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Vakzinierung mit idiotypischen Immunglobulinen bei Patienten mit follikulärem Non-Hodgkin-Lymphom

In den letzten Jahren wurden verschiedene experimentelle Strategien für Anti-Tumor-Vakzinierungen entwickelt und erste klinische Studien durchgeführt (1). Viele dieser Studien verliefen erfolglos, da die falschen Patienten (z.B. mit fortgeschrittener Erkrankung und dementsprechend großer Tumorzellmasse) behandelt und ungeeignete immunologische Adjuvanzien verwendet wurden (2). Häufig war auch der Erkenntnisgewinn eher gering, da nicht überprüft wurde, ob durch die Vakzinierung eine spezifische Immunantwort induziert werden konnte (2). Inzwischen sind die Vorstellungen, insbesondere über die molekulare Erkennung tumorassoziierter Antigene (TAA) und über die Regulation der Immunantwort, wesentlich genauer und erlauben deshalb heute die Entwicklung von Tumorvakzinen mit sehr viel größerer Potenz und Spezifität sowie geringerer Toxizität für normale Organe.

Vor diesem Hintergrund verdient eine kürzlich in Nature Medicine publizierte Arbeit besondere Aufmerksamkeit (3), da sie hinsichtlich Studiendesign, Durchführung und Ergebnissen als Meilenstein auf dem Weg der Anti-Tumorvakzinierung angesehen werden kann (2). In dieser sowohl experimentell als auch klinisch ausgerichteten Studie wurde der Frage nachgegangen, ob bei Patienten mit follikulärem Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) durch eine idiotypische Protein-Vakzinierung in Kombination mit GM-CSF (Granulozyten-Makrophagen-Kolonien stimulierender Faktor) ein antitumoröser Effekt erzielt werden kann. Zu diesem Zweck wurde der Status der nicht klinisch, aber molekularbiologisch nachweisbaren minimalen Resterkrankung bei den Patienten vor und nach Polychemotherapie sowie vor und nach Vakzinierung bestimmt. Kombiniert wurde dies mit gründlichen Untersuchungen zu Tumor-spezifischen Immunreaktionen bei den geimpften Patienten.

Die hier angewendete Vakzinierungsstrategie nutzt die Tatsache, daß maligne Erkrankungen der B-Zell-Reihe durch eine klonale Proliferation von Zellen charakterisiert sind, die als B-Zell-Antigenrezeptor ein einzigartiges Immunglobulin exprimieren. Die variablen Regionen der schweren und leichten Ketten dieses Immunglobulins wirken als tumorspezifisches Antigen (idiotypische Determinanten). In diese Studien wurden 20 Patienten eingeschlossen, bei denen durch Polychemotherapie klinisch eine komplette Remission (CR) erzielt worden war. Das bei individuellen Patienten mit follikulärem NHL charakteristische Immunglobulin wurde durch Hybridzell-Technik isoliert, gereinigt und nach Konjugation mit einem Adjuvans als Vakzine eingesetzt. Begleitend wurde GM-CSF appliziert, der für die Rekrutierung, Reifung und Funktion Antigen-präsentierender Zellen von besonderer Bedeutung ist, wodurch die Aufnahme, Prozeßierung und Präsentation des TAA durch dendritische Zellen verstärkt werden kann. Die Vakzinierung (subkutan) erfolgte 6-15 Monate nach Abschluß der Polychemotherapie, wobei verteilt über einen Zeitraum von 6 Monaten 5 Impfungen durchgeführt wurden. Die für das follikuläre NHL charakteristische chromosomale Translokation (14;18) hatten 11 von 20 Patienten; sie konnten deshalb durch eine von den Autoren optimierte molekularbiologische Diagnostik mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) zuverlässig erfaßt werden. Alle 11 Patienten waren nach Polychemotherapie trotz klinisch dokumentierter CR weiterhin PCR-positiv. Bei 8 dieser Patienten konnte durch Vakzinierung eine PCR-Negativität erreicht werden (sogenannte molekulare Remission), 3 Patienten blieben PCR-positiv. Diese Ergebnisse, die über einen Beobachtungszeitraum von 8-32 Monaten unverändert nachweisbar waren, bilden die Grundlage für eine prospektive, randomisierte, multizentrische Studie des National Cancer Institute. Verglichen wird in dieser Studie eine alleinige Polychemotherapie mit Polychemotherapie in Kombination mit dem beschriebenen Vakzinierungsprotokoll, wobei als primärer Endpunkt die Remissionsdauer analysiert werden soll.

Im zweiten Teil der Arbeit beschäftigten sich die Autoren mit der genaueren Charakterisierung der tumorspezifischen Immunantwort bei den oben genannten Patienten. Untersucht wurde nach Vakzinierung zunächst die Zytokinsekretion von mononukleären Zellen aus dem peripheren Blut der Patienten nach Kultivierung mit autologen Lymphomzellen. Bei 19 von 20 Patienten zeigte sich eine deutlich erhöhte Freisetzung von Tumor-Nekrose-Faktor, GM-CSF und Interferon gamma Bei 6 zufällig ausgewählten Patienten konnte darüber hinaus gezeigt werden, daß diese Zytokinantwort erst nach Vakzinierung und nicht bei vor der Impfung isolierten mononukleären Zellen zu beobachten war. Die Zytokinsekretion konnte signifikant durch Zugabe von Antikörpern gehemmt werden, die gegen MHC-Klasse-I-Antigen gerichtet sind. Die Untersuchung einzelner T-Zell-Subpopulationen zeigte, daß die Zytokinantwort im wesentlichen von CD8+ T-Zellen ausgeht. In weiteren Zellkulturexperimenten konnten die Autoren demonstrieren, daß mononukleäre Zellen von Patienten nach, nicht jedoch vor Vakzinierung die Fähigkeit zur spezifischen Lyse von autologen Tumorzellen besitzen und daß diese Lyse vorrangig von CD8+ T-Zellen ausgeht.

Ähnliche Ergebnisse wurden kürzlich auch bei Patienten mit Plasmozytom publiziert, einer Erkrankung, bei der idiotypische Determinanten der Immunglobuline ebenfalls als spezifisches Tumorantigen und Zielstruktur für Anti-Tumorvakzinierung genutzt werden können (4).

Fazit: Mehr als 100 Jahre nach den berühmten Versuchen von Coley („Coleys Toxin“) durch Stimulierung der systemischen Immunität mit bakteriellen Extrakten Tumorerkrankungen zu behandeln, zeichnen sich jetzt erste Erfolge einer Immuntherapie mit Tumorzellvakzinen ab. Bei Patienten mit follikulärem Non-Hodgkin-Lymphom in klinischer, aber nicht molekularer kompletter Remission nach Polychemotherapie, konnte durch eine Vakzinierung mit individuellen tumorspezifischen Immunglobulinen in Kombination mit GM-CSF eine molekular dokumentierte Elimination von Tumorzellen aus dem peripheren Blut erreicht werden. Parallel hierzu wurden tumorspezifische zytotoxische T-Zellen nachgewiesen, die vermutlich für den Erfolg dieser Immuntherapie verantwortlich sind. Es bleibt abzuwarten, ob die bei einer kleinen Patientenzahl gemachten Beobachtungen im Rahmen größerer Studien bestätigt werden können und vor allem, ob die hier vorgestellte Vakzinierungsstrategie schließlich auch zu einer Verlängerung des krankheitsfreien bzw. Gesamtüberlebens führt.

Literatur

1. Pardoll, D.M.: Nature Med. 1998, 4 Suppl., 525.
2. De Gruijl, T.D. und Curiel, D.T.: Nature Med. 1999, 5, 1124.
3. Bendandi, M., et al.: Nature Med. 1999, 5, 1171.
4. Massaia, M., et al.: Blood 1999, 94, 673.