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Vergleich der Wirkung von vier blutzuckersenkenden Wirkstoffen auf die Nierenfunktion in frühen Stadien des Typ-2-Diabetes. Die GRADE-Studien [CME]

Nach Schätzungen der „International Diabetes Foundation“ (IDF) haben heute > 0,5 Mrd. Menschen einen Diabetes mellitus (DM; [1]). Eine wichtige und die Prognose ungünstig beeinflussende Komplikation des DM ist die diabetische Nephropathie. Diese kann und soll durch eine gute Kontrolle von Blutdruck und Blutzucker verzögert werden [2]. Einigen Antidiabetika werden zudem eigene, sog. „nephroprotektive Effekte“ zugeschrieben, die unabhängig vom Ausmaß der Senkung von Blutzucker, Blutdruck und Körpergewicht sein sollen. Dazu zählen Metformin (vgl. [3]), die Natrium-Glucose-Cotransporter-2-Inhibitoren (SGLT2-I; vgl. [4]) und die „Glucagon-like Peptide-1“-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA; vgl. [5]). Vergleichende oder Langzeitstudien sind jedoch rar.

Die GRADE-Studien untersuchten jetzt, ob und in welchem Ausmaß Patienten in einem frühen Stadium von Typ 2 DM (DMT2) von vier verschiedenen Antidiabetika profitieren, wenn Metformin allein nicht ausreicht, um einen HbA1c-Wert < 7% zu erzielen [6]. Die multizentrische Studie wurde mit öffentlichen Mitteln finanziert; die Studienleitung hatte das „Massachusetts General Hospital Diabetes Center“ der „Harvard Medical School“.

Studiendesign: In den Jahren 2013-2017 wurden insgesamt 5.047 Personen ≥ 30 Jahre (im Mittel 4,2 Jahre) mit DMT2 und einer Krankheitsdauer von < 10 Jahren eingeschlossen. Zu den 28 Ausschlusskriterien zählten u.a. eine Vorgeschichte mit Herzinsuffizienz (NYHA-Klasse ≥ III) oder Pankreatitis, ein erhöhtes Serum-Kreatinin (Frauen: > 1,4 und Männer: > 1,5 mg/dl) oder eine Behandlung mit Antipsychotika.

Alle erhielten in einer „Run-In“-Phase zunächst 1-2 g Metformin täglich. Wenn der HbA1c-Wert hiermit > 7% lag, wurden sie für die Behandlung mit einem zusätzlichen, gängigen Antidiabetikum randomisiert: mit dem Dipeptidylpeptidase-4-Hemmer (DPP4-H) Sitagliptin (n = 1.268), dem GLP1-RA Liraglutid (n = 1.262), dem Sulfonylharnstoff (SH) Glimepirid (n = 1.254) oder dem Basalinsulin Glargin (n = 1.263; vgl. [7]), jeweils in den in den Fachinformationen empfohlenen Dosierungen. SGLT2-I waren zu Beginn der GRADE-Studie in den USA noch nicht zugelassen. Daher fehlt ein solcher Behandlungsarm.

Anmerkung: In Deutschland betrugen die Verordnungen von Metformin im Jahre 2021 insgesamt 698 Mio. Tagesdosen (DDD = „Daily Defined Doses“) mit Nettokosten von 0,21 € pro DDD. Von DDP4-A wurden 414 Mio. DDD verordnet (Nettokosten pro DDD: 1,35 €), von GLP1-A 178 Mio. DDD (Nettokosten pro DDD: 2,94 €), von Insulin Glargin 215 Mio. DDD (Nettokosten pro DDD: 1,77 €) und von Glimepirid 103 Mio. DDD (Nettokosten pro DDD: 0,14 €; [8]).

Therapieziel war ein HbA1c-Wert < 7%. Wenn dieser im Studienverlauf trotz Zweifachtherapie > 7,5% anstieg, konnte Insulin hinzugegeben werden. Die Behandlung erfolgte offen; die Laboranalysen und die Auswertungen der Ereignisse waren verblindet. Die durchschnittliche Nachbeobachtung betrug 5 Jahre, wobei 85% der Studienpatienten mindestens 4 Jahre lang nachbeobachtet wurden.

Ergebnisse: Das mittlere Alter der Studienteilnehmer betrug 57,2 Jahre; 36,4% waren Frauen; der Body-Mass-Index (BMI) lag durchschnittlich bei 34,3 kg/m2; 66,2% hatten eine arterielle Hypertonie und 6,5% eine Vorgeschichte mit Schlaganfall oder Myokardinfarkt.

Die Ergebnisse zur Blutzuckerkontrolle und Verträglichkeit wurden bereits im September 2022 im N. Engl. J. Med. veröffentlicht [9]. Die kumulative Inzidenz einer unzureichenden Blutzuckerkontrolle war primärer, sog. „metabolischer Endpunkt“ (Definition: HbA1c ≥ 7%). Er war mit Glimepirid und Sitagliptin (38 bzw. 30 pro 100 Behandlungsjahre) signifikant schlechter als mit Insulin Glargin und Liraglutid (jeweils 26 pro 100 Behandlungsjahre). Klinisch bedeutsame Hypoglykämien waren insgesamt selten, traten aber signifikant häufiger unter dem SH Glimepirid auf (2,2% vs. 1,3%) unter Insulin Glargin, 1,0% unter Liraglutid und 0,7% unter Sitagliptin). Gastrointestinale Nebenwirkungen wurden am häufigsten unter Liraglutid gemeldet (43,7% vs. 33-35% in den anderen drei Armen). Die Studienmedikation wurde bei etwa jedem fünften Patienten dauerhaft abgesetzt: 23% im Glimepirid- und Liraglutid-Arm, 19% im Sitagliptin- und 14% im Insulin-Glargin-Arm. Bemerkenswert ist noch, dass es unter Liraglutid (-3,5 kg) und Sitagliptin (-2,0 kg) zu einem höheren Gewichtsverlust kam als in den anderen Behandlungsarmen (-0,6 bzw. -0,7 kg).

Über die mikrovaskulären und kardiovaskulären Ereignisse wurde in einer zweiten Publikation in der gleichen Ausgabe des N. Engl. J. Med. berichtet [10]. Dabei fanden sich nach 5 Jahren keine Unterschiede, weder hinsichtlich der Entwicklung von Bluthochdruck oder Dyslipidämie, noch einer Albuminurie oder einer diabetischen Neuropathie. Im Liraglutid-Arm wurden jedoch signifikant weniger kardiovaskuläre Komplikationen gezählt als im Durchschnitt (6,6 vs. 8,6 pro 100 Personenjahre) und der kombinierte Endpunkt MACE („Major Adverse Cardiovascular Event“), bestehend aus erstem, nicht-tödlichem Myokardinfarkt oder Schlaganfall oder kardiovaskulärem Tod trat bei 3,8 pro 100 Personenjahre auf (vs. 4,8 im Durchschnitt). Es wurden im Liraglutid-Arm auch weniger Krankenhausaufenthalte wegen Herzinsuffizienz (1,1 vs. 2,0), kardiovaskuläre Todesfälle (0,7 vs. 1,3) und Todesfälle insgesamt (2,1 vs. 3,0) gezählt.

Über die Auswirkungen der vier Therapieregime auf die Nierenfunktion wurde nun im Mai 2023 detailliert berichtet [6]. Für diese Analyse wurden zwei Endpunkte gewählt: die Änderung der eGFR zwischen dem ersten Jahr und dem Ende der Nachbeobachtungszeit („chronic eGFR-Slope“) sowie ein kombinierter Endpunkt „Progression der Nierenerkrankung“, bestehend aus der Zunahme der Albuminurie, Nierentransplantation, Dialyse oder Tod durch eine Nierenerkrankung.

Die eGFR betrug bei Studienbeginn im Mittel 94,9 ml/min/1,73 m2; 125 Studienteilnehmer (2,5%) hatten eine eGFR < 60 ml/min/1,73 m2. Der Albumin/Kreatinin-Quotient (ACR = „Albumine Creatinine Ratio“) betrug im Mittel 6,4 mg/g. Er war bei 14% mäßig (≥ 30 mg/g) und bei 1,7% deutlich erhöht (≥ 300 mg/g). Die eGFR wurde im Studienverlauf bei jedem Studienteilnehmer durchschnittlich 5,4 mal und die ACR 9,8 mal gemessen.

Es zeigte sich, dass die mittlere eGFR in allen vier Armen im Mittel um 2,0 ml/min/1,73 m2 pro Jahr abnahm. Zum Vergleich: bei vergleichbaren Personen ohne DM wäre eine Abnahme um 1 ml pro Jahr zu erwarten. Es gab auch keine Unterschiede hinsichtlich der Progression zu einer eGFR < 60 ml/min/1,73 m2 oder zu einer Abnahme der eGFR um > 40% innerhalb von 4 Jahren. Der zweite Endpunkt „Progression der Nierenerkrankung“ wurde bei 592 Studienteilnehmern erreicht (11,7%). In den allermeisten Fällen handelte es sich dabei um eine Zunahme der Albuminurie. Nur 10 Personen wurden dialysepflichtig, benötigten eine Nierentransplantation oder starben wegen terminaler Niereninsuffizienz. Auch hier gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den vier Behandlungsarmen: mit Insulin Glargin 10,3%, mit Glimepirid 10,4%, mit Liraglutid 10,1% und mit Sitagliptin 9,3%. Diese Ergebnisse waren konsistent, sowohl in einer explorativen Per-Protokoll-Analyse und in verschiedenen Subgruppenanalysen.

Diskussion: Die GRADE-Studien zeigen, dass sich bei Patienten im frühen Stadium von DMT2 und ohne nennenswerte Organkomplikationen die Auswahl des zweiten Antidiabetikums bei unzureichender Blutzuckerkontrolle unter Monotherapie mit Metformin in erster Linie an individuellen Kriterien, wie Verträglichkeit und Komorbiditäten, orientieren sollte. Die hier getesteten vier Substanzgruppen unterschieden sich nur geringfügig: eine Behandlung mit dem SH Glimepirid birgt eine höhere Gefahr für Hypoglykämien, die mit dem GLP1-RA Liraglutid für vermehrt gastrointestinale Nebenwirkungen. Dafür hat Liraglutid günstigere Auswirkungen auf das Körpergewicht und auf kardiovaskuläre Endpunkte. Dies dürfte allerdings auch für die SGLT2-I gelten, die in der GRADE-Studie nicht geprüft wurden.

Hinsichtlich der sog. „Nephroprotektion“ fanden sich keine Unterschiede zwischen den vier Substanzgruppen, wobei vier Jahre Nachbeobachtung hierfür möglicherweise zu kurz sind. Allerdings sind neue und längere vergleichende Studien nicht sehr wahrscheinlich.

Die in GRADE beobachtete Inzidenz einer progredienten Nierenerkrankung ist niedriger als in der UKPDS-Kohorte von Patienten mit neu diagnostiziertem DM (ca. 20%), was ein besseres allgemeines Blutzucker- und Blutdruckmanagement sowie den vermehrten Einsatz von Hemmstoffen des Renin-Angiotensin-Systems widerspiegeln dürfte (im Studienverlauf 64,4%). Andererseits ist die Abnahme der eGFR größer als im Plazebo-Arm der EMPA-REG-Outcome Studie mit SGLT2-I (1,46 ml/min/1,73 m2 pro Jahr). Solche indirekten Vergleiche sind jedoch problematisch.

Das Fehlen eines Behandlungsarms mit SGLT2-I, die Nachbeobachtungszeit von nur 4 Jahren und die insgesamt geringe Zahl renaler Ereignisse nennen die Autoren als wichtigste Einschränkungen hinsichtlich der Aussagekraft der Studienergebnisse. Außerdem könnte der größere Gewichtsverlust in der Liraglutid- und Sitagliptin-Gruppe zu einer Überschätzung der ACR geführt und die Ergebnisse in Richtung Null verzerrt haben.

Fazit

Bei Patienten im frühen Stadium von Typ-2-Diabetes mellitus (im 1. Jahrzehnt nach der Diagnose und ohne Organkomplikationen), die unter einer Basisbehandlung mit Metformin unzureichend behandelt waren und deshalb zusätzlich Sitagliptin oder Liraglutid oder Glimepirid oder Basalinsulin Glargin erhielten, konnte bei keinem dieser Wirkstoffe in der GRADE-Studie ein Vorteil hinsichtlich Verhinderung einer diabetischen Nephropathie nachgewiesen werden. Daher sollte sich in dieser Situation die Auswahl des zweiten Antidiabetikums mehr an der Verträglichkeit des Wirkstoffs, den Komorbiditäten und auch am Preis orientieren. SGLT2-Inhibitoren waren zu Beginn der GRADE-Studie in den USA noch nicht zugelassen. Attribute wie „Nephroprotektion“ sind mehr Marketing als Faktum und sollten nicht bedenkenlos übernommen werden.

Literatur

  1. IDF Diabetes Atlas 2021, 10th edition (Link zur Quelle)
  2. American Diabetes Association Professional Practice Committee: Diabetes Care 2022, 45 (Suppl. 1), S175. (Link zur Quelle)
  3. AMB 1998, 32, 81. (Link zur Quelle)
  4. AMB 2021, 55, 65. (Link zur Quelle)
  5. AMB 2021, 55, 39. (Link zur Quelle)
  6. Wexler, D.J., et al. (GRADE = Glycemia Reduction Approaches in DiabEtes): JAMA Intern Med. Published online May 22, 2023. (Link zur Quelle)
  7. AMB 2003, 37, 01. AMB 2002, 36, 09. (Link zur Quelle)
  8. Freichel, M., und Klinge, A.: Diabetes mellitus. In: Ludwig, W.-D., Mühlbauer, B., Seifert, R. (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2022. Springer Verlag Berlin 2023. S. 267. (Link zur Quelle)
  9. Nathan, D.M., et al. (GRADE = Glycemia Reduction Approaches in DiabEtes): N. Engl. J. Med. 2022, 387, 1063. (Link zur Quelle)
  10. Nathan, D.M., et al. (GRADE = Glycemia Reduction Approaches in DiabEtes): N. Engl. J. Med. 2022, 387, 1075. (Link zur Quelle)