Opiatgebrauch, Mißbrauch und Abhängigkeit: Seit dem Mittelalter wurde Opium in Mitteleuropa als Arzneimittel gegen verschiedene Krankheiten und Beschwerden verwendet. Seit dem 19. Jahrhundert wurde es in Deutschland gelegentlich als Rauschmittel benutzt, und um die Jahrhundertwende kam der Konsum von Morphin und Kokain, später auch des 1898 entwickelten Heroins in Künstler- und Intellektuellen-Kreisen in Mode. Nur langsam entwickelte sich ein Problembewußtsein hinsichtlich möglicher Abhängigkeiten. Das 1929 erlassene „Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln“ schuf den Anschluß Deutschlands an internationale Abkommen. Seither dürfen medizinische Opiate nur zu medizinischen Zwecken, unter kontrollierten Bedingungen und nur als Ultima Ratio von Ärzten verschrieben werden.
Bis in die sechziger Jahre hinein blieb die Morphiumsucht ein Problem weniger Personen, meist Angehörige medizinischer Berufe. Erst Ende der 60er Jahre wurden Opiate über den Schwarzmarkt zugänglich, zunächst als Morphinbase, ab 1972/73 dann als Heroin (Diacetylmorphin). Anfänglich war der Drogenkonsum eingebettet in eine sich als Gegenkultur verstehende politisch-gesellschaftliche Bewegung meist jüngerer Menschen. Ein Teil der Konsumenten wurde und blieb dauerhaft abhängig. Im Lauf der Jahre wurde Heroin vom Statussymbol einer Gegenkultur zu einem Faktor der organisierten Kriminalität.
Opiatsucht und ihre Behandlung: Die Definition von Abhängigkeit (DSM, ICD) beinhalten physische und psychische Kriterien. Körperliche Abhängigkeit ist durch Toleranzentwicklung, d.h. notwendige Dosissteigerung durch Nachlassen der Wirkung bei längerem Konsum und durch Auftreten eines Entzugssyndroms bei Unterbrechung der Zufuhr gekennzeichnet. Alle Opiate erzeugen bei dauerhaftem Gebrauch eine körperliche Abhängigkeit. Die psychische Abhängigkeit hängt mit der euphorisierenden Wirkung der Opiate zusammen und kann als „unabweisbares Verlangen“ nach der Droge auch nach Überwindung der körperlichen Abhängigkeit fortbestehen. Erst dann kann von einer Abhängigkeitserkrankung im Sinne der psychiatrischen Klassifikationen gesprochen werden. Davon können Schmerzpatienten abgegrenzt werden, bei denen sich zwar auch eine körperliche, in der Regel aber keine psychische Abhängigkeit entwickelt.
Behandlungsprogramme für opiatabhängige Patienten wurden in Deutschland erst mit Beginn der 70er Jahre entwickelt, als die Opiatsucht zahlenmäßig zu einem relevanten Problem wurde, und als aufgrund der Rechtsprechung die Sucht als behandlungsbedürftige Krankheit anerkannt wurde. Bis weit in die 80er Jahre hinein gab es ausschließlich die „Abstinenz-Therapie“: nach der körperlichen Entgiftung folgt eine mehrmonatige stationäre Entwöhnungsbehandlung, die durch psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen die Abhängigen zu dauerhafter Abstinenz befähigen soll.
Die Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger wurde in Deutschland erst Mitte der 80er Jahre vereinzelt erprobt, als deutlich wurde, daß ein Teil der zunehmend älteren Drogensüchtigen von den klassischen Therapieangeboten nicht erreicht wurde und als die HIV-Infektion sich zunehmend in der Gruppe der intravenös Drogenabhängigen ausbreitete. Die Verabreichung von Methadon als Ersatzdroge an Opiatabhängige war in den USA erstmals Anfang der 60er Jahre erprobt worden (1, 2). Die Ergebnisse wurden als so erfolgreich eingeschätzt, daß daraufhin Substitutionsprogramme in den USA und in einigen europäischen Ländern weite Verbreitung fanden.
Eigenschaften von Methadon: Methadon ist ein Opiat mit einer dem Morphin vergleichbaren analgetischen Potenz. Nur das linksdrehende Isomer ist pharmakologisch aktiv. Die typischen Opiatwirkungen wie Analgesie, Euphorie, Sedierung, Atemdepression und Miosis sind nur in der Anfangsphase vorhanden; danach tritt eine Toleranz ein. Bei dauerhafter Einnahme hat Methadon keine psychotropen Wirkungen, unterdrückt aber zuverlässig mindestens 24 Stunden lang die Erscheinungen des Opiatentzugs bei Heroinabhängigen. Diese Eigenschaften und die gleichbleibende Toleranz machen das Mittel zur kontrollierten Behandlung von Opiatabhängigen besonders geeignet.
Methadon wird enteral gut absorbiert und unterliegt nur einem geringen First-Pass-Effekt. Die orale Bioverfügbarkeit beträgt 70-95%. Methadon kann 30 Minuten nach oraler Aufnahme im Plasma nachgewiesen werden; die Spitzenkonzentration ist nach ca. 3 (± 2) Stunden erreicht.
Methadon ist stark lipophil. Bei wiederholter Anwendung kommt es zur Akkumulation in proteinreichen Geweben, insbesondere in der Leber. Nur ein geringer Anteil der Wirksubstanz befindet sich in freier Form im Blut. Wird die Einnahme von Methadon unterbrochen, werden niedrige Plasma-Konzentrationen noch über längere Zeit durch die langsame Freisetzung aus den Geweben aufrecht erhalten. Dies erklärt das relativ milde, aber protrahierte Entzugssyndrom bei Personen, die längere Zeit Methadon eingenommen haben.
Die Eliminations-Halbwertszeit von Methadon schwankt sowohl intraindividuell wie auch interindividuell zwischen 15 und 60 Stunden; in der Regel beträgt sie etwa 24 Stunden (3, 4). Es besteht eine direkte Abhängigkeit vom pH-Wert des Urins: saurer Urin beschleunigt, alkalischer verzögert die Ausscheidung. Auch unterschiedliche Verteilungsvolumina beeinflussen die Eliminations-Halbwertszeit.
Die interindividuellen Unterschiede in der Plasma-Protein-Bindung werden für die Wirkunterschiede verantwortlich gemacht, denn nur das nicht eiweißgebundene Methadon passiert die Blut-Hirn-Schranke.
Dosierung: Sinn der Behandlung ist es, den Patienten auf einen stabilen Methadon-Spiegel einzustellen, so daß mindestens 24 Stunden lang keine Entzugserscheinungen auftreten.
Wegen der individuellen Wirkunterschiede ist auch die adäquate tägliche Dosis bei jedem Patienten unterschiedlich und muß individuell ermittelt werden. Die Einstellung wird nach klinischen Kriterien und in Absprache mit dem Patienten vorgenommen. Die „richtige“ Dosis ist dann erreicht, wenn der Patient nach 24 Stunden noch ohne Entzugserscheinungen, andererseits zur Zeit der Plasma-Spitzenkonzentration nicht schläfrig oder benommen ist. Wegen der Gefahr einer tödlichen Überdosis bei nicht sicher vorhandener Opiat-Toleranz wird empfohlen, die Anfangsdosis von Methadon nicht höher als 40 mg zu wählen. Die Dosis kann alle 1-2 Tage um je 10 mg erhöht werden, bis die Erhaltungsdosis erreicht ist. Das pharmakokinetische Gleichgewicht zwischen Aufnahme, Verteilung und Elimination ist bei einer Dauertherapie nach etwa einer Woche erreicht (5).
Eine Plasma-Konzentrations-Bestimmung kann allenfalls dann notwendig werden, wenn der Patient nach der Einstellungsphase eine üblicherweise ausreichende Dosis Methadon sicher (unter Aufsicht!) täglich genommen und auch geschluckt (Sprechprobe!) und dennoch objektivierbare Entzugserscheinungen hat. In diesem Fall kann geprüft werden, ob einer der seltenen Fälle einer beschleunigten Elimination vorliegt.
Die Plasma-Konzentrations-Bestimmung ist allerdings nur bei Levomethadon sinnvoll. Die zur Verhinderung von Entzugserscheinungen effektive Konzentration liegt zwischen 100 und 250 ng/mI (6). Bei Patienten, die das Razemat erhalten, ist eine Plasmaspiegel-Bestimmung nicht sinnvoll, da wirksame und unwirksame Enantiomere nicht unterschieden werden können.
Die Dosis für die Methadon-Erhaltungs-Substitution beträgt 60-120 mg/d. Sowohl Ärzte als auch die Drogenabhängigen selbst haben oft das ehrgeizige Ziel, die Dosis möglichst schnell zu verringern. Nach allen Langzeit-Untersuchungen ist es aber so, daß Dosen unterhalb von 60 mg/d zu einer schlechteren Compliance der Behandlung führen und ein zusätzlicher Opiat- bzw. Kokain-Konsum schwieriger abzubauen ist (7).
Einer der Vorteile von Methadon ist, daß die Toleranz gleich bleibt, so daß die Dosis unbegrenzt konstant gehalten werden kann (Ausnahmen z.B. bei Krankheiten, Interaktionen, Veränderung der Lebensumstände). Dosisänderungen sollten keine Sanktionsmaßnahmen sein. Intoxikierte Patienten dürfen allerdings kein Methadon bekommen, da die Wirkungen anderer psychotroper Substanzen sich potenzieren können.
Die Letaldosis bei nichttoleranten Individuen beträgt 1 mg/kg Körpergewicht. Tödliche Überdosierungen bei Neueinsteigern und nichtbeteiligten Personen (Kindern!) wurden beschrieben (8), insbesondere in Staaten mit nichtkontrollierter Methadon-Abgabe. Bei der Behandlung einer Methadon-Intoxikation, die in den Symptomen ähnlich verläuft wie eine Heroin-Intoxikation (Miosis, Atemdepression, Koma, Lungenödem) ist daran zu denken, daß wegen der langen Halbwertszeit von Methadon die Behandlung mit dem kurzwirkenden Opiatantagonisten Naloxon so lange wiederholt werden muß, bis die Elimination von Methadon ausreicht.
Methadon, Levomethadon, Codein: Zur Substitution werden auch Codein und Dihydrocodein verwendet, das im Körper teilweise zu Morphin umgewandelt wird. Wegen der Art der Nebenwirkungen sowie wegen der kurzen Wirkdauer und der daraus resultierenden Notwendigkeit einer mehrfach täglichen Einnahme erscheinen Codein-Präparate zur Substitution weniger geeignet. Sie werden hauptsächlich deshalb angewandt, weil sie (noch) nicht den strengen Bestimmungen der Betäubungsmittel-Gesetzgebung unterliegen, d.h., die Verabreichung muß nicht in so streng kontrollierter Form (s.u. „Durchführung“) erfolgen, wie bei der Methadon-Substitution. Die Vor- und Nachteile der Codein-Substitution sollen hier nicht weiter diskutiert werden.
Bis 1993 war in Deutschland nur Levomethadon als Schmerz-mittel (L-Polamidon R) verfügbar. Erst mit der Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung wurde Methadon als verkehrs- und verschreibungspflichtiges Medikament in Deutschland zugelassen. Es ist als Grundsubstanz zur Herstellung oraler Lösungen durch Apotheken verfügbar. Wegen der oben beschriebenen weitgehenden Unwirksamkeit des D-lsomers muß das Razemat in annähernd doppelter Dosis verabreicht werden.
Die Umstellung zuvor mit Levomethadon substituierter Patienten auf das preisgünstigere Methadon ging mit unerwartet großer Beunruhigung und subjektiven Beschwerden einher. Viele Patienten klagten über erhebliche Nebenwirkungen sowie über eine verkürzte Wirkdauer mit vorzeitigen Entzugserscheinungen.
Nach den bisher vorliegenden Untersuchungen scheint es aber so zu sein, daß die geklagten Beschwerden einem Nozebo-Effekt entsprechen, d.h., eine Folge negativer Erwartungen hinsichtlich dieser neuen „billigen“ Substanz sind. Die Doppelt-blind-Studien, die Methadon-Razemat gegen das L-lsomer untersuchten, zeigten bei äquipotenter Dosierung keine signifikanten Unterschiede bezüglich Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Halbwertszeit (3, 9). Dennoch wurde ein Teil der Patienten wegen erheblicher subjektiver Schwierigkeiten wieder auf L-Polamidon eingestellt, um den therapeutischen Erfolg nicht zu gefährden.
Metabolisierung, Elimination, Interaktionen: Methadon wird in der Leber metabolisiert. Die Metaboliten werden zusammen mit einem Teil von unverändertem Methadon im Urin und über die Galle mit den Faezes ausgeschieden. Bei chronischen Leber- und Nierenerkrankungen übernimmt jeweils das andere System den Hauptteil des Abbaus, so daß die Substitution problemlos mit üblichen Dosen Methadon erfolgen kann (5, 16).
Rifampicin und Phenytom beschleunigen als Enzyminduktoren den Metabolismus von Methadon, so daß teilweise exzessiv hohe Dosen und auch mehrfach tägliche Gaben notwendig sind. Substanzen, die den Urin ansäuern oder alkalisieren, können die Pharmakokinetik von Methadon beeinflussen. Alkohol, Barbiturate, Kokain und Benzodiazepine können die Metabolisierung von Methadon beschleunigen, d.h., der Nebenkonsum eines oder mehrerer dieser Mittel kann zu verkürzter Wirkdauer des Methadons führen.
Nebenwirkungen: Gegenüber einem Teil der Opiat-Nebenwirkungen entwickelt sich eine partielle Toleranz, z.B. bezüglich Analgesie, Miosis, Sedierung und Atemdepression. Die Toleranz gegenüber dem obstipierenden Effekt ist geringer; im 3. Jahr der Behandlung besteht noch bei 17% der Patienten ein regelmäßiger Laxantienbedarf (10).
Lymphozytose und erhöhte Konzentrationen von Prolaktin, Albumin und Globulin im Plasma kommen vor. Eine häufige Nebenwirkung bei Daueranwendung ist exzessives Schwitzen, das nicht mit einem Entzugssyndrom verwechselt werden darf. Ein Teil der mit Methadon substituierten Patienten leidet langfristig unter Schlaflosigkeit.
Harnverhaltung und Blasensphinkter-Spasmen werden beschrieben. Die Funktion der Sexualorgane ist im Vergleich zu Heroinabhängigen und zu Normalpersonen unterdrückt (14); Libido- und Potenzverlust sind bei höheren Dosen häufig. Diese funktionellen Störungen können jedoch auch Ausdruck von Depressionen sein, die bei Methadon-Patienten häufig vorkommen.
Methadon hat bei Daueranwendung und oraler Einnahme keine oder nur geringe psychotrope Wirkungen. Zwar besteht die körperliche Abhängigkeit fort; das psychische Suchtpotential wird aber als gering angesehen, was mit dem Ausbleiben des für die Sucht typischen Wechsels von Entzugssymptomatik und Euphorie zu tun hat.
Die kognitiv-motorischen Fähigkeiten der Methadon-Dauerpatienten sind nicht beeinträchtigt. Dies gilt natürlich nur mit Einschränkungen bei Patienten mit Beikonsum anderer psychotroper Substanzen. Eine Entscheidung über die grundsätzlich gegebene Arbeitsfähigkeit und Fähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr muß daher den Einzelfall berücksichtigen (11, 12).
Auch nach jahrzehntelanger Methadon-Substitution entwickeln sich keine auf Methadon-Gabe zurückzuführenden organischen Schäden (10, 13).
Bei Überdosierung von Methadon kommt es zu ähnlichen Erscheinungen wie bei Morphin-Überdosierung: Hemmung des Atemantriebs durch Verminderung der CO2-Ansprechbarkeit der Medulla oblongata sowie der Zentren, welche die Atemfrequenz regulieren. Bei vielen Opiat-Toten wird ein Lungenödem als unmittelbare Todesursache gefunden.
Methadon und Schwangerschaft: Methadon ist plazentagängig. Über intrauterine und postnatale Wachstumsverzögerungen bei Kindern Methadon-behandelter Mütter wurden unterschiedliche Studienergebnisse veröffentlicht. Unbestritten sind Entzugserscheinungen bei Kindern, deren Mütter bis zuletzt Methadon genommen haben. In vielen Zentren wird daher versucht, die Substitution einige Wochen vor der Geburt zu beenden. Hierbei muß jedoch das Risiko eines Rückfalls in die unkontrollierte Opiatabhängigkeit gegen das Risiko kindlicher Entzugserscheinungen bei stabiler Substitution mit Methadon abgewogen werden. Methadon wird mit der Brustmilch ausgeschieden. Die Wahrscheinlichkeit wirksamer Konzentrationen soll jedoch gering sein (15).
Indikationen für den Einsatz von Methadon als Substitut: Die Gabe von Methadon als Entzugsmedikation hat sich lediglich in einem begrenzten stationären Rahmen als wirksam erwiesen. Eine allmähliche ambulante Dosisreduktion hat sich als unrealistisches Therapieregime herausgestellt, denn bei stärkerer Reduktion der Dosis wird der Versuch wegen Entzugserscheinungen regelmäßig abgebrochen.
Methadon-Erhaltungsprogramme zielen – je nach Schwerpunkt und Klientel – vorwiegend auf Reduktion der Kriminalität, Reduktion des Mißbrauchs illegaler Drogen sowie auf gesundheitliche, soziale und/oder berufliche Verbesserungen. Die Abstinenz von Methadon wird nicht als Ziel der Behandlung gesehen.
Ausstiegsorientierte Programme hingegen halten am Ziel einer letztlich völligen Suchtmittelfreiheit fest, wenngleich sich mittlerweile die Erwartungen hinsichtlich der Zeit, in der eine Abstinenz erreicht werden sollte, erheblich verändert haben. Als Zielgruppe der Behandlung gelten langjährig Abhängige, die bereits mit anderen Versuchen, ihre Abhängigkeit zu überwinden, gescheitert sind.
Die Änderung des Betäubungsmittel-Gesetzes von 1993 läßt die Verschreibung von Opiaten auch für die ärztliche Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit als Ultima Ratio zu. Vor dem Einsatz mit Methadon muß der Arzt aber prüfen, ob nicht andere Behandlungsmethoden in Frage kommen, d.h., ob der Patient für eine Abstinenztherapie oder für eine abstinente Selbsthilfe-Lebensgemeinschaft motivierbar ist. Da Ärzte sich in aller Regel mit den entsprechenden Möglichkeiten und Angeboten des Drogenhilfesystems nicht gut auskennen, empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit einer Drogenberatungsstelle.
Regeln und praktische Hinweise für die Durchführung der Substitution: Die Substitutions-Behandlung ist im §2a der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung sehr detaillierten rechtlichen Vorgaben unterworfen. Die wichtigsten Bedingungen zur Durchführung sind:
– Methadon muß täglich unter Aufsicht des Arztes eingenommen werden; Ausnahmen sind erst nach einem Jahr erfolgreicher Substitution auf Antrag möglich. Damit soll einem möglichen Mißbrauch des ärztlich verschriebenen Opiats vorgebeugt werden.
– Die Krankenkassen bezahlen eine Substitutionsbehandlung nur dann, wenn eine andere schwere Erkrankung durch diese Substitution erst behandelbar wird. Die Drogensucht als solche stellt ausdrücklich keine Indikation im Sinne der Kassen dar.
– Anhand geeigneter Untersuchungsmethoden (Urinkontrollen, Alkoholtests) muß der Arzt sich ein Bild davon machen, ob der substituierte Patient andere Drogen konsumiert, und er muß diese Erkenntnisse in seine Behandlungsplanung einfließen lassen; im Extremfall muß die Behandlung abgebrochen werden. Der Arzt muß darauf hinwirken, daß der Patient eine psychosoziale Betreuung durch geeignete Fachkräfte wahrnimmt.
Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen hat im Juni 1996 im Rahmen der Arzneimittel-Richtlinien folgende Hinweise zur „Rezeptur von Methadonhydrochlorid im Rahmen der Substitutionsbehandlung“ gegeben (gekürzt; 23):
Neben Levomethadon (L-Polamidon) ist auch das Razemat DL-Methadon zur Substitutionsbehandlung zulässig. Aufgrund der Razematstruktur muß DL-Methadon etwa doppelt so hoch dosiert werden wie Levomethadon. Dennoch sind die Substitutionskosten erheblich niedriger. Nach dem Betäubungsmittelrecht ist die Bezeichnung „Methadonhydrochlorid“ bei der Verordnung zu verwenden.
Angaben zu Gesamtmengen und Einzeldosen sind grundsätzlich in Gramm bzw. Milligramm Methadonhydrochlorid zu machen, nicht in Milliliter. Die Wirkstoffkonzentration sollte grundsätzlich 1% betragen, d.h. 10 mg/ml. Dabei sollte nach Möglichkeit die Standardrezeptur aus dem „Neuen Rezeptformularium“ (NRF) verwendet werden, das in jeder Apotheke vorliegt. Die NRF-Lösung kann als Formularienrezeptur ohne Angabe der Einzelkomponenten sowohl z.H. des Arztes als auch für den Take-home-Bedarf verschrieben werden.
Beispiel A (z.H. des Arztes):
Methadonhydrochlorid-Lösung 1% (NRF 29.1) mit 2,8 g Methadonhydrochlorid;
28 (achtundzwanzig) Tagesdosen zu 100 mg.
Beispiel B (Take home):
Methadonhydrochlorid-Lösung 1% (NRF 29.1); 50-mg-Methadonhydrochlorid-Einzeldosen Nr.3 (drei).
Anwendungstage: 12., 13. und 14. März 1996; täglich 1 Einzeldosis einnehmen.
Mit Zustimmung der Landesbehörde.
So kann sichergestellt werden, daß die betroffenen Patienten auch bei einem eventuellen Arzt- bzw. Apothekenwechsel immer die jeweils benötigte Dosis in gleicher Qualität und Zusammensetzung erhalten.
Urinkontrollen: Urinkontrollen dienen dem Arzt dazu, sich ein Bild von den nebenher konsumierten Substanzen zu machen. Für manche Patienten ist die Urinkontrolle eine Unterstützung in ihrem Wunsch, „beikonsumfrei“ zu leben. Aber auch für diejenigen, die diesen Wunsch nicht haben oder nicht verwirklichen können, ist es wichtig, mit der Realität konfrontiert zu werden. Um sich ein realistisches Bild machen zu können, muß der Arzt darauf achten, daß kein verfälschter oder fremder Urin abgegeben wird. Geprüft wird auf Heroin, Kokain, Barbiturate und Benzodiazepine.
Die Unterscheidung von Heroin und Methadon ist problemlos. Codein erscheint im Urin zum Teil als Morphin. Bei einer Substitutionsbehandlung mit Codein ist ein Nebenkonsum von Heroin nicht nachweisbar. Die verschiedenen Benzodiazepine lassen sich mit den üblichen Tests nicht unterscheiden. Soll beispielsweise zwischen einer verordneten Diazepam (Valium u.v.a.)-Einnahme und einem Flunitrazepam (Rohypnol u. a.)-Mißbrauch unterschieden werden, muß der Urin chromatographisch untersucht werden.
Die Konzentrationen der im Urin nachgewiesenen Substanzen hängen von vielen Faktoren ab (u.a. von der Konzentration und dem pH-Wert des Urins) und geben keinen genauen Aufschluß über die Menge der konsumierten Substanzen. Auch die Höhe der Methadon-Konzentration im Urin erlaubt keinen Rückschluß auf die eingenommene Menge.
Psychosoziale Betreuung: Die ursprüngliche Hypothese, daß durch die Besetzung der Opiatrezeptoren kein Verlangen nach Drogen mehr auftreten würde, hat sich als nicht zutreffend erwiesen. Sucht wird heute allgemein als Phänomen mit somatischen, psychischen und sozialen Faktoren verstanden, die interagieren. Vor dem Hintergrund dieses modernen Suchtverständnisses ist die Substitution mit Methadon lediglich ein Teil einer Behandlung, deren anderer Teil in psychosozialer Hilfestellung durch fachkundiges Personal bei der Bewältigung der Probleme besteht, die im Zuge der Suchtkarriere oder auch schon vorher aufgetreten sind (soziale Isolation, Obdachlosigkeit, Krankheiten, psychische Probleme, Arbeitslosigkeit usw.).
Erfolge einer Methadon-Substitution: Die wünschenswerten Ziele einer Substitutions-Behandlung lassen sich in einer Hierarchie formulieren, an deren unterem Ende zunächst das Vermeiden des Konsums von (illegalem) Heroin und Kokain, das Vermeiden riskanter Applikationsweisen und das Überführen der (meist vorhandenen) Polytoxikomanie in die monovalente Abhängigkeit von Methadon steht. Dies alles ist die Basis für Entkriminalisierung, gesundheitliche Stabilisierung, soziale Reintegration und berufliche Rehabilitation mit dem Ziel der völligen Drogenfreiheit (incl. Methadon).
Die Untersuchungsergebnisse und Erfolge der Methadon-Langzeit-Behandlung sind sehr unterschiedlich, die Aussagen widersprüchlich und verwirrend. Des Rätsels Lösung ist wohl, daß die Ergebnisse von den Unterschieden der Patientengruppen (Dauer der Abhängigkeit, Einstiegsalter usw.), von sozialen Umgebungsfaktoren (Berufs- und Zukunftschancen) sowie von der Intensität der angebotenen Begleitprogramme abhängen (17, 18). Alle Ergebnisse spiegeln nur die jeweilige „Programm-Situation“ wider und können sich bei Veränderung einzelner Parameter ebenfalls ändern. Insofern unterscheidet sich die Substitution mit Methadon von anderen medikamentösen Behandlungen, deren Wirksamkeit im Doppeltblind-Versuch innerhalb randomisierter Gruppen verglichen werden kann. Zusammenfassend kann man sagen:
Die HIV-lnfektionsrate bei langzeitig substituierten Patienten liegt deutlich unter der Prävalenz, wie sie bei aktivem Drogenmißbrauch gefunden wird (7). Die Behandlung der HIV-Infektion wird unter Substitution erleichtert, und die lnfektionsverläufe sind bei Substituierten deutlich günstiger (19, 20). Die Letalität bei Substituierten ist um ein Vielfaches niedriger als bei nicht substituierten Drogenabhängigen (21).
Die Kriminalität geht bei Substituierten statistisch stark zurück, was aber nicht ausschließt, daß einzelne auch unter der Substitution wiederholt straffällig werden.
Der Heroinkonsum nimmt bei den meisten Substituierten stark ab oder wird eingestellt (22). Zu einem Problem kann aber der Beikonsum anderer psychotroper Drogen (Alkohol, Rohypnol) werden, da hierdurch die psychische und soziale Entwicklung verhindert werden kann und eventuell die gesundheitlichen Schäden größer sind als beim Heroinkonsum. Der vor der Substitution neben Heroin betriebene Mißbrauch anderer Substanzen besteht aber unter der Methadon-Behandlung meist weiter fort. Bei schwerem Beikonsum anderer Substanzen muß überlegt werden, ob die Fortsetzung der Substitution medizinisch zu verantworten ist. Eventuell muß ein stationärer Aufenthalt mit fraktioniertem Entzug der nebenbei gebrauchten Substanz(en) erwogen werden.
Beendigung einer Methadon-Behandlung: Die Beendigung der Substitution wird allgemein in Form eines sehr behutsamen Ausschleichens empfohlen. Die Erfahrung zeigt, daß unterhalb einer Tagesdosis von 15-20 mg die weitere Reduktion außerordentlich schwierig ist. Einige Patienten können sich von den letzten Tropfen Methadon nicht lösen. Ob dies ein pharmakologisches oder mehr psychisches Phänomen ist, ist bisher nicht erforscht.
Entgegen ursprünglich optimistischer Vorstellungen, daß durch die Substitutionsbehandlung innerhalb kurzer Zeit (zwei Jahre) eine soziale Stabilisierung und nachfolgende Drogenfreiheit erreichbar sein könnte, hat sich herausgestellt, daß der Prozentsatz derer, die eine Substitution regulär beenden, um drogenfrei weiterzuleben, in allen Programmen sehr niedrig ist (18, 24). Außerdem werden nicht wenige Patienten nach regulär abgeschlossener Substitution innerhalb kürzerer Zeit rückfällig.
Allerdings ist die Palette der flankierenden sozio- und psychotherapeutischen Hilfestellungen bisher auch dürftig, so daß Aussagen über die Wirksamkeit insgesamt nur mit Vorsicht gemacht werden können.
Behandlung von Begleiterkrankungen: Ein wichtiger Aspekt der Substitution mit Methadon ist, daß dadurch die Behandlung von Begleiterkrankungen möglich wird. In der Regel können die gleichen Medikamente eingesetzt werden wie bei anderen Patienten auch. Die häufigen Schwierigkeiten mit der Compliance sollen hier nur erwähnt, aber nicht weiter erörtert werden. Es gibt aber einige Besonderheiten:
1. Schmerzzustände können auch bei Substituierten vorkommen, denn Methadon verliert mit der Gewöhnung seine analgetische Wirksamkeit. Schmerzen sind zunächst mit peripher wirksamen Analgetika zu therapieren. Sofern wegen der Schwere der Erkrankung Opiate eingesetzt werden müssen, ist darauf zu achten, daß keine Opiate mit antagonistischem Anteil verordnet werden (wie z.B. Buprenorphin [Temgesic], Pentazocin [Fortral], Tilidin [Valoron]). Als Schmerzmittel eignen sich kurzwirksame Opiate wie Morphin (Morphin Merck, MSI, MST Sevredol u.a.) oder Hydromorphon (Dilaudid).
2. Epileptische Anfälle sind häufig nicht Symptom einer genuinen Epilepsie, sondern Folge von Alkohol-, Barbiturat- oder Benzodiazepin-Mißbrauch. Wenn eine behandIungsbedürftige Epilepsie vorliegt, ist die Interaktion von Phenytoin mit Methadon zu beachten.
3. Bei der Behandlung einer Tuberkulose ist die Interaktion mit Rifampicin zu beachten.
4. In den letzten Jahren wird die psychiatrische Co-Morbidität drogenabhängiger Patienten international stärker beachtet (25-27). Häufig handelt es sich dabei um Persönlichkeitsstörungen, wobei narzißtische und Borderline-Störungen überwiegen. Auch psychotische Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis kommen vor, sind aber von einer kokaininduzierten Halluzinose oder Paranoia zu unterscheiden. Darüber hinaus werden affektive und Angstzustände häufig diagnostiziert. Manche Autoren berichten über die Besserung psychiatrischer Symptome unter psychotherapeutischer Behandlung (28, 29), während andere das Fortbestehen solcher Symptome unter einer Substitution ohne spezifische psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung konstatieren (18).
Für die medikamentöse Behandlung gibt es bis jetzt keine einheitlichen Behandlungsschemata. Grundsätzlich kann Methadon mit Neuroleptika und Anxiolytika kombiniert werden. Menschen mit Persönlichkeitsstörungen haben häufig depressive Symptome. Antidepressiva sind dabei aber meist nicht wirksam. Hier hilft nur eine Kombination aus Psycho-, Sozio- und Milieu-Therapie. Zu warnen ist grundsätzlich vor einer Medikation mit Benzodiazepinen, da die aufgepfropfte, wenn nicht ohnehin schon bestehende Benzodiazepin-Sucht droht.
Literatur
1. Dole, V.P., et al.: Arch. Intern. Med. 1966, 118, 304.
2. Dole, V.P., und Nyswander, M.E.: JAMA 1976, 235, 2117.
3. Olsen, G.D., et al.: CIin. Pharmacol. Ther. 1977, 21,147.
4. Goodman, L.S., und Gilman, A.: The Pharmacological Basis of Therapeutics. 8. Aufl., Pergamon Press, New York 1990.
5. Jage, J.: Anaesthesist 1989, 38, 159.
6. Poser, W., et al.: Dosierung und Dosierungskontrolle bei Methadonbehandlungen. Vortrag bei der Fachtagung „Medikamentengestützte Rehabilitation i.v.-Drogenabhängiger in Deutschland“, Berlin, 9.10.1993 (unveröffentlichtes Vortragsmanuskript).
7. Lowinson, J.H., et al.: Methadone Maintenance. In: Lowinson, J.H., et al. (Hrsg.): Substance Abuse. A Comprehensive Textbook. Williams and Wilkins, Baltimore 1992.
8. Harding-Pink, D.: Lancet 1993, 341, 665.
9. Judson, B.A., et al.: CIin. Pharmacol. Ther. 1976, 20, 445.
10. Kreek, M.J.: JAMA 1973, 223, 665.
11. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Abschlußbericht Wissenschaftliches Erprobungsvorhaben medikamentengestützte Rehabilitation bei i.v. Opiatabhängigen. Selbstverlag, Köln 1993.
12. Gerhard, U., Ladewig, D., Hobi, V.: Die kognitiv-psychomotorische Funktionstüchtigkeit von Heroinabhängigen in einem Methadon-Substitutions-Therapieprogramm unter besonderer Berücksichtigung der Fahrtauglichkeit. Psychiatr. Univ.-Klinik Basel (unveröffentlichtes Manuskript).
13. Novick, D.M., et al.: Drug and Alcohol Dependance 1993, 33 (3), 235.
14. Cicero, T.J., et al.: N. Engl. J. Med. 1975, 292, 882.
15. Reynolds, J.E.F. (Hrsg.): Martindale. The Extra Pharmacopoeia. 30. Aufl., The Pharmaceutical Press, London 1993.
16. Kreek, M.J.: Exogenous opioid: Drug disease interactions. In: Foley, K.M., und Inturrisi, C.E.: Opioid analgesics in the management of clinical pain. Advances in pain research and therapy, Vol. 8, Raven Press, New York 1986.
17. Verthein, U., et al.: Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie 1994, 44, 128.
18. Ball, J.C., und Ross, A.: The Effectiveness of Methadone Maintenance Treatment. Springer, New York 1991.
19. Weber, R., et al.: Brit. Med. J. 1990, 301,1362.
20. GöIz, J.: AIDS Nachrichten aus Forschung und Wissenschaft 1994, 1, 14.
21. Groenblad, L., et al.: Acta psychiatrica Scand. 1990, 82, 223.
22. Raschke, P.: Substitutionstherapie. Ergebnisse Iangfristiger Behandlung von Opiatabhängigen. Lambertus, Freiburg i. Br. 1994.
23. Dt. Ärztebl. 1996, 93, B-2079 (Heft 41).
24. Bühringer, G., et al.: Methadon-Expertise. Expertise Einsatz von Methadon bei der Behandlung von Opiatabhängigen in Deutschland. Band 55 Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit. Bayreuth 1995.
25. Kokkevi, A., und Stefanis, C.: Comprehensive Psychiatry 1995, 36 (5), 329.
26. Service Department of Mental Health, Amsterdam: J. Substance Abuse Treatment 1992, 9, 43.
27. Verheul, R., et al.: Eur. Addict. Res. 1995, 1, 166.
28. Woody, G.E., et al.: Arch. Gen. Psychiatrie 1983, 40, 639
29. Woody, G.E., et al.: Am. J. Psychiatry 1984, 141, 1172.