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Mangelnde Transparenz im Gesundheitswesen: Wie und wo die Hersteller von Arzneimitteln und Medizingeräten Einfluß nehmen.

Der nachfolgende Text entstammt (mit einigen Veränderungen) einer größeren Arbeit von Transparency International (Geschäftsstelle TI-Deutschland, Belfortstraße 3, 81667 München. http://www.ti-deutschland.de) mit dem Titel: „Transparenzmängel im Gesundheitswesen. Ressourcenverschwendung, Mißbrauch, Betrug – Einfallstore zur Korruption“. Die Kritik am Arzneimittelmarkt ist auch eine Form des Verbraucherschutzes, dem sich DER ARZNEIMITTELBRIEF seit mehr als 30 Jahren verpflichtet fühlt und der – was wir sehr unterstützen – z.Zt. auf vielen Gebieten im Aufwind ist.

Zur Situation auf dem „Gesundheitsmarkt“: Ein großer Teil des Gesundheitsmarkts wird von der Entwicklung und Herstellung, dem Vertrieb und Verkauf von Arzneimitteln, Hilfsmitteln und Medizingeräten bestimmt. Dieser Markt ist hinsichtlich Entwicklung und Produktion frei. Seit Jahren wird allerdings versucht, durch Kostendämpfungs-Gesetze die Preise der Produkte zu begrenzen. Vertrieb und Verkauf unterliegen einem medizinischen Zulassungsverfahren sowie werberechtlichen Beschränkungen. Die Hersteller von Pharmazeutika und Medizingeräten spüren weltweit starken Konkurrenzdruck, der zur Konzentration zwingt. Daher bestimmen Fusionen von Chemie-Großkonzernen den Markt. Die Produktion von Arzneimitteln muß so kostengünstig wie möglich erfolgen, zumal Forschung und Entwicklung ständig mehr Geld erfordern.

Die Versorgung mit Arzneimitteln ist in den Industrie- und in den Entwicklungsländern äußerst unterschiedlich, denn auch der Schutz der Gesundheit und die Behandlung von Erkrankungen sind Fragen der Kaufkraft. In Deutschland gibt es ein Überangebot an wirkungsgleichen Arzneimitteln. Die Konkurrenz der Anbieter ist daher entsprechend heftig, wie man am ausgeprägten Lobbyismus und den vielfältigen Bestrebungen, gesundheitspolitische Entscheidungen zu beeinflussen, sehen kann.

Die Hersteller von Arzneimitteln und medizinischen Hilfsmitteln dürfen ihre rezeptpflichtigen Produkte dem Patienten weder direkt anbieten noch durch Werbung anpreisen; sie konzentrieren ihre Werbeanstrengungen für solche Produkte also auf die Fachberufe. Für die rezeptfreien Arzneimittel gelten gesetzliche Werberegeln gegenüber dem Endverbraucher. Sie werden vielfältig umgangen und sind weitgehend ineffektiv, weil sie bei Mißbrauch kaum Sanktionen nach sich ziehen und auf Grund der Interessen der Werbewirtschaft auch so gut wie gar nicht verfolgt werden. Selbstaufgestellte Verhaltensregeln der Anbieter verfolgen bestenfalls die schlimmsten Auswüchse, sind im übrigen aber wirkungslos.

Als Adressaten der Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel sind nur medizinisch sachkundige Mittler zulässig, d.h. Ärzte oder Apotheker. Dementsprechend sind auch die Anstrengungen der Pharma- und Gerätehersteller beschaffen, ihre Produkte diesen Mittlern nahe zu bringen, z.B. durch Gutachten, kostenlose Ausstattung mit Arzneimittelmustern oder Geräten und Sonderrabatten. Die Fachpresse oder Kongresse mit Fachvorträgen und Fernsehauftritte u.ä. werden als verkappte Werbung eingesetzt, um Ärzte und Apotheker zu bestimmten Arzneimitteln oder medizinischen Analyse- oder Therapiegeräten zu informieren und sie von deren Wert zu überzeugen.

Das Verbot der „Laienwerbung“ für rezeptpflichtige Arzneimittel wird häufig und systematisch dadurch unterlaufen, daß Medizinjournalisten durch Zuwendungen und gesponserte, luxuriöse Veranstaltungen motiviert werden, über Produkte positiv in den Laien-Medien zu berichten. Verstöße werden von den zuständigen Landesbehörden in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Ländern – auch auf Anzeige hin selten, mit unzureichender Kompetenz und geringem Einsatz verfolgt (Vollzugsdefizit). Die bestehenden gesetzlichen Sanktionen sind ineffektiv. Gegen die möglichen Verschärfungen der Gesetze wird national, auf EU-Ebene und darüber hinaus nach Einflußmöglichkeiten gesucht und zahllose Lobbyisten in vielen Verbänden gehen gegen mögliche Verschärfungen vor.

Ein wichtiger „Multiplikator“ für den medizinischen Fortschritt auf dem Gebiet der Arznei- und Hilfsmittel sind die Universitätskliniken.

Die Zulassung von Arzneimitteln ist ein langes, mehrstufiges Verfahren, das gesetzlich geregelt und sehr teuer ist. Es ist nur für Fachkundige transparent. Insbesondere sind die Beziehungen zwischen den Antragstellern und den Behörden undurchsichtig. Kritiker haben erst nach der Zulassung einen – allerdings recht begrenzten – Einblick in die Unterlagen, so daß regulatorische Entscheidungen selbst im Nachhinein nicht nachvollzogen werden können. In der Entscheidungsphase fehlen nachvollziehbare Begründungen für regulatorische Entscheidungen völlig. Die Beschleunigung der Zulassungsverfahren verhilft Arzneimitteln auf den Markt, bevor ausreichende wissenschaftliche Daten über sie veröffentlicht sind.

Einflußmöglichkeiten der Pharmaindustrie: Welche Möglichkeiten hat nun die Pharma- und Medizingeräte-Industrie, sich der Strukturen des teilweise regulierten „Gesundheitsmarktes“ zu bedienen und für sich selbst Vorteile zu Lasten der Allgemeinheit zu erzielen? Da es hier um große Summen, um erhebliche Arbeitsvolumina und um Marktanteile im In- und Ausland geht, haben die Anbieter ein großes Interesse an einem möglichst umfassenden Einfluß.

1. Durch den Abbau der staatlichen Forschungspolitik ist in Deutschland ein Pharmamarkt entstanden, bei dem sich der Staat aus der klinisch-pharmakologischen Forschung weitgehend zurückgezogen hat. Infolgedessen gibt es praktisch nur noch Wirkstoffe, die in den chemischen Labors der Pharma-Industrie entwickelt wurden. Die medizinischen Gutachten, die sie bewerten, und die vorgeschriebenen Untersuchungen, die einer Zulassung vorangehen, werden hingegen durch Experten von Universitätskliniken, Instituten und ähnlichen Institutionen erstellt, wobei die antragstellende Firma diese Untersuchungen nicht nur in Auftrag gibt, sondern auch bezahlt. Es ist infolgedessen nahezu unabdingbar, daß die fachlichen Gutachten und die amtlichen Zulassungsverfahren im engsten Kontakt mit den Herstellerfirmen unternommen werden. Dies gilt auch für die Phase der Vermarktung nach der Zulassung, wo im Rahmen der vorgeschriebenen medizinischen Begleitung des neuen Arzneimittels bestellte Gutachten, Anwendungsbeobachtungen und Fortbildungsveranstaltungen eine große Rolle spielen. Dies sind Vorgänge, bei denen die Verflechtungen zwischen persönlichen, wissenschaftlichen und materiellen Interessen aller Beteiligten nicht transparent sind.

2. In Deutschland, in ganz Europa und auch in den USA bleiben die Unterlagen für die Zulassung eines Arzneimittels auch nach der Zulassung geheim. Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) und ihr europäisches Pendant EMEA (European Agency for the Evaluation of Medicinal Products) veröffentlichen unmittelbar nach der Zulassungsentscheidung eine zusammenfassende Bewertung des Produkts; die Dokumente aber, die mit dem Zulassungsantrag eingereicht worden sind, bleiben verschlossen. Damit wird verhindert, daß z.B. pharmakologisch versierte Ärzte oder Apotheker den Nutzen eines neu zugelassenen Arzneimittels frühzeitig kritisch bewerten können. Auch Daten zur Arzneimittelsicherheit einer neu zugelassenen Substanz werden häufig nicht publiziert.

3. Auch als Folge der engen Interessenverflechtung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist der Standard vieler klinischer Zeitschriften so gesunken, daß kaum eine deutschsprachige klinische Zeitschrift noch internationale wissenschaftliche Bedeutung hat. Es gibt auch nur noch wenige klinische Publikationsorgane, die von der Pharmaindustrie, speziell von ihrer Eigenschaft als einträgliche Anzeigenkunden, so unabhängig sind, daß sie Arbeiten mit kritischen bzw. negativen Wertungen veröffentlichen.

4. Die Wege, die ein Unternehmen beschreitet, um ein neues Arzneimittel auf dem Markt zu etablieren, sind oft fragwürdige Schleichwege der Werbung: Kongresse und Fachtagungen von zweifelhaftem wissenschaftlichem Nutzen, aber in großem Luxus; gezielte Vergabe von mehr als der gesetzlich zulässigen Anzahl an Ärztemustern; vertragliche Bindung von Leitenden Ärzten an die Produkte eines Herstellers oder/und kostenlose Abgabe an Krankenhausapotheken, um Ärzte und Patienten an bestimmte Medikamente zu gewöhnen und um den weiteren Absatz nach dem Klinikaufenthalt zu sichern; bestellte und bezahlte Artikel in der Fachpresse, die nur vermeintlich wissenschaftlich unabhängig, aber eigentlich Werbemaßnahmen sind.

5. Ärzte an kommunalen Krankenhäusern unterliegen heute gewöhnlich einer Aufsicht des Krankenhausträgers was Dienstreisen, Kongreßbesuche, Nebentätigkeiten und Geschenke angeht. Für Professoren an Universitätskliniken trifft dies nicht in gleichem Umfang zu. Dienstreisen, Fachvorträge, Kongreßbesuche sind nahezu uneingeschränkt möglich, und das Einwerben von sogenannten Drittmittel-Projekten, also mit Geldern honorierten Aufträgen für Untersuchungen, Gutachten und Forschungen gehört quasi zu den vom jeweiligen Hochschulträger erwarteten bzw. gewünschten Qualifikationen eines Instituts- oder Klinik-Chefs. Von Seiten der Pharmaindustrie sind solche Aufträge üblich, um Produkte und Geräte auf dem Markt zu etablieren. Teure und personalintensive Geräte werden – wie Medienberichte nachgewiesen haben – vom Hersteller oft mit einer für eine bestimmte Zeit voll finanzierten Stelle an den Krankenhäusern untergebracht. Auch die entsprechenden Artikel in der Fachpresse werden meist von dem Herstellerunternehmen bestellt und oft auch honoriert. Klinische Studien werden zudem häufig so konzipiert, daß nicht neue wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern argumentative Vorteile eines bestimmten Produkts ermittelt werden sollen. Auch dies schwächt die innovative klinische Forschung.

Empfehlungen: In den letzten Jahren sind die Kosten für Arzneimittel und für die Behandlung im Krankenhaus deutlich gestiegen. Das Arzneimittelbudget muß in der Zukunft aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Kostendämpfung, sondern auch deshalb begrenzt werden, damit überhaupt noch Spielräume für neue medizinische Entwicklungen bleiben. Wie dies geschehen kann, ist Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen, und es gibt sicher keine Patentlösung. Uns liegt besonders am Herzen, undurchsichtiges oder gar betrügerisches, korruptes Handeln, das zu Lasten der Allgemeinheit geht und diese notwendigen Spielräume weiter beschneidet, so weit wie möglich zu unterbinden.

Deshalb unsere Empfehlungen:

  • Eine weitgehende Transparenz bei allen Stufen des Zulassungsverfahrens eines Arzneimittels würde korruptives Verhalten eindämmen. Hier sind gesetzliche Maßnahmen und eine rechtliche Verankerung von Akteneinsichtsrechten nach dem Vorbild des Freedom of Information Acts in den USA erforderlich. Aber auch die Herstellerfirmen könnten durch nachvollziehbare transparente Verhaltenskodices zu einer Bewußtseinsänderung beitragen. Das Nachdenken über andere Verfahren bei Zweit- und Drittzulassungen darf nicht aufhören.

  • Bund, Länder und Hochschulen müssen eine von der Pharmaindustrie unabhängige klinisch-therapeutische Forschung aufbauen helfen beziehungsweise entsprechende alternative Anstrengungen bei herstellerunabhängigen Verbraucher- und Patientenorganisationen verstärken und unterstützen. Zugleich müssen qualitativ hochwertige klinische Forschung und klinische Studien finanziert werden, die unabhängig von Drittmitteln der Pharmaindustrie bleiben. Die Kontrolle über eingeworbene Drittmittel muß sich durch Veröffentlichungspflichten und Informationsrechte über das Universitätsbudget erheblich verbessern. Auch Verhaltenskodices der Pharmaindustrie können weiterhelfen, wenn sie transparent, öffentlich kontrollierbar und wirksam durch Sanktionen durchzusetzen sind. Die Koppelung von der Lieferung eines Gerätes mit dem Honorar für eine Person, die das Gerät bedient, ist ebenso abzulehnen wie bestellte und überhöht bezahlte Gutachten oder ähnliche Aktivitäten, die z.B. einen Lehrstuhl besser ausstatten als der Hochschulträger es sich leisten will.

  • Aktivitäten der Pharma- und Medizingeräte-Industrie als Sponsoren müssen in jedem Bereich – Krankenhaus und Krankenhausträger, niedergelassene Ärzte, Ärzteverbände, ärztliche Fortbildung, Apotheken, medizinische Fachpresse, Universitäten etc. – transparent und öffentlich kontrollierbar sein.

  • Einflußnahrmen auf Krankenhausapotheken und auf die Verschreibungspraxis von Kliniken oder niedergelassenen Ärzten, die zunächst deren Arzneimittelbudget senken, in der Folge aber möglicherweise die Patientenversorgung verteuern, weil die Empfänger solcher Vorteile an bestimmte Arzneimittel gebunden wurden, sind für das Gesundheitssystem schädlich und daher zu unterlassen.

  • Die wissenschaftliche Unabhängigkeit medizinischer Fachpublikationen muß zurückgewonnen werden. Die Vermischung von Werbung und Wissenschaft muß künftig unterbleiben. Wissenschaftler, die auf Veranlassung und mit Bezahlung durch einen Arznei- oder Hilfsmittel-Hersteller bestimmte Zusammenhänge untersuchen, sind verpflichtet, ihre Interessen offenzulegen.

Alle Maßnahmen müssen bei Zuwiderhandlung Sanktionen nach sich ziehen. Selbstauferlegte Verhaltensregeln können nur dann an die Stelle staatlicher Richtlinien treten, wenn sie öffentlich zu kontrollieren sind und bei Verstößen ebenfalls Sanktionen nach sich ziehen.