Seit der Erstbeschreibung durch William Withering im Jahre 1785 wird Digitalis zur Behandlung der Herzinsuffizienz eingesetzt. Während die Wirksamkeit bei gleichzeitigem Vorhofflimmern zur Frequenzkontrolle wenig umstritten ist, wurde der Nutzen von Digitalis zur Behandlung der Pumpschwäche bei Sinusrhythmus immer in Frage gestellt (s.a. AMB 1994, 28, 10). So spielte Digitalis in den USA nie die Rolle wie in Europa, speziell in Deutschland. Hier wurde die positiv inotrop wirkende Substanz lange als das wichtigste Prinzip in der Herzinsuffizienztherapie angesehen und entsprechend häufig verordnet. Therapieziel war die Verbesserung der systolischen Pumpfunktion mit Verschiebung der Frank-Starling-Kurve nach links oben. Vor dem Hintergrund dieses pathophysiologischen Konzeptes wurde die Wirksamkeit von Digitalis täglich empirisch unter Beweis gestellt. Kritisch wurden Digitalisglykoside jedoch beurteilt wegen ihrer möglichen Nebenwirkungen wie Arrhythmien und Gefahr einer Intoxikation.
In den vergangenen Jahren wurde mehr über andere Wirkungen von Digitalis bekannt; besonders die Modulation der neurohumoralen Aktivierung rückte in den Mittelpunkt des Interesses: Digitalis dämpft besonders in den niedrigen Dosisbereichen den Sympathikotonus in Abhängigkeit von der Schwere der Herzinsuffizienz (s.a. AMB 1992, 26, 124). Dabei spielt die Verbesserung der alterierten Sensitivität der kardiopulmonalen und arteriellen Barorezeptoren durch Digitalis eine Rolle. Dagegen wird der positiv inotrope Effekt überwiegend mit höheren Dosierungen erzielt, ein Bereich, in dem die Gefahren den Nutzen überwiegen können.
Aus mehreren klinischen Studien in den vergangenen Jahren ergaben sich Hinweise auf die Wirksamkeit von Digitalis, d.h. Verbesserung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit und der „Lebensqualität“ herzinsuffizienter Patienten. In diesen Studien diente Digitalis allerdings meist als Kontrolle, nie war es die primär und allein untersuchte Substanz. Zudem wurden nicht der Einfluß auf die Letalität, sondern Surrogate wie Morbidität und Ejektionsfraktion als primäre Endpunkte verwendet (PROVED-, RADIANCE-, CADS-Studie: AMB 1994, 28, 10). Die wichtige Frage, ob Digitalis die Lebenserwartung bei Herzinsuffizienz verlängert, wurde bislang nie direkt untersucht. Dies ist vermutlich durch mangelndes ökonomisches Interesse und fehlende Studiensponsoren begründet. Erst mit der jetzt erschienenen DIG-Studie (Digitalis Investigation Group), einer durch öffentliche Gelder finanzierten multizentrischen Überlebensstudie unter der Federführung von R. Gorlin et al., wurde diese längst überfällige Untersuchung endlich nachgereicht (N. Engl. J. Med. 1997, 336, 525).
In diese randomisierte doppeltblinde, plazebokontrollierte Studie wurden 6800 Patienten mit einer Ejektionsfraktion unter 45% (im Mittel 28%) und Sinusrhythmus eingeschlossen. Das mittlere Alter der Studienpatienten betrug 63,5 Jahre. Die Genese der Herzinsuffizienz war bei 70% eine koronare Herzerkrankung, 15% litten an einer dilatativen Kardiomyopathie, 9% an einem Cor hypertonicum; 67% der Patienten waren beim Einschluß in NYHA-Klasse I oder II, 30% in Klasse III und 2% in Klasse IV. 34% hatten einen Herz/Thorax-Quotienten im Röntgenbild über 55%. Die Basismedikation bestand bei 94% aus ACE-Hemmern, 82% nahmen Diuretika und 42% Nitrate ein. Nach der Randomisierung erhielten die Patienten Digoxin (n = 3397) in einer nach Alter, Gewicht, Geschlecht und Nierenfunktion errechneten Dosis oder Plazebo (n = 3403) in oraler Form. Die Digoxin-Serumkonzentration wurde zweimalig kontrolliert und lag im Durchschnitt bei 0,8 bis 0,9 ng/ml. Der mittlere Beobachtungszeitraum betrug 3 Jahre (28-58 Monate).
Die Ergebnisse der DIG-Studie zeigen keinen Unterschied beim primären Endpunkt Letalität (Tab. 1). Es fanden sich jedoch signifikante Vorteile in der Digoxin-Gruppe: die Patienten mußten seltener ins Krankenhaus wegen einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz.
Es wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen bezüglich der Häufigkeit von beobachteten Kammer- und Vorhofarrhythmien sowie ischämischen kardialen oder zerebralen Ereignissen beobachtet. Es kam jedoch in der Digitalis-Gruppe häufiger zu Krankenhausaufnahmen wegen einer vermuteten Digitalisintoxikation (2% vs. 0,9%).
In den interessantesten Subgruppen ergaben sich für den kombinierten Endpunkt „Tod oder Krankenhausaufnahme wegen Verschlechterung der Herzinsuffizienz“ folgende Ergebnisse, die in Tab. 2 wiedergegeben sind.
Zusammenfassend können aus den vorgelegten Daten folgende Schlüsse gezogen werden:
1. Digitalis wirkt nicht Iebensverlängernd bei Patienten mit Herzinsuffizienz und Sinusrhythmus.
2. Digitalis verbessert die „Lebensqualität“ herzinsuffizienter Patienten mit Sinusrhythmus durch eine Verminderung kardialer Dekompensationen (RR = 0,72) und seltenere Krankenhausaufenthalte (RR = 0,92). Rechnet man den erzielten Effekt jedoch auf 1000 Patienten und ein Jahr um, dann ergibt sich gerade eine Ersparnis von 40 Krankenhaustagen oder 9 Krankenhausepisoden. Diese Größe ist bei der Entscheidung zur Therapie mit Digitalis zu bedenken.
3. Eine Verbesserung der „Lebensqualität“ läßt sich vorwiegend bei Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz (NYHA III und IV, EF < 25% und Herz/Thorax-Quotient > 55%) und bei Patienten mit nicht ischämischer Herzinsuffizienz erzielen.
4. Digitalis führt, wenn es nach Alter, Gewicht, Geschlecht und Nierenfunktion angepaßt dosiert wird, nicht zu einer erhöhten Gesamtsterblichkeit wie andere positiv inotrope Substanzen. Möglicherweise kommt es unter Digitalis jedoch etwas häufiger zum Plötzlichen Herztod. Eine Diskussion zu den Effekten bei hohen und niedrigen Digoxin-Dosierungen ist noch zu führen.
Fazit: Digitalis verlängert nicht das Leben bei Herzinsuffizienz und Sinusrhythmus. Digitalis verbessert jedoch die „Lebensqualität“ dieser Patienten durch Verminderung kardialer Dekompensationen und seltenere Krankenhausaufenthalte. Digitalis bleibt ein wirksames Mittel bei Herzinsuffizienz, rückt jedoch hinter ACE-Hemmer (und möglicherweise Betablocker) ins zweite Glied zurück.