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Studien zum Mammakarzinom in frühen Stadien im Rahmen neoadjuvanter Behandlung: pathologisch komplette Remission als Surrogatendpunkt nicht geeignet

Wenn patientenrelevante Endpunkte, wie Mortalität, Morbidität, Nebenwirkungen oder gesundheitsbezogene Lebensqualität in klinischen Studien erst nach einer längeren Zeit beurteilt werden (können), werden als Ersatz (lateinisch: surrogatum) oft „Surrogatendpunkte“ verwendet [1] [2] [3], da diese Messwerte früh und relativ einfach analysiert werden können. Sie haben selbst keine unmittelbare Bedeutung für einen einzelnen Patienten, sind aber mit patientenrelevanten Endpunkten assoziiert, wie beispielsweise Veränderungen eines Laborwerts. Eine derartige Assoziation bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass die Veränderung eines Surrogatendpunkts auch mit einer gleichgerichteten Veränderung eines patientenrelevanten Endpunkts einhergeht.

In der Onkologie basieren Zulassungen für Arzneimittel häufig auf Surrogatendpunkten, die häufig jedoch nicht mit den patientenrelevanten Endpunkten („Verlängerung des Überlebens“ oder „Verbesserung der Lebensqualität“) korrelieren (vgl. [4]). Als Surrogatendpunkte für das Überleben werden beispielsweise die Ansprechrate, das ereignisfreie oder progressionsfreie Überleben und die pathologisch komplette Remission (pCR) verwendet. Die pCR wird häufig als Parameter auch im Rahmen einer neoadjuvanten Therapie bei Frauen mit Brustkrebs genutzt und bedeutet, dass nach Abschluss der neoadjuvanten Therapie zum Zeitpunkt der Operation kein vitales Tumorgewebe mehr in der betroffenen Brust oder in der betroffenen Brust und den lokalen Lymphknoten nachweisbar ist [5]. Obwohl umstritten, wird die pCR als Surrogatendpunkt sowohl von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) als auch von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) für die Zulassung von Arzneimitteln zur Behandlung von Brustkrebs in bestimmten Fällen akzeptiert [5] [6] [7]). Beispielsweise wurde Pertuzumab (Perjeta®) u.a. aufgrund einer höheren Rate der pCR in der neoadjuvanten Brustkrebs-Therapie zugelassen ([8], vgl. [9]). Nun untersuchte eine systema-
tische Übersichtsarbeit und Metaanalyse die Aussagekraft der pCR als Surrogatendpunkt für das erkrankungsfreie Überleben und das Gesamtüberleben in randomisierten klinischen Studien (RCT) bei Frauen mit Brustkrebs im frühen Stadium [10].

Eingeschlossen wurden RCT, in denen eine neoadjuvante Chemotherapie allein oder in Kombination mit anderen Behandlungen geprüft wurde, darunter Arzneimittel gegen den Wachstumsfaktor-Rezeptor-2 (Humaner Epidermaler Rezeptor-2 = HER-2), Bisphosphonate, Immuncheck-
point-Inhibitoren und antivaskuläre sowie sogenannte zielgerichtete Wirkstoffe. Ausgewertet wurde die Assoziation zwischen pCR und erkrankungsfreiem Überleben sowie Gesamtüberleben auf Studienebene. Dafür wurden verschiedene statistische Verfahren durchgeführt, beispielsweise eine gewichtete Regressionsanalyse für log-transformierte Schätzungen des Behandlungseffekts (Hazard Ratio für krankheitsfreies Überleben und Gesamtüberleben sowie relatives Risiko für pCR). Das Bestimmtheitsmaß (R2) wurde verwendet, um den Zusammenhang zu quantifizieren. Außerdem wurden weitere Auswertungen durchgeführt, so wurde u.a. die Heterogenität der Ergebnisse in Subgruppenanalysen geprüft.

In die Analyse eingeschlossen wurden 54 RCT mit insgesamt 32.611 Patientinnen. Zwischen pCR und krankheitsfreiem Überleben bzw. Gesamtüberleben bestand nur eine schwache Assoziation: R2 = 0,14; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,00-0,29 bzw. R2 = 0,08; CI: 0,00-0,22. Dies zeigt, dass die pCR als Surrogatendpunkt in klinischen Studien längerfristige klinische Effekte nicht valide vorhersagen kann und deshalb hierfür nicht geeignet ist [11]. In allen untersuchten Untergruppen fanden sich ähnliche Ergebnisse, unabhängig von der Definition der pCR, der Art der Behandlung im Versuchsarm und den biologischen Merkmalen der Erkrankung. Die konsistenten Ergebnisse wurden in drei Sensitivitätsanalysen bestätigt, in denen beispielsweise kleine Studien ausgeschlossen wurden (< 200 Patienten) oder Studien mit kurzer medianer Nachbeobachtungszeit (< 24 Monate).

Die Aussagekraft der Untersuchung ist u.a. jedoch dadurch eingeschränkt, dass auf Studienebene und nicht anhand individueller Daten der Patientinnen ausgewertet wurde. Die Autoren weisen deshalb zu Recht darauf hin, dass eine Auswertung auf der Basis der individuellen Daten ihre Untersuchung sinnvoll ergänzen würde. Sie betonen außerdem, dass ihre Untersuchung den Wert einer pCR als Marker für das Ansprechen auf die Therapie und die Prognose einer einzelnen Patientin nicht in Frage stellt.

Fazit

Fazit: Die Ergebnisse einer systematischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse verdeutlichen, dass die pathologisch komplette Remission nicht als Surrogatendpunkt für das längerfristige Gesamtüberleben in klinischen Studien zur neoadjuvanten Behandlung von Brustkrebs im frühen Stadium verwendet werden sollte. Als Basis für die Zulassung neuer Arzneimittel in dieser Indikation ist dieser Parameter deshalb nicht geeignet.

Literatur

  1. https://www.iqwig.de/sonstiges/glossar/surrogatendpunkt.html (Link zur Quelle)
  2. Dawoud, D., et al.: BMJ 2021, 374, n2191. (Link zur Quelle)
  3. Lenzer, J.: BMJ 2021, 374, n2059. (Link zur Quelle)
  4. AMB 2017, 51, 01. AMB 2017, 51, 86b. (Link zur Quelle)
  5. https://www.fda.gov/media/83507/download (Link zur Quelle)
  6. Gyawali, B., et al.: EClinicalMedicine 2020, 21, 100332. (Link zur Quelle)
  7. https://www.ema.europa.eu/en/documents/scientific-guideline/draft-guideline-role-pathological-complete-response-endpoint-neoadjuvant-breast-cancer-studies_en.pdf (Link zur Quelle)
  8. https://www.fachinfo.de/api/fachinfo/pdf/014535 (Link zur Quelle)
  9. AMB 2017, 51, 76. AMB 2016, 50, 31b. (Link zur Quelle)
  10. Conforti, F., et al.: BMJ 2021, 375, e066381. (Link zur Quelle)
  11. https://www.iqwig.de/download/a10-05_rapid_report_surrogatendpunkte_in_der_onkologie.pdf (Link zur Quelle)