Der Arzneiverordnungs-Report 97 (den wir in den vergangenen Jahren regelmäßig besprochen haben; Anm. d. Red.) darf vorerst nicht erscheinen. Wegen der kritischen Äußerungen zur Wirksamkeit von sogenannten umstrittenen Arzneimitteln haben drei Pharmaunternehmen (Bionorica, Dr. Wilmar Schwabe, Strathmann; Anm. d. Red.) einstweilige Verfügungen bei den Landgerichten Hamburg und Düsseldorf erwirkt, welche die Veröffentlichung vorerst untersagen. Professor Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, wertet diesen „juristischen Schachzug“ als erneuten schweren Angriff auf die Meinungsfreiheit und die wissenschaftliche Auseinandersetzung über Arzneimittel in Deutschland. Damit wird ihr und anderen Institutionen eines der wichtigsten Instrumente genommen, um die Ärzteschaft unabhängig und kritisch in rationaler Arzneitherapie zu beraten.
Im Arzneiverordnungs-Report bewerten namhafte Pharmakologen und Ärzte aus Wissenschaft und Praxis seit 13 Jahren die kassenärztlichen Verordnungen. Dabei werden einzelne Arzneimittelgruppen wegen nicht überzeugender Wirksamkeitsnachweise kritisch beurteilt. In Deutschland sind derzeit immer noch 70% der rund 50000 Arzneimittel ohne Überprüfung von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Handel. Viele der umstrittenen Arzneimittel sind in anderen europäischen Ländern und den USA nicht erhältlich.
Die Klage der Pharmafirmen zielt nicht auf die Frage, ob die Bewertung der Autoren zutrifft. Müller-Oerlinghausen hierzu: „Offensichtlich zweifeln die klagenden Firmen selbst daran, daß sie in einer wissenschaftlichen Diskussion die Wirksamkeit der kritisierten Produkte überzeugend darstellen können.“ Ihre juristische Argumentation basiere deshalb ausschließlich auf der wettbewerbsrechtlichen Frage, ob die Spitzenverbände der Krankenkassen die im GKV-Arzneimittelindex erhobenen Marktdaten an unabhängige Wissenschaftler weitergeben dürften mit der möglichen Konsequenz, daß die Bewertung gegebenenfalls zu Umsatzeinbußen kritisch beurteilter Präparate führt. Die Bemühungen um die von der Öffentlichkeit seit Jahren geforderte Transparenz des Arzneimittelmarktes haben durch diese einstweilige Verfügung wiederum einen empfindlichen Rückschlag erlitten.
Anm. d. Redaktion: Manche Pharmafirmen lieben offenbar das Chaos. Sie sind aus merkantilen Gründen gegen die Transparenz- und die Positivliste, ja sogar gegen die Dokumentation der Arzneimittelverschreibung in Deutschland. Sie fischen gern im Trüben. Es müßte angesichts dieses erneuten Maulkorbs ein Aufschrei der Empörung durch die deutsche Ärzteschaft gehen, die ein Recht hat, diese Daten zu erfahren.