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Morphin und alternative Opioide zur Behandlung von Tumorschmerzen: Empfehlungen der European Association for Palliative Care (EAPC)

Eine Expertengruppe der EAPC hat die 1996 erstmals publizierten Richtlinien für die Anwendung von Morphin und weiteren stark wirkenden Opioiden zur Behandlung von Tumorschmerzen überarbeitet und aktualisiert (1, 2; vgl. AMB 1996, 30, 85). Wir haben die 20 Empfehlungen für unsere Leser übersetzt und im folgenden leicht gekürzt zusammengefaßt. Für jede Empfehlung wird der Grad der Evidenz angegeben, wobei A (entsprechend Evidenz-Kategorien Ia und Ib) das Vorliegen zumindest einer randomisierten kontrollierten klinischen Studie und B (IIa, IIb, III) qualitativ einwandfreie klinische Studien (nicht randomisiert) zur jeweiligen Empfehlung erfordern. Grad C der Evidenz (IV) bedeutet, daß aussagekräftige klinische Studien nicht vorliegen und die Empfehlungen auf dem Konsens von Experten-Komittees oder auf Meinungen bzw. klinischen Erfahrungen anerkannter Experten in der Tumorschmerz-Therapie beruhen.

Aktualisierte auf Evidenz gestützte Empfehlungen zur Behandlung von Tumorschmerzen sind kürzlich auch von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft herausgegeben worden und im Internet abzurufen (3).

1. Opioid der ersten Wahl zur Behandlung mäßig starker bis starker Tumorschmerzen ist Morphin (C).
2. Der optimale Verabreichungsweg von Morphin ist per os. Idealerweise werden zwei Zubereitungen benötigt: eine schnell wirkende für die Titration der Dosis und eine retardierte für die Dauerbehandlung (C).
3. Die einfachste Methode für das Titrieren der Dosis ist die Gabe von nicht retardiertem Morphin alle 4 Stunden und die Gabe der gleichen Dosis bei Durchbruchschmerzen. Die Dosis zur Behandlung der Durchbruchschmerzen kann so oft wie nötig (bis zu stündlich) wiederholt werden. Die verabreichte Tages-Gesamtdosis von Morphin sollte täglich überprüft werden (C).
4. Wenn die Schmerzen regelmäßig vor der nächsten regulären Dosis auftreten, sollte die reguläre Dosis erhöht werden. Schnell wirkendes Morphin sollte nicht häufiger als alle 4 Stunden und retardiertes Morphin nicht häufiger als alle 12-24 Stunden gegeben werden (A).
5. Wird die Behandlung mit einem retardierten Morphin-Präparat begonnen, sollte die reguläre Dosis nicht früher als nach 48 Stunden geändert werden (C).
6. Durch Verdoppelung der Dosis vor dem Zubettgehen kann bei Patienten, die schnell wirkendes Morphin alle 4 Stunden erhalten, ein Aufwachen wegen erneuter Schmerzen wirksam verhindert werden (C).
7. Verschiedene retardierte Morphin-Zubereitungen sind erhältlich. Es gibt keine Hinweise dafür, daß die 12-Stunden-Zubereitungen (Tabletten, Kapseln oder Flüssigkeiten) sich bezüglich Wirkdauer und analgetischer Potenz signifikant unterscheiden (A).
8. Bei Patienten, die nicht in der Lage sind, Morphin oral einzunehmen, bietet sich die s.c. Injektion an. Für die i.m. Injektion von Morphin zur Behandlung chronischer Schmerzen gibt es im Allgemeinen keine Indikation, da die s.c. Injektion einfacher und weniger schmerzhaft ist (C).
9. Die relative analgetische Potenz von Morphin oral zu s.c. liegt zwischen 1:2 und 1:3 (C).
10. Für Patienten, die Morphin kontinuierlich parenteral benötigen, bietet sich die s.c. Infusion an (C).
11. Eine i.v. Gabe von Morphin kommt in Betracht (C):
a. wenn bereits ein i.v. Zugang vorhanden ist
b. bei generalisiertem Ödem
c. wenn sich nach s.c. Gabe Erytheme oder sterile Abszesse entwickeln
d. bei Koagulopathien
e. bei schlechter peripherer Zirkulation
12. Die relative analgetische Potenz von Morphin oral zu i.v. liegt zwischen 1:2 und 1:3 (A).
13. Die bukkale, sublinguale oder inhalative Gabe von Morphin kann zur Zeit nicht empfohlen werden, da ein klinischer Vorteil im Vergleich zu den üblichen Verabreichungswegen nicht evident ist (B).
14. Orales transmukosales Fentanyl-Zitrat (in Deutschland noch nicht erhältlich) ist wirksam bei Patienten mit Durchbruchschmerzen, die stabile Dosen von oralem Morphin oder eines alternativen Opioids der dritten Stufe benötigen (A).
15. Die Schmerztherapie mit Opioiden ist als erfolgreich anzusehen, wenn eine ausreichende Analgesie ohne starke unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) erreicht wird. Durch Beachten der WHO- bzw. der EAPC-Empfehlungen kann bei den meisten Patienten mit chronischen Tumorschmerzen ein befriedigendes Ergebnis erreicht werden. Bei wenigen Patienten ist dies allerdings nur durch alternative Opioide, spinale Gabe von Analgetika oder alternative (nicht-medikamentöse) Methoden zur Schmerzbehandlung zu erreichen (B).
16. Bei wenigen Patienten treten nach oraler Gabe von Morphin nicht tolerierbare UAW auf, noch bevor eine angemessene Linderung der Schmerzen einsetzt. Bei diesen Patienten sollte ein Umstieg auf ein anderes Opioid oder eine Änderung der Applikationsform überlegt werden (B).
17. Hydromorphon (Palladon) oder Oxycodon (Oxygesic) sind wirksame Alternativen zu oralem Morphin, falls sie sowohl als schnell wirkende als auch in Retard-Formulierungen zur Verfügung stehen (A). Anmerkung der Redaktion: Beide Wirkstoffe sind in Deutschland nur in retardierter Form verfügbar.
18. Methadon (z.B. Methaddict, L-Polamidon) ist eine wirksame Alternative, jedoch schwieriger anzuwenden als andere Opioide wegen ausgeprägter interindividueller Unterschiede in der Plasmahalbwertzeit, der relativen analgetischen Potenz und der Wirkdauer. Von der Verwendung von Methadon durch nicht-spezialisierte Ärzte wird abgeraten (C).
19. Transdermales Fentanyl (Durogesic) ist eine wirksame Alternative zu oralem Morphin, wird aber vorzugsweise solchen Patienten gegeben, die stabile Opioid-Dosen benötigen (vgl. AMB 2001, 35, 56). Bei Patienten, die Morphin nicht einnehmen können, sind fentanylhaltige Pflaster eine Alternative zu s.c. Infusionen (B).
20. Die spinale (epidurale, intrathekale) Gabe von Opioiden in Kombination mit Lokalanästhetika oder Clonidin sollte bei Patienten in Betracht gezogen werden, bei denen trotz optimaler Anwendung systemischer Opioide und Nicht-Opioide keine adäquate analgetische Wirkung erreicht werden kann oder die unter nicht-tolerierbaren UAW leiden (B).

Literatur

1. Expert Working Group of the European Association for Palliative Care: Br. Med. J. 1996, 312, 823.
2. Hanks, G.W., et al.: Br. J. Cancer 2001, 84, 587.
3. Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Tumorschmerzen, 2. Auflage, 2000 (www.akdae.de).