Frage von Dr. R.H. aus Winnenden: >> Ist möglicherweise der wesentliche Teil des Therapieeffekts von Interferon bei Multipler Sklerose (MS) auf die gegen die Nebenwirkungen von Interferon eingesetzten Medikamente (Ibuprofen oder Paracetamol) zurückzuführen?<<
Antwort: >> Die Frage ist berechtigt, denn antiinflammatorische Effekte von Ibuprofen und Paracetamol im ZNS sind bekannt. Epidemiologische Studien haben gezeigt, daß ihre Einnahme z.B. auch die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Alzheimerschen Erkrankung reduziert. Diese Wirksamkeit wird über einen hemmenden Einfluß auf die entzündliche Reaktion um die Alzheimer-(Amyloid)-Plaques erklärt (1, 2).
Aus folgenden Gründen ist es aber unwahrscheinlich, daß ein wesentlicher Teil der Wirkung der Interferon-beta-Therapie bei MS auf diese Komedikation zurückgeführt werden kann:
· Bei den zur Zulassung führenden Studien war die Gabe von Paracetamol bei der Interferon-beta-1b(Betaferon)-Studie nur bei Bedarf (grippeartige Symptome) vorgesehen, bei den Studien mit den beiden anderen Präparaten hingegen obligat (wahrscheinlich, um die Verblindung der Untersucher zu optimieren). Ein geringerer Therapieeffekt in den Gruppen der Interferon-beta-1b-Studie, in denen Paracetamol oder Ibuprofen nicht obligat gegeben wurde, ist nicht nachweisbar gewesen. Auch haben in den beiden anderen Studien die Plazebo-Gruppen, die regelmäßig die Komedikation erhielten, keinen besseren Verlauf genommen als man nach allgemeinen Erfahrungen erwartet hätte, und es ließ sich ein signifikanter Effekt gegen Verum nachweisen (3, 4).
· Die grippeartigen Symptome treten fast nur zu Beginn der Therapie auf, der Interferon-Effekt auf anreichernde Herde im MRT, Schubrate und Progression der Behinderung hält hingegen lange an. Ein die Einnahme überdauernder Effekt von Ibuprofen und Paracetamol ist aber nicht bekannt.
· In einer kleinen Studie (5) wurde der Effekt von Ibuprofen auf Zahl und Größe anreichernder MS-Herde im MRT untersucht. Dabei war die Zahl dieser Herde nach einer Woche nicht signifikant verändert, die ”Läsions-Last” (d.h. das Gesamtvolumen aller anreichernden Herde) allerdings minimal geringer. Die Autoren schließen daraus, daß der deutliche Effekt der Beta-Interferone durch die Komedikation nicht wesentlich beeinflußt worden ist.
· Bei der Rheumatoiden Arthritis werden ebenfalls nicht-steroidale Antirheumatika gegeben wegen ihrer Effekte auf Schmerz und Entzündungsreaktion. Dennoch haben sich diese Substanzen nicht als langfristige Therapie des entzündlichen Grundprozesses bewährt. Hierfür sind Steroide und sogenannte Basis-Therapeutika wesentlich wirksamer. Bei der Therapie der MS dürften analoge Verhältnisse vorliegen. Es ist also davon auszugehen, daß die Komedikation keinen oder allenfalls nur einen minimalen Anteil am Therapieeffekt der Interferon-Medikation bei MS hat. <<
Literatur
- Lim, G.P., et al: J. Neurosci. 2000, 20, 5709.
- Blasko, I., et al: Neurobiol. Dis. 2001, 8, 1094.
- Jacobs, L.D., et al. (MSCRG = Multiple Sclerosis Collaborative Research Group): Ann. Neurol. 1996, 39, 285.
- IFNB Multiple Sclerosis Study Group: Neurology 1995, 45, 1277.
- Barkhof, F.: Ann. Neurol. 1997, 42, 982.