Im März 2023 hat die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) einen Leitfaden „Medikamentöse Cholesterinsenkung zur Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse“ vorgestellt. Mit diesem sollen Ärztinnen und Ärzte dabei unterstützt werden, „eine begründete Auswahl von Arzneimitteln zur Cholesterinsenkung mit dem Ziel einer Vorbeugung kardiovaskulärer Ereignisse zu treffen“.
In dem Leitfaden werden u.a. Nutzen und Risiken der 4 wichtigsten Wirkstoffgruppen untersucht: HMG-CoA-Reduktase-Hemmer (Statine), Cholesterinresorptionshemmer (Ezetimib), PCSK9-Hemmer (Alirocumab, Evolocumab) und ACL-Hemmer (Bempedoinsäure). Das Ergebnis ist auf 24 gut lesbaren Seiten (ohne Vorworte und Methodikteil) barrierefrei auf der Homepage der AkdÄ abrufbar [1]. Die verfassende Arbeitsgruppe besteht aus 7 Autorinnen und Autoren aus der Allgemeinmedizin, Inneren Medizin und Pharmakologie. Die Projektkoordination hatte Natascha Einhart von der AkdÄ. Alle Autoren geben an, keine Interessenkonflikte zu haben.
Insgesamt wurden 10 Forschungsfragen zu zwei Ausgangssituationen gestellt: 1.) Primärprävention: Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren aber ohne manifeste atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen (ASCVD) und 2.) Sekundärprävention: Patienten mit manifester ASCVD. Die Fragen werden nach dem sog. „PICO-Schema“ (Population – Intervention – Comparator – Outcome) strukturiert. Zur Beantwortung der Fragen wurden ausschließlich randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) und systematische Reviews (SR) aus RCT einbezogen. Das genaue Vorgehen (gewählte Suchbegriffe, Trefferanzahl, Qualitätsbewertung der relevanten RCT und SR etc.) wird im Rechercheprotokoll auch publiziert. Die eigenen Ergebnisse werden mit den Empfehlungen aus 6 verschiedenen nationalen und internationalen Leitlinien zum gleichen Thema verglichen, darunter auch die der Europäischen kardiologischen Gesellschaft und Europäischen Atherosklerosegesellschaft (ESC/EAS) aus dem Jahr 2021, die ja bekannterweise mit sehr ambitionierten Zielwerten für das LDL-Cholesterin operiert und für viele Kardiologen und Neurologen heute wegweisend ist [2].
Die Einschätzungen der Autoren des Leitfadens decken sich mit dem, was an dieser Stelle schon mehrfach publiziert wurde [3]. Einige aus unserer Sicht für den klinischen Alltag wichtige Ergebnisse der AkdÄ-Recherche sollen hier aber nochmals dargestellt werden.
- Atherosklerose ist Teil des natürlichen Alterungsprozesses. Sie ist zwar ein Risikofaktor für die Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen, aber per se keine Krankheit. Daher sind Personen mit nachgewiesener Atherosklerose – sei es als Zufallsbefund oder im Rahmen einer Screening-Untersuchung – ohne dass eine ASCVD manifest ist, weiterhin in die Gruppe Primärprävention einzuordnen.
- Die Senkung von Blutfetten ist kein patientenrelevanter Endpunkt, sondern ein Surrogatparameter, d.h. ein einfach und schnell zu messender Wert, von dem eine Assoziation mit patientenrelevanten Endpunkten angenommen wird. Für eine Behandlungsentscheidung muss ein Patient nach entsprechender Information abschätzen können, welchen Nutzen er persönlich von einer Intervention erwarten kann und welche Risiken sie hat.
- Personen ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen profitieren von einer Statin-Therapie, und zwar umso mehr, je höher ihr berechnetes Grundrisiko für kardiovaskuläre Ereignisse ist (empfohlener Risikorechner für Hausärzte: „arriba“; [4]). Dies gilt jedoch nicht für Personen mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz (Nutzen unklar) oder familiären Fettstoffwechselstörungen (Nutzen wahrscheinlich hoch). Im Umkehrschluss gilt auch: Je niedriger das berechnete kardiovaskuläre Grundrisiko, desto geringer ist die absolute Risikoreduktion durch Statine.
- Es gab zum Zeitpunkt der Publikation keine RCTs und keinen SR, weder in der Primär- noch in der Sekundärprävention, mit einem Vergleich einer zielwertgesteuerten Statin-Behandlung versus einer festen Dosis. Somit ließ sich auch nicht beurteilen, ob die von der ESC propagierte und vielerorts verfolgte Cholesterin-Strategie („the lower the better“) klinisch günstiger ist als eine Behandlung mit einer moderaten Statin-Dosis. : Zwischenzeitlich wurde die LODESTAR-Studie publiziert, in der eine Behandlung auf ein LDL-Cholesterin-Ziel zwischen 50-70 mg/dl gegen eine Hochdosis-Statin-Therapie bei Hochrisikopatienten verglichen wurde. Es zeigte sich – immerhin – eine „Nicht-Unterlegenheit“ der Zielwert-Strategie (vgl. [5]).
- Bei Patienten mit manifester koronarer Herzkrankheit (KHK) senkt eine Behandlung mit Statinen in mittlerer Dosierung die Risiken für Myokardinfarkte, Schlaganfälle und Tod. Eine Steigerung der Dosierung (Hochdosis-Statin-Therapie) führt zu einer weiteren, aber geringfügigen Reduktion von nicht-tödlichen Myokardinfarkten. Die „Number Needed to Treat“ (NNT) beträgt – um einen zusätzlichen Myokardinfarkt zu verhindern – verglichen mit einer moderaten Statin-Dosis, 100 über 5 Jahre. Diesem Nutzen steht ein höheres Risiko für Muskelbeschwerden, Leberfunktionsstörungen sowie die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes mellitus gegenüber. Für Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit oder nach ischämischem Schlaganfall liegen keine Beweise für den Nutzen einer Hochdosistherapie mit Statinen vor.
- Ezetimib senkt bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ASC) die Häufigkeit nicht-tödlicher Herzinfarkte, wenn es zusätzlich zu einer moderaten Statin-Dosis eingenommen wird. Der Effekt ist jedoch gering. Am deutlichsten profitieren Menschen ≥ 75 Jahre und solche mit Diabetes mellitus. Die Sterblichkeit wird durch Ezetimib nicht günstig beeinflusst. Der Nutzen der Monotherapie, beispielsweise bei Statin-Unverträglichkeit, lässt sich mangels Daten nicht beurteilen.
- PCSK9-Hemmer senken, zusätzlich zu Statinen gegeben, bei Patienten mit symptomatischen ASCVD (v.a. ACS) die Häufigkeit von Myokardinfarkten und ischämischen Schlaganfällen. Der additive Nutzen ist jedoch gering (NNT: 85-100 für die Reduktion von Myokardinfarkten bzw. 250 für ischämische Schlaganfälle bei einer Behandlungsdauer von 2,5 Jahren). Die bisherigen Studien belegen nicht, dass PCSK9-Hemmer die Gesamtsterblichkeit oder die kardiovaskuläre Sterblichkeit senken. Es liegen keine ausreichenden Beweise vor für eine klinische Wirksamkeit von PCSK9-Hemmern bei Statin-Intoleranz.
- Bempedoinsäure war hinsichtlich ihres klinischen Werts zum Zeitpunkt der Publikation des Leitfadens noch nicht ausreichend zu beurteilen. Inzwischen wurden jedoch die Ergebnisse der CLEAR-Outcomes-Studie publiziert. Hier zeigte sich bei Statin-intoleranten Personen mit hohem kardiovaskulärem Risiko eine signifikante Verhinderung von Herzinfarkten und Koronarinterventionen: um relativ 13% in 3,4 Jahren. Die Letalität wurde nicht günstig beeinflusst. Daher ist auch Bempedoinsäure kein gleichwertiger Ersatz von Statinen (vgl. [6]).