Bei Tumorerkrankungen kommt es häufig zu einer normochromen, normozytären Anämie (s. AMB 1990, 24, 60), deren Ausmaß durch eine Chemotherapie, insbesondere mit platinhaltigen Substanzen, verstärkt werden kann. Verschiedene Studien haben gezeigt, daß nach Gabe von rekombinantem Erythropoietin (rhEPO) bei Patienten, die wegen solider Tumoren platinhaltige Schemata erhielten, der Hämatokritanstieg anstieg und der Transfusionsbedarf abnahmen. Neben den Anwendungsgebieten renale Anämie und Unterstützung der autologen Blutgewinnung ist rhEPO deshalb auch zur Behandlung der Anämie bei Krebspatienten, die eine platinhaltige Chemotherapie erhalten, zugelassen (vgl. AMB 1996, 30, 46). Eine kürzlich publizierte europäische multizentrische randomisierte Phase-lll-Studie versuchte, die Wirksamkeit von rhEPO bei Patienten mit soliden Tumoren zu bestätigen (Oberhoff, C., et al.: Ann. Oncol. 1998, 9, 255). Die Studie wurde von Boehringer Mannheim, dem Hersteller des in dieser Studie verwendeten Präparates Epoetin beta (Recormon), finanziell unterstützt. Eingeschlossen wurden insgesamt 227 Patientinnen und Patienten (= 18 Jahre), die wegen solider Tumoren (vorwiegend gynäkologische Tumoren, Mamma-, Bronchialkarzinom) eine Chemotherapie erhielten und deren Hämoglobinkonzentration vor der ersten Gabe von rhEPO = 11 g/dl betrug bzw. = 13,5 g/dl war und während des vorausgegangenen Chemotherapiezyklus mindestens um 1,5 g/dl abgefallen war. Alle Patienten mußten zuvor zumindest eine Bluttransfusion erhalten haben. Während der kontrollierten Behandlungsphase (Dauer 12 Wochen) erhielten die Patienten entweder 5000 IU Epoetin beta s.c. täglich oder kein rhEPO (Kontroll-Gruppe). Von den 227 randomisierten Patienten beendeten nur 137 aufgrund von z.B. Tumorprogreß, Abbruch der Chemotherapie und persönlicher Gründe die kontrollierte Behandlungsphase. Die mit rhEPO behandelten Patienten benötigten signifikant weniger Bluttransfusionen als die Kontroll-Gruppe (28% versus 42%, p = 0,028). Während der kontrollierten Behandlungsphase stieg die mediane Hämoglobinkonzentration in der mit rhEPO behandelten Gruppe sukzessiv an, während sie in der Kontrollgruppe unverändert blieb. Die Analyse von Subgruppen ergab, daß die Art der Chemotherapie und deren Dosierung prädiktive Faktoren für ein Ansprechen auf die Gabe von rhEPO waren. Insbesondere die Patienten mit platinhaltiger Chemotherapie (> 50% in dieser Studie) profitierten von rhEPO. Die endogene Produktion von EPO korrelierte nicht mit dem Ansprechen auf die Gabe von rhEPO, d.h., eine inadäquate niedrige Serumkonzentration von EPO eignete sich nicht als prädiktiver Faktor für ein Ansprechen auf die Therapie. Die Gabe von rhEPO wurde gut vertragen und ernste Nebenwirkungen – in der Publikation nicht weiter spezifiziert – waren in der rhEPO- und Kontroll-Gruppe gleich häufig. Unerwünschte Wirkungen, vermutlich durch rhEPO verursacht, betrafen allergische Reaktionen, Hypertonie, Schmerzen an der lnjektionsstelle, Eisenmangel und Thrombozytopenie.
Fazit: In dieser Studie führte die Gabe von rhEPO bei Patienten mit soliden Tumoren und durch Chemotherapie induzierter Anämie zu einem Anstieg der Hämoglobinkonzentration und zu einer Verminderung der Bluttransfusionen, insbesondere bei platinhaltiger Chemotherapie. Begrenzt wird der Aussagewert dieser Studie durch zahlreiche Schwachpunkte: Fehlen einer Plazebo-Gruppe, nur 60% der Patienten beendeten die kontrollierte Behandlungsphase, Kriterien für die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten sind nicht angegeben, „Lebensqualität“ ist nicht untersucht. Darauf wird in einem begleitenden Editorial (Maraveyas, A., und Pettengell, R.: Ann. Oncol. 1998, 9, 239) hingewiesen. Wir schließen uns der Empfehlung in diesem Editorial an, daß eine kostenintensive prophylaktische Therapie mit rhEPO vorläufig nur bei Patienten durchgeführt werden sollte, die platinhaltige Schemata in kurativer Absicht erhalten, nicht jedoch routinemäßig im Rahmen palliativer Chemotherapien.