Für die Behandlung bradykarder Herzrhythmusstörungen stehen zwei Verfahren der Schrittmacher-Therapie zur Verfügung: Die „physiologische“ Stimulation (atriale [AAI] oder Zweikammerstimulation [DDD]) und die ventrikuläre Stimulation (VVI). Die Meinung, daß die „physiologische“ Stimulation zu einer Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Letalität und auch zu einer Verbesserung der „Lebensqualität“ führt, ist allgemein verbreitet. Eine Reihe von retrospektiven (1, 2) und eine kleine prospektive Studie (3, 7) lassen vermuten, daß bei Patienten, die „physiologisch“ atrial stimuliert wurden, Schlaganfälle, Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern seltener auftraten als bei Patienten mit ventrikulär stimulierenden Schrittmachern.
Den Einfluß der Stimulationsart auf das Risiko von Schlaganfall und Tod durch kardiale Ursachen haben S.J. Connolly et al. nun in einer prospektiven, randomisierten Studie erneut untersucht (4). Insgesamt wurden 2568 Patienten eingeschlossen, die wegen einer symptomatischen Bradykardie einen Schrittmacher erhalten sollten. 1474 Patienten wurde ein ventrikelstimulierender Schrittmacher implantiert und 1094 Patienten wurden mit einem „physiologisch“ stimulierenden System versorgt. Die Patienten wurden im Durchschnitt drei Jahre nachbeobachtet. Primäre Endpunkte waren Schlaganfall oder Tod aus kardialer Ursache. Sekundäre Endpunkte waren Tod aus allen anderen Ursachen, Vorhofflimmern oder Krankenhausaufnahme wegen Herzinsuffizienz.
Bei den ventrikelstimulierenden Schrittmachern betrug die jährliche Schlaganfall- und Todesrate 5,5%, bei den „physiologischen“ Systemen 4,9% (p = 0,33). Gering, aber signifikant niedriger, war auch die jährliche Rate an Vorhofflimmern bei Patienten mit „physiologischen“ Schrittmachern (5,3% vs. 6,6%; p = 0,05%). Die geringere Inzidenz von Vorhofflimmern unter „physiologischer“ Stimulation zeigte sich erst zwei Jahre nach der Implantation. Ein – allerdings nicht signifikanter – Unterschied ergab sich auch beim Endpunkt Tod aus nicht kardialer Ursache (6,6% bei ventrikulärer vs. 6,3% bei „physiologischer“ Stimulation) und der Häufigkeit einer stationären Behandlung wegen Herzinsuffizienz (3,5% vs. 3,1%). Bei den „physiologischen“ Systemen kam es allerdings signifikant häufiger zu perioperativen Komplikationen (9,0% vs. 3,8%). Die Autoren ziehen hieraus den Schluß, daß die teuere und aufwendige „physiologische“ Stimulation in Bezug auf die Prävention von Schlaganfällen und Tod aus kardialer Ursache nur wenige Vorteile gegenüber der ventrikulären Stimulation hat. Vielleicht wären die Unterschiede noch geringer gewesen, wenn eine unphysiologisch niedrige Interventionsfrequenz von 50/min bei der VVI-Stimulation gewählt worden wäre. (Stimulation nur bei bedrohlicher Bradykardie. Anm. d. Red.).
Zu einem ähnlichen Ergebnis, d.h. kaum ein Unterschied zwischen „physiologischer“ und Einkammer-Stimulation, kamen auch schon Lamas et al. mit einer Studie zu Lebensqualität und klinischem Ergebnis bei älteren Patienten mit Einkammer-Schrittmachern im Vergleich zu Zweikammer-Schrittmachern (5). Die Autoren konnten zwar zeigen, daß sich die „Lebensqualität“ der Patienten nach der Implantation eines Herzschrittmachers signifikant bessert; dieser Zugewinn an „Lebensqualität“ war aber unabhängig von der Art des implantierten Schrittmachers. In Bezug auf die klinischen Endpunkte wie Tod oder Schlaganfall, Krankenhauseinweisung wegen Herzinsuffizienz, Auftreten von Vorhofflimmern war ebenfalls kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Stimulationsmodi festzustellen. Bei dieser Studie ist allerdings auf die hohe „Cross-over-Rate“ zwischen den Untersuchungsgruppen hinzuweisen. So wurde bei 26% der Patienten, deren Schrittmacher für eine VVI-Stimulation randomisiert wurde, der Schrittmacher in einen DDD-Modus umprogrammiert.
Vor diesem Hintergrund und dem weiterhin steigenden Einsatz teurer „physiologischer“ Schrittmachersysteme bei Patienten mit bradykarden Herzrhythmusstörungen, erscheint es uns angemessen, noch einmal auf die Zahlen der Berliner Schrittmacherstudie (BESS) hinzuweisen, die multizentrisch, prospektiv an 15 Berliner Kliniken durchgeführt wurde und deren Resultate bisher nur auf den Kongressen vorgestellt wurden. Vom 1. Juni 1991 bis 30. Mai 1992 wurden 762 Patienten, bei denen erstmals ein Herzschrittmacher implantiert wurde, eingeschlossen. Die Auswahl des Stimulationsmodus lag beim behandelnden Arzt. 600 Patienten (79%) wurden mit einen VVI-Schrittmacher versorgt, 146 (19%) erhielten einen DDD-Schrittmacher und 16 (2%) einen AAI-Schrittmacher. Die multivariate Analyse ergab, daß die Ventrikelstimulation kein unabhängiger Risikofaktor für einen kardialen Tod ist. Auch die Häufigkeit von Vorhofflimmern wurde in dieser Untersuchung durch die Verwendung von ventrikelstimulierenden Systemen nicht negativ beeinflußt, möglicherweise wegen der bedarfsadaptierten, überwiegend niedrigen Stimulationsfrequenz.
Obwohl die oben dargestellten neueren Untersuchungen aus den Jahren 1998 und 2000 die Ergebnisse der Berliner Schrittmacher-Studie im Grunde bestätigt haben, hat sich das Implantationsverhalten in Berlin in den letzten Jahren deutlich verändert: Es werden immer häufiger teure, „physiologisch“ stimulierende Aggregate verwendet, obwohl deren Nutzen nicht nachgewiesen ist (6). In Berlin erhalten z.B. zur Zeit 4% einen AAI(R)- (R = Frequenz wird an die körperliche Belastung angepaßt), 44% einen VVI(R)-, 45% einen DDD(R)- und 5,6% einen VDD-Schrittmacher. Somit werden zur Zeit in den Berliner Kliniken 56,5% aller schrittmacherpflichtigen Patienten mit „physiologischen“ Systemen versorgt.
Dieses Vorgehen entspricht den Richtlinien der Deutschen Kardiologischen Gesellschaft; sie möchte den Einsatz von ventrikulär stimulierenden Schrittmachern auf die Behandlung der Bradyarrhythmie beschränkt sehen, mit der Ausnahme, daß Patienten mit dem Syndrom des Kranken Sinusknotens mit nur seltenen asystolischen Pausen auch mit einen VVI-Schrittmacher zum Synkopenschutz versorgt werden können; dessen Frequenz sollte auf 45/min. programmiert sein. Bei allen anderen Patienten gilt die Versorgung mit einen DDD/R- oder AAI/R-Schrittmacher als optimal. Das Implantationsverhalten der Berliner Kliniken entspricht somit den Empfehlungen der Fachgesellschaften, die jedoch nicht ausreichend evidenzbasiert sind. Den Patienten geht es jedenfalls oft genauso gut, wenn sie mit Einkammer-stimulierenden Aggregaten versorgt werden, die ansprechen, wenn die Herzfrequenz unter 50/min. sinkt. Möglicherweise können in den nächsten Jahren neue große Schrittmacher-Register einen weiteren Beitrag zur Frage der richtigen Schrittmachertherapie leisten.
Fazit: Nicht nur in der Pharmakotherapie gibt es unnötig unwirtschaftliche Entscheidungen. Auch bei der Therapie mit Herzschrittmachern ist der therapeutische Nutzen der teureren komplexen Systeme bei vielen Indikationen, bei denen sie heute immer häufiger eingesetzt werden, nicht belegt. Hat das etwas mit den Sonderentgelten zu tun?
Literatur
1. Rosenquist, M.: Am. Heart J. 1988, 116, 16.
2. Hesselson, A.B.: J. Am. Coll. Cardiol. 1992, 19, 1542.
3. Andersen, H.R.: Lancet 1994, 344, 1523.
4. Connolly, S.J., et al.: N. Engl. J. Med. 2000, 342, 1385.
5. Lamas, G.A., et al.: N. Engl. J. Med. 1998, 338, 1097.
6. Stern, R.: Z. Kardiol. 1995, 84 Suppl.1, 42 und 70.
7. Thimme, W., und Thombansen, E.: Lancet 1995, 345, 733.