Artikel herunterladen

Generelle Gabe von Antibiotika nach Zeckenbiss zur Prophylaxe der Lyme-Borreliose in Deutschland nicht sinnvoll

Kürzlich ist eine Arbeit zur antibiotischen Therapie nach Zeckenbiss (Vektor: Ornithodoros tholozani) hinsichtlich des durch Borrelien (B. persica) verursachten Rückfallfiebers in Israel erschienen (1). Diese Arbeit könnte erneut die Diskussion über den Nutzen einer prophylaktischen Antibiotikagabe nach Zeckenbiss in Deutschland wieder aufflammen lassen. Diese Frage kann anhand der Studienlage zurzeit nicht schlüssig beantwortet werden. Wir wollen die Gründe für unsere Ablehnung einer generellen Antibiotikagabe nach Zeckenbiss zur Prophylaxe der Lyme-Borreliose im Folgenden kurz darlegen.

Die kleine Studie von T. Hasin et al. (1) betrifft – im Gegensatz zur Lyme-Borreliose – eine akut lebensgefährliche Borrelien-Erkrankung durch einen Vektor mit hoher Übertragungswahrscheinlichkeit. Außerdem wurde die Studie an einer Hochrisikogruppe (Militärpersonal) in einem Hochrisikogebiet durchgeführt. Spezielle Untersuchungen zur Erkennung von Zeckenbissen wurden konsequent täglich durchgeführt. Aus diesen Gründen sind die Ergebnisse nicht auf die Lyme-Borreliose in Deutschland übertragbar.

Bisher gibt es zwei größere Arbeiten zu dieser Frage bei der Lyme-Borreliose in Nordamerika mit widersprüchlichen Schlussfolgerungen (2, 3). Auch hier bestimmt die Auswahl der Studienprobanden, ob man einen positiven Effekt findet oder nicht. So spielen neben dem Endemiegebiet die Identifikation der Zecke und ihres Entwicklungsstadiums eine wichtige Rolle. Dies sind Kriterien, die in der täglichen Praxis gar nicht erfasst werden können. Wer bringt schon die Zecke mit zum Arzt und welcher Hausarzt kann die Spezies oder gar ihr Entwicklungsstadium erkennen? So kommt man auch in Nordamerika zu dem Schluss, dass eine Antibiotikaprophylaxe nur bei Beachtung strenger Auswahlkriterien erwogen werden sollte (4).

Die Durchseuchung des mitteleuropäischen Vektors Ixodes ricinus mit B. burgdorferi (sensu lato) beträgt bei adulten Zecken 18,6% und bei Nymphen 10,1% (5). Diese Zahlen sind Medianwerte mir regionalen Abweichungen. Es gibt keinen Anhalt dafür, dass die Durchseuchung zunimmt (5). Das Risiko, dass bei einem Zeckenbiss der Erreger übertragen wird, ist sehr gering, nämlich in Endemiegebieten ca. 1,2% (2). Die Übertragung findet üblicherweise ganz am Ende der Blutmahlzeit statt, die sich je nach Entwicklungsstadium der Zecke über 72 Stunden hinzieht. So konnte im Tierexperiment gezeigt werden, dass nur solche Tiere infiziert wurden, an denen die Zecken mehr als 24 Stunden saugten (6). Dies wurde auch beim Menschen bestätigt: die meisten Infektionen traten bei Personen auf, die die Zecken länger als 72 Stunden am Körper hatten (7). Man kann also auch durch frühzeitiges Entfernen der Zecken das Übertragungsrisiko deutlich mindern. Ob und inwieweit Patienten, die ein Erythema migrans haben, vor späteren schwerwiegenderen Stadien der Erkrankung geschützt sind, ist unklar, denn es fehlen Langzeitbeobachtungen. Es bleibt also die unbeantwortete Frage, was wollen und was können wir mit einer antibiotischen Prophylaxe vermeiden. Falls ein Erythema migrans auftreten sollte, ist es gut zu erkennen und mit gutem Erfolg antibiotisch zu behandeln (8, 9). Man darf nicht vergessen, dass auch in der Studie von R.B. Nadelman et al. (3) die unerwünschten Arzneimittelwirkungen in der Doxycyclin-Gruppe deutlich häufiger als in der Plazebo-Gruppe waren. Zudem ist zu bedenken, dass die Antibiotika-assoziierte Diarrhö durch Clostridium difficile ein an Häufigkeit und Schweregrad zunehmendes Problem ist (10-12).

Fazit: Eine generelle Antibiotikagabe zur Prophylaxe einer Lyme-Borreliose nach Zeckenbiss in Deutschland ist nach Abwägen der Infektionswahrscheinlichkeit sowie von Nutzen und Risiken der Therapie nach unserer Meinung nicht zu empfehlen.

Literatur

  1. Hasin, T., et al.: N. Engl. J. Med. 2006, 355, 148. Link zur Quelle
  2. Shapiro, E.D., et al.: N. Engl. Med. 1992, 327, 1769. Link zur Quelle
  3. Nadelman, R.B., et al.: N. Engl. J. Med. 2001, 345, 79. Link zur Quelle
  4. Shapiro, E.D.: N. Engl. J. Med. 2001, 345, 133. Link zur Quelle
  5. Rauter, C., und Hartung, T.: Appl. Environ. Microbiol. 2005, 71, 7203. Link zur Quelle
  6. Piesman, J., et al.: J. Infect. Dis. 1991, 163, 895. Link zur Quelle
  7. Sood, S.K., et al.: J. Infect. Dis. 1997, 175, 996. Link zur Quelle
  8. AMB 2001, 35, 62b Link zur Quelle und 80b. Link zur Quelle
  9. AMB 2005, 39, 33 Link zur Quelle und 71b. Link zur Quelle
  10. Fernandez, A., et al.: J. Clin. Gastroenterol. 2004, 38, 414. Link zur Quelle
  11. Pepin, J., et al.: CMAJ 2004, 171, 466. Link zur Quelle
  12. AMB 2006, 40, 68a. Link zur Quelle