Prof. Dr. C.L. aus Ulm schreibt zu unserem Hauptartikel (AMB 2001, 35, 17) und dem Leserbrief (AMB 2001, 35, 71b): >> Dem Leserbrief der Dres. T.H.L. und A.O.L. ist zuzustimmen. Es wird bei uns zum Thema Östrogene und Mammakarzinom fast ausschließlich mit Daten aus den USA argumentiert, die für Europa und Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit so nicht zutreffen, da bei uns eine ganz andere Behandlung stattfindet. Die beiden vorliegenden Studien (Völker, Lauritzen) konnten 1968-1992 keine Zunahme des Brustkrebsrisikos unter den in Deutschland herrschenden Bedingungen nachweisen. Es handelt sich auch deshalb für Deutschland um eine Geisterdiskussion, weil nach der aktuellen repräsentativen Erhebung der Deutschen Menopausegesellschaft nur 25% der Frauen in der Menopause Östrogene/Gestagene länger als 5 Jahre einnehmen. 75% setzen leider die Östrogene aus verschiedenen Gründen vorher ab. Erst nach 5 Jahren soll ja angeblich der Anstieg des Brustkrebsrisikos beginnen. Nur 3% (1968-1978) bis 12% (1992) der Frauen, bei denen ein Mammakarzinom diagnostiziert wurde, haben nach den vorliegenden Daten der deutschen Frauenkliniken zu diesem Zeitpunkt und bis zu 5 Jahren vorher Östrogene eingenommen. Die bisher aufgrund der US-amerikanischen Studien erstellten Hochrechnungen zum Brustkrebsrisiko sind daher wertlose Pseudomathematik. Die jetzt immer zitierten US-Studien von Colditz et al., Schairer et al. und der Collaborative Group mit ihren relativ niedrigen Risikowerten wenig über 1,0 und deutlich unter 2,0 sind wegen teilweise fehlender Signifikanz, wegen der Überlagerung durch Alkoholkonsum bei den Östrogen-Einnehmerinnen (RR 1,88 bei Colditz; RR bis 4,4 in internationalen Studien), wegen eines „Detection bias“ (weniger Vorsorge, weniger Selbstuntersuchungen, weniger Mammographien, weniger diagnostische Exstirpationen bei den Kontrollen) zu Recht kritisiert worden. Beispielsweise betrug bei Colditz das RR für Mammakarzinom unter Östrogenen bei Korrektur für Alkoholmißbrauch 0,99. Bezüglich der Veröffentlichungen von Schairer et al. und der Collaborative Group verweise ich der Kürze halber auf die kritischen Beurteilungen von Shapiro (Am. J. Epidemiol. 140, 771), von Egger (Brit. Med. J. 1998, 316, 140) und von Speroff (Obstet. Gyn. Update 2, 1) und auf eigene Veröffentlichungen hierzu (Menop. Praxis 6, 1). Es wird nötig sein, daß wir in Deutschland eigene Untersuchungen zum Problem Östrogene und Mammakarzinom durchführen. Entsprechende Vorschläge wurden den zuständigen Stellen gemacht. 5 Metaanalysen und 6 neuere Studien konnten keinen Zusammenhang zwischen Östrogenen und Brustkrebs nachweisen. Ich verweise ferner auf die soeben erschienenen großen prospektiven Studien von Lando et al. aus den USA und von Sourander aus Schweden, die ebenfalls kein erhöhtes Brustkrebsrisiko unter Östrogenen ermitteln konnten, auch nicht nach mehr als 10 Jahren Einnahme. Die neueste und sehr sorgfältige Metaanalyse aller 22 vorliegenden randomisierten, prospektiven Studien von Bush et al. aus den USA (Obstet. Gynecol. 2001, 89, 498) fand ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen Östrogeneinnahme und Mammakarzinom, bestätigte jedoch die allgemein festgestellte höhere Heilungsrate, die geringere Sterblichkeit und die längere Überlebensdauer der Östrogeneinnehmerinnen. Das wirkliche RR für Brustkrebs liegt demnach vermutlich bei ± 1,0. Bezüglich der Höhe eines RR für Brustkrebs unter Östrogeneinnahme ist es richtig, daß auch niedrigere Risiken bei hoher Inzidenz oder Prävalenz einer Erkrankung doch von Bedeutung sein können. Andererseits zitiere ich Shapiro: „Wenn ein RR unter 2 oder noch besser unter 3 liegt, so vergiß es!“ Bezüglich des Zitats von Liehr ist zu sagen, daß es wahr ist, daß bisher keine Tatsache bekannt ist, die darauf hindeuten könnte, daß die endogenen Hormone beim Menschen karzinogen sein könnten. Liehr selbst setzt hinter den Titel seiner Arbeit (Is Estradiol a Genotoxic Mutagenic Carcinogen?) ein Fragezeichen. Über die Konzentration von 4-hydroxylierten Metaboliten in der Brust gibt es keine Daten. Andere Östrogenmetabolite wirken angeblich „antikarzinogen“. Bezüglich der Bedeutung der endogenen und exogen zugeführten Östrogene ist darauf hinzuweisen, daß ihr lebenslanger Einfluß bei 90% der Frauen nicht zu einem Mammakarzinom führt. Die Annahme einer 100%igen Kausalität der Östrogene bei den 10% Mammakarzinompatientinnen wäre ohnehin naiv. Auch ohne Insulin und IGF I gibt es keine Proliferation des Brustepithels. Ohne eine vorherige Mutation im Kontrollsystem Proonkogene/Tumorrepressoren, im DNS-Repair, der Apoptose, der Immunkompetenz oder das Vorliegen eines Polymorphismus wird es nicht zur Krebsentwicklung kommen. Im übrigen sind 40% der Mammakarzinome Östrogen-Rezeptor-negativ. Nach Oophorektomie im Alter von 35 Jahren kommt es zu einer Reduktion der Brustkrebsinzidenz von nicht mehr als 14-40% nach den verschiedenen Untersuchern. Krebs ist vor allem der Zoll, den der Mensch für eine familiär-genetische Belastung, für eine nicht naturgemäße Lebensweise, für Genußmittelmißbrauch, für belastende Umweltbedingungen und (bei der Frau) für Kinderlosigkeit, späte erste Schwangerschaft und ein restriktives Stillverhalten zu zahlen hat. <<
Antwort: >> In einer Monographie der International Agency for the Research on Cancer sind (prä)klinische und epidemiologische Studienergebnisse als „hinreichend“ bewertet worden, um eine postmenopausale Östrogentherapie als karzinogen zu klassifizieren. Direkte und indirekte genotoxische Effekte von konjugierten equinen Östrogenen, 17-Beta-Östradiol und Östron bewirken offenbar nicht nur die Förderung, sondern auch unter bestimmten Bedingungen die Induktion einer Karzinogenese (1). Nach Einschätzung des National Cancer Institute sowie des National Institute of Environmental Health Sciences der USA sind Östrogene karzinogen für die Brustdrüse (2, 3). Ein Übersichtsartikel unterstützt diese Sicht (4).
Eine Reanalyse von Originaldaten fast aller epidemiologischer Studien weltweit, die überwiegend in den 70er und 80er Jahren durchgeführt wurden und in die o.a. Bewertungen eingingen, zeigt, daß eine langfristige Östrogentherapie zu einer Zunahme von Mammakarzinomen führt. Beobachtungsstudien aus der alten Bundesrepublik wurden nicht berücksichtigt (5). Eine Berechnung dieser Reanalyse zeigt, daß eine mindestens 5jährige, im Mittel 11jährige Östrogentherapie (meistens konjugierte equine Östrogene) im Vergleich zu unbehandelten Frauen ein Zunahme des relativen Risikos (RR) für Brustkrebs auf 1,35 bewirkt. Dies bedeutet 2, 6 bzw. 12 zusätzliche Brustkrebs-Erkrankungen je 1000 Frauen nach 5, 10 bzw. 15 Jahren Östrogentherapie. Weil das Mammakarzinom in Deutschland das häufigste Malignom bei Frauen ist, sind diese von manchen Autoren als gering angesehenen Erhöhungen des RR nicht zu vernachlässigen. Zumindest in manchen Regionen Deutschlands (Bremen, Potsdam, Heidelberg) wird nach den Ergebnissen umfangreicher, bevölkerungsbasierter epidemiologischer Studien die „Östrogenersatz-Therapie“ häufiger und länger angewendet als in allen anderen EU-Staaten (6, 7). Die seit 1998 publizierten Ergebnisse prospektiver Kohorten- und Fall-Kontroll-Studien (USA, Schweden) etablierter Arbeitsgruppen zeigen, daß nicht nur eine Therapie mit Östrogenen, wie konjugierte equine Östrogene oder Östradiol(valerat), sondern noch deutlicher die Kombination von Östrogenen mit Gestagenen, wie Medroxyprogesteronazetat und Norethisteronazetat, mit einem Zunahme von Mammakarzinomen verbunden ist. Vergleicht man die RR/Jahr, so zeigen sich Zunahmen des RR von 0,01-0,03/Jahr für Östrogentherapien und von 0,07-0,09 für Östrogen/Gestagen-Therapien (8-11). Offenbar steigert gerade die Kombinationstherapie – etabliert zur Protektion des Endometriums – diese Inzidenz noch stärker. Eine jüngste Analyse der Nurses Health Study legt nahe, daß die vermehrten Diagnosen von Mammakarzinomen bei Frauen mit Hormonsubstitution nicht allein durch eine Zunahme von Mammographien zu erklären sind (12). Daraus ergibt sich, daß die Hochrechnungen zu sogenannten Attributivrisiken der in Deutschland verwendeten Östrogen- und Östrogen/Gestagen-Präparate für das Mammakarzinom, nämlich mehrere tausend Fälle/Jahr bei etwa 46000 Neuerkrankungen, nicht aus der Luft gegriffen sind (6). Diese Hochrechnungen sollten in naher Zukunft ersetzt werden durch eine umfangreiche deutsche Studie, um direkte Angaben zu erhalten, wie viele Mammakarzinome mit einer langfristigen Hormonanwendung assoziiert sind.
Ist der Anstieg der Häufigkeit von Brustkrebs bei postmenopausaler Hormonsubstitution biologisch plausibel? Sie ist es nach unserer Meinung aus den folgenden Gründen: Eine höhere Konzentration endogener Östrogene nach der Menopause sowie eine insgesamt verlängerte Östrogen-Expositionszeit während des Lebens (13) geht mit einem erhöhten RR für Brustkrebs einher. Östrogene fördern in vitro und in vivo das Wachstum normaler und maligne entarteter Epithelzellen der Brustdrüse (14). Die Entfernung der Ovarien, Hauptquelle der Östrogene bei der Frau, sowie Pharmaka, die die Östrogenwirkung ausschalten (Antiöstrogene, Aromatase-Hemmer) bewirken gegenteilige Effekte. Auch Progesteron und andere Gestagene können mitogen für duktale Epithelien sein (3). An einem international anerkannten Primatenmodell konnte gezeigt werden, daß konjugierte equine Östrogene zusammen mit Medroxyprogesteronazetat zu einer Zunahme der Zellproliferation und zellulärer Auffälligkeiten von Epithelien der Brustdrüse führt, verglichen mit unbehandelten Tieren und Tieren, denen nur das Östrogen verabreicht worden war (15).
Jede postmenopausale Östrogentherapie bedarf also einer klaren Indikation und regelmäßiger Überprüfung, nicht zuletzt wegen der Zunahme von Mammakarzinomen nach mehrjähriger Anwendung. <<
Literatur
- IARC Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans. 1999, Vol. 72, Lyon.
- J. Nat. Cancer Inst. Monograph 2000, 27, 1.
- NIEHS 9th report (2001) http://ehis.niehs.nih.gov/roc/ninth/rahc/estradiol17beta.pdf.
- Liehr, J.G.: Endocrine Review 2000, 21, 14.
- Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer: Lancet 1997, 350, 1047.
- Greiser, E.: J. Menopause 2001, 2, 59.
- Banks, E., et al.: European conference on nutrition and cancer. June 2001. Book of abstracts, S. 85.
- Magnusson, C., et al.: Int. J. Cancer 1999, 81, 339.
- Ross, R.K., et al.: J. Nat. Cancer Inst. 2000, 92, 328.
- Schairer, C., et al.: JAMA 2000, 283, 485.
- Colditz, G., und Rosner, B.: Am. J. Epidemiol. 1998, 147 Suppl., S64.
- Joffe, M.M., et al.: Epidemiology 2001, 12, 429.
- Clemons, M., und Goss, P.: N. Engl. J. Med. 2001, 344, 276.
- Söderqvist, G., und von Schoultz, B.: Mammary gland. In: Oettel, M., und Schillinger, E. (Hrsgb.). Handbook of experimental pharmacology, Vol. 135/II. Estrogens and antiestrogens II. Springer, Heidelberg 1999. S 113.
- Cline, J.M., et al.: Am. J. Obstet. Gynecol. 1996, 174, 93.