In der Novemberausgabe haben wir bereits über das neue Antikoagulanz Fondaparinux-Natrium (Arixtra) berichtet (AMB 2002, 36, 84). Nun soll eine weitere, wie wir meinen wesentlich interessantere Substanz vorgestellt werden. Ximelagatran und Melagatran (Exanta) sind direkte Thrombininhibitoren, wie die Hirudine. Die Substanz wurde von Astra Zeneca entwickelt und die Zulassung im Juli 2002 bei der EMEA beantragt.
Ximelagatran ist ein Prodrug von Melagatran und wird oral verabreicht. Melagatran steht zur s.c. Injektion zur Verfügung. Ximelgatran ist also als Alternative zur oralen Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten (Phenprocoumon) zu sehen. Firmenvertreter werben auch damit, daß ein Monitoring der Gerinnungswerte nicht notwendig sei.
In einer Studie mit dem Akronym METHRO II wurde die Wirksamkeit einer sequenziellen Thromboseprophylaxe mit Melagatran s.c. gefolgt von einer oralen Therapie mit Ximelagatran gegen das niedermolekulare Heparin Dalteparin (Fragmin) getestet (Eriksson, B.I., et al., MElagatran for THRombin inhibition in Orthopedic surgery II: Lancet 2002, 360, 1441). Die Indikation war Thromboseprophylaxe bei orthopädischen Risiko-Operationen (zwei Drittel Hüftgelenk- und ein Drittel Kniegelenkersatz). Wie bei den Fondaparinux-Studien wurde die Häufigkeit von postoperativen Thrombosen mit Phlebographie überprüft.
Insgesamt wurden 1876 Patienten multizentrisch eingeschlossen. Ausschlußkriterien waren u.a. ein Körpergewicht > 110 kg oder < 50 kg bzw. Nieren- oder Leberinsuffizienz. Die Patienten wurden in 5 Gruppen randomisiert. Eine Gruppe erhielt Dalteparin und 4 Gruppen Melagatran/Ximelagatran in 4 unterschiedlichen Dosierungen. Dalteparin wurde erstmalig am Abend vor der Operation verabreicht und dann weiter einmalig täglich bis zur geplanten Phlebographie. Melagatran wurde erstmalig unmittelbar vor Beginn der Operation gegeben, dann 7-11 Stunden nach der Operation ein zweites Mal. Es folgte eine zweimalige tägliche Injektion bis zum Beginn der oralen Therapie mit Ximelagatran am Tag 1-3 nach der Operation bis zur geplanten Phlebographie.
Primäre Endpunkte der Studie waren die Häufigkeit klinisch manifester Thromboembolien und subklinischer tiefer Beinvenenthrombosen in der Phlebographie, die am Tag 7-10 nach der OP erfolgte. Bei 79% der Patienten standen am Ende auswertbare Phlebographien zur Verfügung.
Ergebnisse: Es fand sich ein dosisabhängiger Effekt auf die Häufigkeit tiefer Venenthrombosen mit Melagatran/Ximelagatran. Etwa ab der zweiten Dosierungsstufe bestand eine Gleichwertigkeit mit der Standard-Dosis Dalteparin und dies unabhängig von der Art des operativen Eingriffs. Nur die höchste Dosierung Melagatran/Ximelagatran war der Gabe von Dalteparin signifikant überlegen (Tab. 1).
Die Blutungshäufigkeit war ebenfalls dosisabhängig, wenngleich nicht statistisch signifikant unterschiedlich zwischen den Gruppen. Zu kritischen Organblutungen kam es in keinem Fall. Auch die übrigen denkbaren unerwünschten Wirkungen waren etwa gleich. Die Studie wurde in den Dalteparin-Gruppen bei 2,9% und in den Melagatran/Ximelagatran-Gruppen bei 3,4% der Patienten abgebrochen. Die aPTT war in den Melagatran/Ximelgatran-Gruppen dosisabhängig verlängert (1,11-fach; 1,18-fach; 1,24-fach; 1,33-fach).
Kritisch angemerkt werden muß, daß in METHRO II bei der Indikation Hüftgelenkersatz in den Phlebographien etwa doppelt so häufig Thrombosen gefunden wurden als in den Fondaparinux-Studien. Eine Erklärung hierfür liegt nicht auf der Hand, da die Patienten in ihren demographischen Variablen vergleichbar sind. Ein weiterer Kritikpunkt der METHRO-II-Studie ist, daß Planung, Durchführung und Datenauswertung der Studie von Astra Zeneca vorgenommen wurden. Die Autoren verweisen jedoch darauf, daß sie uneingeschränkten Zugang zum Datenmaterial hatten. Immerhin 5 von 10 der Autoren sind Angestellte der Herstellerfirma.
Melagatran/Ximelagatran wird derzeit in mehreren Studien getestet und wohl bald mit viel Lärm auf den Markt drängen. Die sog. EXPRESS-Studie verglich Melagatran/Ximelagatran mit Enoxaparin bei orthopädischen Eingriffen und wurde auf dem 17. Internationalen Thrombose-Kongreß in Bologna (26.10.2002) vorgestellt. Die Wirksamkeit bei einer weiteren interessanten Indikation, dem Vorhofflimmern, wird ebenfalls in Studien geprüft (SPORTIF: Eur. J. Neurol. 2002, 9 Suppl.2, 162, P3002).
Fazit: Melagatran und sein Prodrug Ximelagatran sind sehr interessante Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Antikoagulanzien. Sie werden den Vitamin-K-Antagonisten mittelfristig Konkurrenz bereiten. Es muß abgewartet werden, ob diese neue Substanzgruppe über einen längeren Therapiezeitraum so sicher ist, wie behauptet, ob tatsächlich auf ein Monitoring der Gerinnungswerte verzichtet werden kann, wie behauptet, und ob sie den Vitamin-K-Antagonisten auch ökonomisch Paroli bieten können. Noch wissen wir viel zu wenig über Melagatran und Ximelagatran. Es fällt auf, daß bei gleicher antikoagulatorischer Wirksamkeit auch die Häufigkeit von Blutungskomplikationen gleich ist.