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Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arzneimitteltherapie bei Herzinsuffizienz?

In klinischen Studien zu Arzneimitteln sind Frauen häufig unterrepräsentiert (1, 2), dabei haben viele Arzneimittel bei Frauen und Männern eine unterschiedliche Pharmakodynamik und -kinetik (3). Trotzdem werden in Leitlinien für Frauen und Männer gleiche Dosierungen von Arzneimitteln empfohlen. So wird beispielsweise zur Therapie der Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) empfohlen, Angiotensin-Converting-Enzym-Hemmer (ACE-H), Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker (AT-II-RB) und Betablocker (BB) bei Männern und Frauen bis zu derselben Zieldosis bzw. maximal tolerierten Dosis aufzutitrieren (4). Pharmakokinetische Untersuchungen haben ergeben, dass bei gleicher Dosis die maximalen Plasmakonzentrationen aller drei Wirkstoffklassen bei Frauen bis zu 2,5-mal höher sind als bei Männern.

Nun wurde in einer Studie untersucht, ob sich die optimale Dosierung dieser Arzneimittel in der Behandlung der HFrEF hinsichtlich klinischer Endpunkte bei Frauen und Männern unterscheidet (5). Hierzu führten die Autoren eine Post-hoc-Analyse von BIOSTAT-CHF durch, einer prospektiv und multizentrisch in elf europäischen Ländern durchgeführten Beobachtungsstudie, in die 2.516 Patienten mit einer suboptimalen Therapie einer HFrEF eingeschlossen wurden (keine ACE-H, AT-II-RB und BB oder ≤ 50% der empfohlenen Dosis; 6). Die behandelnden Ärzte wurden ermutigt, die Medikation der Patient(inn)en innerhalb von drei Monaten nach Einschluss in die Studie zu optimieren, durch Neuverordnung oder Auftitrierung der Arzneimittel (Optimierungsphase). Die tatsächlich verordneten Dosierungen wurden nach drei und nach neun Monaten erhoben und als Prozentsatz der in Leitlinien empfohlenen Dosierung dokumentiert.

In die vorliegende Post-hoc-Analyse von BIOSTAT-CHF wurden nur Patienten mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) ≤ 40% eingeschlossen. Patienten, die innerhalb der ersten drei Monate starben, wurden ausgeschlossen. Der primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus der Zeit bis zum Tod jeglicher Ursache und Krankenhausaufnahme wegen Herzinsuffizienz. Die Nachbeobachtungszeit für diesen Endpunkt betrug im Median 21 Monate.

Ergebnisse: Von 1.819 Patienten mit einer LVEF ≤ 40% starben 109 innerhalb der ersten drei Monate, so dass die Daten von 1.710 Patienten analysiert wurden. Davon waren 402 (24%) Frauen. Sie waren im Durchschnitt älter als die Männer (74 vs. 70 Jahre), kleiner (162 vs. 174 cm) und wogen weniger (72 vs. 85 kg); der Body-Mass-Index war aber fast gleich (27,3 vs. 27,9 kg/m2).

Eine ähnliche Zahl von Männern und Frauen erreichte die in den Leitlinien empfohlenen Zieldosierungen von ACE-H oder AT-II-RB (25% vs. 23%) und BB (14% vs. 13%). Bei Männern bestand das niedrigste Risiko für Tod oder Krankenhausaufenthalt wegen Herzinsuffizienz bei der vollen empfohlenen Dosis von ACE-H, AT-II-RB und BB. Dagegen zeigte sich bei Frauen bei der Hälfte der empfohlenen Dosen das niedrigste Risiko für den primären Endpunkt, ohne weitere Verminderung des Risikos bei höheren Dosierungen. Diese Geschlechtsunterschiede waren nach Adjustierung für verschiedene klinische Parameter weiter vorhanden, darunter Alter und Körperoberfläche. Bei beiden Geschlechtern bestand das höchste Risiko für Tod oder Krankenhausaufenthalt wegen Herzinsuffizienz, wenn sie weder ACE-H, AT-II-RB oder BB einnahmen.

Die Ergebnisse wurden mit einer Analyse der ASIAN-HF-Registerstudie validiert, einer prospektiven Beobachtungsstudie in 11 asiatischen Ländern mit 5.276 Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz und LVEF ≤ 40%. Bei der Analyse ergaben sich ähnliche Resultate: Frauen hatten bei der Hälfte der empfohlenen Dosierungen das niedrigste Risiko für Tod oder Krankenhausaufenthalt wegen Herzinsuffizienz, ohne zusätzlichen Nutzen bei höheren Dosierungen.

Die Aussagekraft der Post-hoc-Analyse von BIOSTAT-CHF ist beispielsweise dadurch eingeschränkt, dass dosisabhängige Nebenwirkungen der Arzneimittel nicht erfasst und Serumkonzentrationen der Wirkstoffe nicht gemessen wurden. Wie alle Beobachtungsstudien ist sie außerdem aufgrund nicht quantifizierbarer Verzerrungen mit Unsicherheiten behaftet (vgl. 7). Die verwendeten Berechnungsverfahren, darunter kubische Spline-Analysen, sind für Leser, die mit statistischen Methoden weniger vertraut sind, kaum nachvollziehbar.

Fazit: Die Ergebnisse einer Beobachtungsstudie weisen darauf hin, dass zur Therapie der Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Funktion bei Frauen und Männern unterschiedliche Dosierungen von ACE-Hemmern, Angiotensin-II-Rezeptor-Blockern und Betablockern optimal sein könnten und Frauen von niedrigeren Dosierungen möglicherweise am meisten profitieren. Dieses Ergebnis sollte in prospektiven, nach Geschlecht stratifizierten Studien überprüft werden. Die Untersuchung unterstreicht gleichzeitig die Notwendigkeit, in der klinischen Pharmakotherapie geschlechtsspezifische Unterschiede stärker zu berücksichtigen (8).

Literatur

  1. Goldstein, R.H., und Walensky,R.P.: N. Engl. J. Med. 2019, 381, 2491. Link zur Quelle
  2. Tahhan, A.S., et al.: JAMA Cardiology 2018, 3, 1011. Link zur Quelle
  3. AMB 2010, 44, 73 Link zur Quelle . AMB 2009, 43, 41. Link zur Quelle
  4. https://www.leitlinien.de/nvl/html/ nvl-chronische-herzinsuffizienz/ 3-auflage/kapitel-6 Link zur Quelle
  5. Santema, B.T., et al. (BIOSTAT-CHF = A systems BIOlogy Study to TAilored Treatment in Chronic Heart Failure): Lancet 2019, 394, 1254. Link zur Quelle
  6. Ourwerkerk, W., et al. (BIOSTAT-CHF = A systems BIOlogy Study to TAilored Treatment in Chronic Heart Failure): Eur. Heart J. 2017, 38, 1883. Link zur Quelle
  7. AMB 2019, 53, 79b. Link zur Quelle
  8. Whitley, H.P., und Smith, W.D.: Lancet 2019, 394, 1210. Link zur Quelle