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Nefazodon und Psychotherapie zur Behandlung chronischer Depressionen oder eine neue Form der Forschung

Im Mai-Heft des N. Engl. J. Med. (1) ist zu diesem Thema ein in mehrerer Hinsicht interessanter Artikel erschienen. Nefazodon (Nefadar) ist ein neuerer Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer.

In dieser Studie wurden 681 depressive Patienten aus zwölf verschiedenen Zentren behandelt: ein Drittel nur mit Psychotherapie, ein Drittel nur mit Nefazodon und ein Drittel der Patienten mit Psychotherapie plus Nefazodon. Erfreulicherweise liegt das Ergebnis der Studie ganz im Trend des Zeitgeists, denn Psychotherapie in Verbindung mit Nefazodon zeigte eine deutlich bessere Wirkung (85% Responder-Rate) gegenüber Psychotherapie (52%) und Nefazodon (55%) allein.

Mit diesem günstigen Ergebnis könnte man es bewenden lassen, zeigten sich bei genauerem Lesen des Artikels nicht einige Schönheitsfehler. Die ganze Studie dauerte nämlich nur zwölf Wochen bei einer durchschnittlichen Krankheitsgeschichte von über zwanzig Jahren. Die Dosis von Nefazodon wurde rasch gesteigert, und bereits initial wurde die doppelte Dosis gegeben wie in der Roten Liste empfohlen. Die Patienten ohne Psychotherapie kamen auch hinsichtlich der Gespräche nicht zu kurz. Die Visiten für die Medikation wurden immerhin mit 15-20 Minuten veranschlagt. Die Psychotherapie („Cognitive behavioral-analysis system of psychotherapy“) wurde von einem der Autoren des Artikels selbst entwickelt und in einer Arbeit im Jahr 1991 im Rahmen einer Untersuchung an 10 (!) Patienten veröffentlicht. Insgesamt waren 16 Sitzungen vorgesehen. Die Effektivität 16 psychotherapeutischer Sitzungen bei einer seit zwanzig Jahren dauernden Depression ist erstaunlich; sie waren alleine genauso wirksam wie Nefazodon!

Die Relevanz dieser Daten ist bestenfalls mit einem Augenzwinkern entgegenzunehmen, da es nach den zwölf Wochen Therapie bei dieser chronischen Erkrankung keine Nachbeobachtung und auch keine Plazebo-Gruppe gab. Liest man allerdings nach dem kleingedruckten Hinweis am Ende des Artikels „Supported bei Bristol-Myers Squibb“ die „Editor s note“, so gehen dem Leser nach dem Augenzwinkern doch irritiert die Augen ganz auf. Hier erfährt man, daß von den zwölf Hauptautoren nur ein Autor keine „Financial associations“ mit dem Sponsor hat. Von den siebzehn anderen Autoren sind immerhin zwei direkte Mitarbeiter des Sponsors, und nur von fünf Autoren wird angegeben, daß sie keine „relevanten“ finanziellen Bindungen hätten. Soviel Ehrlichkeit ehrt den Herausgeber des renommierten Journals. Leider finden sich diese Hinweise aber nicht mehr, wenn dieser Artikel in Kurzform in anderen Zeitschriften referiert wird (2). Das hier in naiver Offenheit publizierte Problem der Abhängigkeiten wird noch krasser, wenn man bedenkt, daß die Pharmaindustrie zunehmend dazu übergeht, ihre klinische Forschung an Fremdfirmen zu vergeben (3). Daß dadurch finanzielle und persönliche Abhängigkeiten noch viel weniger zu durchschauen sind, dürfte der Objektivität der Forschung nicht dienlich sein

Literatur

1. Keller, M.B., et al.: N. Engl. J. Med. 2000, 342, 1462.
2. Psychopharmakotherapie 2000, 3, 144.
3. Health Aff. 2000, 19, 129.