Frage von Dr. W.K. aus Berlin: >> Eine 66jährige, somnolente Patientin wurde mit akutem Nierenversagen und Hypothermie (32,8 °C) aufgenommen. RR 100/30 mmHg, Puls 97/ Min., zentraler Venendruck +18 cm H2O. Einige Laborwerte: pH arteriell: 6,75, BE -30 mmol/l, Kreatinin 9,6 mg/dl, Laktat 32,1 mmol/l, Blutzucker 125 mg/dl, Kalium 5,9 mmol/l. Keine Sepsis, kein Leberversagen, keine respiratorische Insuffizienz. Anamnestisch wurde bekannt, daß ein nicht insulinpflichtiger Diabetes mellitus seit Jahren mit Metformin in der Kombination mit Glibenclamid und einem ACE-Hemmer behandelt wurde. Anamnestisch keine Niereninsuffizienz, kein Leberschaden, keine pulmonale Erkrankung, keine Herzinsuffizienz. Die Patientin erholte sich nach intensivmedizinischer Behandlung und mehreren Dialysen und konnte geheilt nach Hause entlassen werden. Wie häufig sind Laktatazidosen als Komplikation der Behandlung mit Metformin? <<
Antwort: >> Phenformin und Buformin wurden zum 1. Juli 1978 vom Markt genommen, weil unter der Therapie mit diesen Substanzen häufig lebensbedrohliche Laktatazidosen aufgetreten waren. Metformin blieb erhältlich und hat seinen Platz in der Behandlung des Typ-2-Diabetes meIlitus gehalten (vgl. UKPDS-Studie: AMB 1998, 32, 81). Aber auch unter Behandlung von Metformin kommen Laktatazidosen vor. Daran erinnert die Beobachtung aus Berlin.
Milchsäureazidose ist die Folge einer mangelhaften O2-Versorgung in den Zellen und begleitet daher alle bedrohlichen Schockzustände. Sie kommt aber auch bei terminalem Leberversagen vor. Gemeinsam ist allen diesen Zuständen eine Störung des oxidativen Glukoseabbaus, speziell in den Mitochondrien. Auch die Biguanide greifen in den mitochondrialen Substratstoffwechsel ein. Es fragt sich nun, ob die Milchsäureazidose eine Nebenwirkung dieser Substanzgruppe ist oder überwiegend bei Phenformin und Buformin vorkommt. Leider sind die Daten sehr spärlich.
Aus den Unterlagen einer großen Krankenkasse in Kalifornien geht hervor (1), daß bei Typ-2-Diabetikern ohne Metformin-Behandlung auf 10000 Behandlungsjahre eine Laktatazidose zu erwarten ist. Die gleiche Häufigkeit fand sich allerdings auch unter Metformin-Behandlung, so daß gemutmaßt wurde, daß es sich eher um eine Koinzidenz als um eine kausale Beziehung handelt (1). Es wird allerdings nicht klar, wie verläßlich die Meldungen über die Häufigkeit von Laktatazidosen waren, speziell ohne Metformin-Behandlung. Die Food and Drug Administration (FDA) berichtet über eine Häufigkeit von fünf Fällen auf 100000 mit Metformin behandelten Personen (2). Leider fehlt auch hier eine Zeitangabe (pro Jahr?). Bei den früher vom Markt genommenen Biguaniden mußte man von einer Häufigkeit von einer bedrohlichen Laktatazidose auf 1000 Behandlungsjahre ausgehen. Da Metformin ganz wesentlich renal ausgeschieden wird, steigt seine Konzentration mit fallender Kreatinin-Clearance. Je höher die Metformin-Konzentration, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß eine Laktatazidose auftritt, wenn auch diese Korrelation nicht streng ist. Daher sind Nieren-, aber auch Leber- und Herzinsuffizienz zu Recht Kontraindikationen von Metformin. Es gibt aber auch Interaktionen mit anderen Pharmaka, welche die Metformin-Konzentration ansteigen lassen können, z.B. Cimetidin (3). Häufig sind es nicht beachtete oder unterschätzte Kontraindikationen, die zur Laktatazidose führen (4). Die aus Berlin berichtete Patientin hatte eine schwere Niereninsuffizienz, die sich allerdings nach Abschluß der Behandlung fast völlig zurückbildete. War die passagere Niereninsuffizienz Ursache der Laktatazidose oder umgekehrt? Diese Frage läßt sich im nachhinein nicht mehr beantworten. Eines aber ist sicher: die Kontraindikationen von Metformin müssen streng eingehalten werden. Bei interkurrenten Erkrankungen, speziell solchen, die mit einer Abnahme der Nierenfunktion einhergehen können, muß die Kreatinin-Clearance engmaschig überprüft oder Metformin abgesetzt werden. Ganz besonders bei schweren Grunderkrankungen darf Metformin nicht eingesetzt werden, denn die Prognose der Metformin-induzierten Laktatazidose ist stärker von der Grunderkrankung als von der Metformin-Serumkonzentration abhängig (5, 6). Es könnte sein, daß Laktatazidosen unter der Behandlung mit Metformin häufiger vorkommen als man das z.Z. annimmt. Die Leser des ARZNEIMITTELBRIEFS sollten darauf achten und entsprechende Fälle unbedingt der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, dem BfArM oder auch dem ARZNEIMITTELBRIEF melden. <<
Literatur
- Brown, J.B., et al.: Diabetes Care 1998, 21, 1659.
- Misbin, R.I., et al.: N. Engl. J. Med. 1998, 338, 265.
- Somogyi, A., et al.: Brit. J. Clin. Pharm. 1987, 23, 545.
- Sulkin, T.V, et al.: Diabetes Care 1997, 20, 925.
- Lalau, J.D., et al.: Diabetes Care 1995, 18, 779.
- Lalau, J.D., et al.: Diabetes Care 1998, 21, 1366.