomerulären Filtrationsrate angepasst, oder nur zwei- bis dreimal pro Woche eingenommen werden. Der neuere Xanthinoxidase-Hemmer Febuxostat hat ebenfalls klinisch bedeutsame Nebenwirkungen, z.T. ähnliche Hypersensitivitäts-Syndrome wie Allopurinol (8, 9, vgl. 10).

Fazit: Die Verordnung von Allopurinol schon bei asymptomatischer Hyperurikämie zwischen 6,5 bis ca. 9 mg/dl setzt „Patienten“ einem nicht unerheblichen Risiko für schwerwiegende Hypersensitivitätsreaktionen aus. Allopurinol ist in Europa die häufigste arzneimittelbedingte Ursache für ein Stevens-Johnson-Syndrom bzw. eine toxische epidermale Nekrolyse (7, 11).

Literatur

  1. Carnovale,C., et al.: JAMA published online, 5. Mai 2104. Link zur Quelle
  2. AMB2011, 45, 46 Link zur Quelle . AMB 2013, 47, 95a. Link zur Quelle
  3. Mikuls,T.R., et al.: Rheumatology 2005, 44, 1038. Link zur Quelle
  4. Bellomo,G.: World J. Nephrol. 2013, 2, 17. Link zur Quelle
  5. Kjellstrand, C.M.,et al.: Arch. Intern Med. 1974, 133, 349. Link zur Quelle
  6. Dincer,H.E., et al.: Cleve. Clin. J. Med. 2002, 69, 594. Link zur Quelle
  7. Arzneiverordnungen.Medizinische Medien Informations GmbH. 22. Auflage 2009. S. 1064.
  8. Faruque,LI., et al.: Semin.Arthritis Rheum. 2013, 43,367. Link zur Quelle
  9. Ye,P., et al.: Clin. Ther. 2013, 35, 180. Link zur Quelle
  10. AMB 2006, 40, 19 Link zur Quelle. AMB 2010, 44, 61a. Link zur Quelle
  11. Mockenhaupt, M., et al. (EuroSCARE =Severe Cutaneous Adverse Reactions): J. Invest. Dermatol.2008, 128, 35. Link zur Quelle