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Verbraucherschutz bei der Arzneimittelzulassung in Europa. Wie transparent arbeitet die EMEA am Beginn des neuen Jahrhunderts?

Wie wir bereits vor zwei Jahren ausführlich dargestellt haben (AMB 1998, 32, 89), findet die EU-weite Zulassung einer Vielzahl von Arzneimitteln heute durch die EMEA (European Agency for the Evaluation of Medicinal Products) in London statt. Daher müssen die Tätigkeiten dieser bedeutsamen Behörde besonders aufmerksam und kritisch beobachtet werden.

Die europäische Sektion der International Society of Drug Bulletins (ISDB), der auch DER ARZNEIMITTELBRIEF angehört, hat im Interesse aller Verbraucher wiederholt von der EMEA ein transparenteres Zulassungsverfahren, den Zugang zu unpublizierten Studiendaten und mehr Informationen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen als Ergebnis verbesserter Pharmakovigilanz gefordert.

Alle wesentlichen Informationen zu einem zugelassenen Arzneimittel sollen von der EMEA im sog. EPAR (European Public Assessment Report) veröffentlicht werden. Dieser Bericht enthält neben der Produktinformation des Herstellers und dem Patienten-Beipackzettel u.a. auch eine wissenschaftliche Diskussion und die Darstellung des Zulassungsverfahrens. EPAR können direkt von der EMEA angefordert werden oder sind für jedermann im Internet einzusehen (www.emea.eu.int).

Die ISDB hat 1998 neun EPAR aus den Jahren 1996-97 überprüft und erhebliche Qualitätsmängel festgestellt. Selbst für Fachleute waren die EPAR sowohl in ihrer Form als auch ihrem Inhalt verwirrend. Häufig blieb die Herkunft der genannten Daten unklar, und Quellenangaben fehlten oder waren unzureichend. Einzelne Abschnitte waren mit Details überladen und unübersichtlich, in anderen fehlten relevante Informationen. Die ISDB machte daher viele konkrete Verbesserungsvorschläge und bat außerdem um eine einheitliche Form aller EPAR. Dies wurde von leitenden Mitarbeitern der EMEA im Dezember 1998 auch zugesagt.

Im November 2000 führte die ISDB nun erneut eine Analyse der EPAR durch, bei der sich wiederum schwere Mängel feststellen ließen. Zunächst hat tatsächlich eine Vereinheitlichung in der Form stattgefunden. Jeder EPAR besteht nun aus acht Sektionen. Diese Sektionen sind jedoch durch verschiedene, teilweise gravierende formale Fehler zu einem Informations-Irrgarten geworden. So sind z.B. die Sektionen nicht fortlaufend paginiert und folgen häufig inhaltlich ohne Bezug zueinander. Es gibt EPAR, in denen sich in zwei Sektionen widersprüchliche Informationen zum selben Sachverhalt finden. Es existieren z.T. verschiedene Versionen einer Sektion und es ist für den Leser oftmals nicht erkennbar, welche die gültige ist. Aktualisierungen, die als E-mail abonniert werden können, stimmen nicht mit den aktuellen Versionen auf der EMEA-Website überein, und es fehlen redaktionelle Kennzeichnungen, wo eine Veränderung stattgefunden hat. Außerdem gibt es Fälle, in denen bei einer aktualisierten Version der EPAR ohne Erklärung eine Erweiterung bei den Indikationen vorgenommen wurde. Es wirkt auch unseriös, daß der Aufruf einer Substanz nicht über den Wirkstoff, sondern über den Markennamen stattfindet und und sich jeweils keine Hinweise auf die Generika finden. Bei dieser Vielzahl von teilweise schwerwiegenden redaktionellen Mängeln, drängt sich der Verdacht auf, daß die Irreführung des Lesers gewünscht ist.

Ein weiterer gravierender Kritikpunkt war, daß auch im neuen Jahrhundert die Pharmakovigilanz sehr stiefmütterlich behandelt wird. Die EMEA gibt auf ihrer Website zur Pharmakovigilanz im November 2000 gerade einmal zu fünf selten angewandten Substanzen präzise Informationen. Es fanden sich darüber hinaus noch Stellungnahmen zu oralen Kontrazeptiva, zu Appetitzüglern und zu einer Vakzine. Das war leider alles, was zu dem enorm wichtigen Thema zu finden war.

Die ISDB kommt zu dem ernüchternden Schluß, daß entgegen allen Beteuerungen aus den vergangenen Jahren, die Bürger Europas weiterhin sehr schlecht von der europäischen Zulassungsbehörde informiert werden. Ob dies nur in einem schlechtem Management begründet ist, ist fraglich. Möglicherweise steckt Absicht dahinter, denn 60% der laufenden Kosten der EMEA werden von der pharmazeutischen Industrie bezahlt! Wie sich in anderen Bereichen gerade zeigt, benötigen und fordern die Verbraucher mehr Schutz. Der erste Schritt zu einem effektiven Verbraucherschutz ist Markt- und Produkttransparenz. Die europäische Zulassungsbehörde für Arzneimittel ist dem Verbraucher verpflichtet und nicht der Arzneimittelindustrie – auch wenn diese Millionen „spendet“. Die EMEA wird erst dann unser Vertrauen erhalten, wenn sie es sich durch eine transparente Informationspolitik verdient hat.