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Zum Demenz-Risiko unter Hormonersatz-Therapie (besser: postmenopausale Hormontherapie) [CME]

Etwa 80% der Frauen im Klimakterium beschreiben – in sehr unterschiedlicher Ausprägung – Symptome wie Hitzewellen, Schlafstörungen, Depression und kognitive Defizite. Neben bekannten Risiken im Zusammenhang mit einer Hormonersatz-Therapie („hormone replacement therapy“ = HRT; vgl. [1]) gibt es widersprüchliche Untersuchungsergebnisse zur Entwicklung einer Demenz unter HRT [2] [3]. Die Women’s Health Initiative Memory Study (WHIMS), die bisher größte randomisierte kontrollierte Studie (RCT) zu dieser Thematik, hatte ein signifikant höheres Demenzrisiko unter HRT mit Medroxyprogesteron plus konjugierten Östrogenen (aus Stutenharn) gezeigt, nicht aber unter einer Östrogen-Monotherapie im Vergleich zu Plazebo [4] [5]. Zwei Studien aus Finnland kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen [6] [7].

Der Langzeiteffekt einer HRT auf die Entwicklung einer Demenz wurde in einer aktuell publizierten retrospektiven Beobachtungsstudie [8] aus Großbritannien in Form einer „nested“-Fall-Kontroll-Studie untersucht. Zwei Datenbanken der hausärztlichen Grundversorgung („QResearch“ und „Clinical Practice Research Datalink“ = CPRD) dienten als Informationsquelle für stationäre Aufenthalte, Morbidität und Letalität sowie Veränderungen im sozialen Status als potenziellem Demenz-Indikator.

Studiendesign: In den Jahren 1998 bis Juli 2020 wurden alle Frauen ab 55 Jahre erfasst, bei denen die Diagnose Demenz neu gestellt wurde oder die eine medikamentöse Therapie mit antidemenziellen Arzneimitteln wie Donepezil, Rivastigmin, Memantin oder Galantamin erhielten. Eine zu Studienbeginn bereits diagnostizierte Demenz war ein Ausschlusskriterium. Die Diagnose musste entweder in spezialisierten Zentren gestellt worden sein oder bei Allgemeinmedizinern mit Leitlinien-gerechter Evaluation unter Einbeziehung von Spezialisten, inkl. einer Computertomografie des Kopfes.

Die Datenbanken wurden durchsucht nach der jeweils ersten Verschreibung einer HRT im Laufe der letzten 10 Jahre: entweder konjugierte Östrogene oder Östradiol oral, transdermal oder als Injektion. Bei der Verordnung von Östrogen-Progestagen-Kombinationen wurden die Gestagene Norethisteronacetat, Levonorgestrel, Medroxyprogesteron oder Dydroprogesteron berücksichtigt. Auch die Verordnung des synthetischen Steroidhormons Tibolon und die Verschreibung von topischen Östrogenen wurden in die Evaluation der Studienteilnehmer einbezogen. Subgruppenanalysen wurden für die beiden häufigsten Demenz-Typen Alzheimer und vaskuläre Demenz durchgeführt. Da die HRT erst in den späten 1980-iger Jahren eingeführt wurde [9] und ältere Frauen somit eine kürzere Hormonexposition hatten als jüngere, wurden die Ergebnisse bei Frauen < 80 und ≥ 80 Jahre gesondert ausgewertet.

Jeder Frau mit diagnostizierter Demenz (Index-Patientinnen) in den beiden Datenbanken wurden aus derselben Datenbank bis zu 5 Kontrollen gleichen Alters zugeordnet, bei denen bis zum Zeitpunkt der Diagnosestellung der Index-Patientinnen keine Demenz bestanden hatte. Alle Eingeschlossenen mussten zum Index-Zeitpunkt seit mindestens 10 Jahren in der Datenbank erfasst sein; jede Teilnehmerin war jeweils in nur einer der beiden Datenbanken vertreten.

Insgesamt 118.501 Frauen ≥ 55 Jahre mit erster Demenz-Diagnose zwischen 1998 und 2020 wurden entsprechend 497.416 Frauen gleichen Alters als Kontrollen gegenübergestellt. Die Fall- und Kontroll-Kollektive der beiden Datenbanken stimmten überein hinsichtlich demographischer Daten, Sozial- und Raucherstatus, Alkoholkonsum, Komorbiditäten, medikamentöser Therapie und Familienanamnese, die alle als potenzielle Störfaktoren in die Berechnung der adjustierten Odds Ratio (aOR) eingehen sollten. Für die Endauswertung wurden Fälle und Kontrollen aus QResearch und GLRD jeweils zu einem Fall- und einem Kontroll-Kollektiv zusammengefasst.

Ergebnisse: Insgesamt 16.291 (14%) der Frauen mit erster Demenz-Diagnose und 68.726 (14%) der Kontrollen hatten bis zum Index-Datum eine HRT über mindestens 3 Jahre erhalten. Die Patientinnen waren im Durchschnitt 83,6 ± 7 Jahre alt und in beiden Kollektiven bis zum Index-Datum durchschnittlich seit 16 Jahren erfasst. Etwa 20% waren hysterektomiert oder oophorektomiert. Eine familiäre Demenz war selten (0,1% bzw. 0,2%), eine Parkinson-Erkrankung etwas häufiger (0,5% in „QResearch“ bzw. 0,6% in GLRD) im Vergleich zu den beiden Kontrollen (0,2%). Die Index-Patientinnen hatten durchgehend etwas mehr Komorbiditäten mit entsprechender Medikation, auch etwas mehr Verordnungen von Antidepressiva und Anxiolytika; 4% hatten keine explizite Demenz-Diagnose, aber eine typische Medikation.

Ein signifikant höheres Demenz-Risiko unter HRT fand sich nicht, weder für die alleinige Östrogen-Therapie (aOR: 0,99, 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,96-1,02) noch für Östrogen-Progestagen-Kombinationen (aOR: 1,00; CI: 0,97-1,03). Die Ergebnisse waren auch unabhängig von der Dauer der HRT, vom Alter bei Beginn der HRT (mit 60, < 60 oder ≥ 60 Jahre) und auch von der Zeit seit Beendigung der HRT bis zur Diagnose Demenz.

Für die Kombination von Östrogen mit dem synthetischen Gestagen Dydrogesteron konnte nach einer Therapie zwischen 1-11 Jahren ein leicht erniedrigtes Risiko für Demenz nachgewiesen werden (aOR: 0,88; CI: 0,75-1,02). Die Diagnose war auch seltener bei Frauen, die eine Östrogen-Monotherapie seit ≥ 10 Jahren erhalten hatten, und die zum Diagnose-Zeitpunkt < 80 Jahre alt waren; das galt auch für das Kontrollkollektiv (aOR: 0,85; CI: 0,76-0,94; p = 0,003). Der Effekt war bei > 80-Jährigen nicht nachweisbar, vermutlich, weil zum Zeitpunkt ihrer Menopause eine HRT noch nicht etabliert und die Expositionszeit somit kürzer war, vielleicht auch, weil Östrogen-Rezeptoren mit zunehmendem Alter abnehmen.

In der Subgruppen-Analyse der Alzheimer-Demenz (34% aller Demenz-Diagnosen) zeigte sich allerdings bei Frauen, die über längere Zeit eine Östrogen-Progestagen-Kombination erhalten hatten, ein erhöhtes Erkrankungsrisiko, das mit jedem Jahr der Exposition zunahm. Biologischen Studien zufolge können Gestagene positive Effekte von Östrogenen aufheben [10]. Eine Therapiedauer von 5-9 Jahren führte in der aktuellen Studie zu einer mittleren Zunahme der Alzheimer-Demenz um 11% (OR: 1,11; CI: 1,04-1,20) und nach ≥ 10 Jahren Therapie sogar um 19% (OR: 1,19; CI: 1,06-1,33). Das entspricht einer Inzidenz von 5 bzw. 7 zusätzlichen Erkrankungen pro 10.000 Frauenjahre. Für Frauen < 80 Jahre war das Erkrankungsrisiko nach > 10 Jahren Kombinationstherapie noch höher: OR: 1,25; CI: 1,09-1,43. Für eine vaskuläre Demenz (21% der Demenzen) fand sich kein erhöhtes Risiko unter HRT. Bei 27% der Index-Patientinnen manifestierte sich die Demenz vor dem 80. Lebensjahr.

Die WHIMS-Studie, als größte randomisierte, kontrollierte Studie zu dieser Frage, war bei einer Therapiedauer mit konjugierten Östrogenen plus Medroxyprogesteron von nur 5 Jahren zu einer Verdoppelung der Demenz-Inzidenz bei > 64-Jährigen gekommen [4] [5].

Schon vor Jahren haben wir uns wegen des erhöhten Brustkrebs-Risikos, besonders unter Östrogen-Gestagen-Kombinationen, und vermehrter Thrombosen bzw. Thromboembolien, wenn überhaupt, für eine zeitliche Befristung der HRT ausgesprochen [1] [11]
. Die gemeinsame Leitlinie der Deutschen, der Österreichischen und der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe von 2020 empfehlen explizit, Nutzen und Risiko bei jeder Frau sorgfältig gegeneinander abzuwägen [12]. Die Verordnung von HRT hat demzufolge in den letzten Jahren bereits deutlich abgenommen.

Fazit

Fazit: In dieser großen Beobachtungsstudie zeigte sich kein generell erhöhtes Risiko für eine Demenz unter postmenopausaler Hormonersatz-Therapie (HRT) unterschiedlicher Dauer und Dosis und mit verschiedenen Hormonen. Das gilt als gesichert für die Östrogen-Monotherapie über 10 Jahre, die aber nur für hysterektomierte Frauen eine Option ist. Allerdings wurde eine Alzheimer-Demenz häufiger bei < 80-Jährigen gefunden, die Östrogen-Progestagen-Kombinationen > 5 Jahre lang eingenommen hatten. Viele der in der britischen Studie erfassten Frauen hatten die HRT weit über das 60 Lebensjahr angewendet oder sogar nach dem 60. Lebensjahr begonnen, was heute als kontraindiziert gilt. Allein schon wegen des erhöhten Risikos für Brustkrebs und Thrombosen/Thromboembolien sollte eine HRT, wenn eine medikamentöse Therapie im Einzelfall überhaupt indiziert ist, auf < 5 Jahre begrenzt werden (vgl. [1] [13]
). Eine wegen der Risiken strenge Indikationsstellung ist bereits in den Leitlinien verankert.

Literatur

  1. AMB 2019, 53, 70. (Link zur Quelle)
  2. Rasgon, N.L., et al.: PLoS One 2014, 9, e89095. (Link zur Quelle)
  3. Wroolie, T.E., et al.: Am. J. Geriatr. Psychiatry 2015, 23, 1117. (Link zur Quelle)
  4. Shumaker, S.A., et al. (WHIMS = Women’s Health Initiative Memory Study): JAMA 2004, 291, 2947. (Link zur Quelle)
  5. Shumaker, S.A., et al. (WHIMS = Women’s Health Initiative Memory Study): JAMA 2003, 289, 2651. (Link zur Quelle)
  6. Imtiaz, B., et al.: Maturitas 2017, 98, 7. (Link zur Quelle)
  7. Savolainen-Peltonen, H., et al.: BMJ 2019, 364, l665. (Link zur Quelle)
  8. Vinogradova, Y., et al.: BMJ 2021, 375, 2182. (Link zur Quelle)
  9. Townsend, J.: Br. J. Gen. Pract. 1998, 48, 955. (Link zur Quelle)
  10. Vinogradova, Y., et al.: BMJ 2019, 364, 4810. (Link zur Quelle)
  11. National Collaborating Centre for Women’s and Children’s Health. Menopause. Full guideline. National Institute for Health and Care Excellence, 2015. (Link zur Quelle)
  12. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015-062l_S3_HT_Peri-Postmenopause-Diagnostik-Interventionen_2021-01.pdf (Link zur Quelle)
  13. AMB 2016, 50, 55. (Link zur Quelle)