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Leserbrief: Mißbildungsrisiko bei Kindern unter Azathioprin-Behandlung des Vaters?

Fragen von Dr. W.B. aus Warendorf: >> Ich betreue einen jungen Mann (31 Jahre), der wegen eines floriden M. Crohn seit zwei Jahren mit Azathioprin behandelt wird. Er plant, eine Familie zu gründen und fragt nach dem Risiko von Mißbildungen unter Azathioprin. Im Einzelnen will er wissen: Welche Mißbildungen treten unter Azathioprin auf. Wieviel Fälle sind davon in der Literatur beschrieben? Sind diese Fälle in der Frühphase durch eine Genanalyse zu diagnostizieren? Hat dieser Mann eine Chance auf gesunde Nachkommen oder soll man ihm von eigenen Kindern gänzlich abraten? <<

Antwort: >> Azathioprin (AZA) ist ein Immunsuppressivum, das in der Leber rasch in mehrere Metaboliten umgewandelt wird, auch in das aktive 6-Mercaptopurin (6-MP), einen Inhibitor des Purin-Metabolismus.

Es gibt drei neuere Studien mit jeweils kleinen Fallzahlen, die der Fragestellung nachgehen, ob AZA bzw. 6-MP in immunsuppressiver Dosierung negative Auswirkungen auf Schwangerschaften haben können, wenn der Vater es vor oder zum Zeitpunkt der Konzeption eingenommen hat. In einer weiteren Arbeit werden Auswirkungen auf die Spermatogenese untersucht. Leider sind die Ergebnisse dieser Studien widersprüchlich.

Rajapakse et al. (1) untersuchten retrospektiv 50 exponierte Schwangerschaften von 23 Vätern, wobei in 37 Schwangerschaften die väterliche 6-MP-Therapie schon mehr als drei Monate vor der Konzeption abgesetzt worden war. Unter den 13 Schwangerschaften, bei denen 6-MP innerhalb von drei Monaten vor bzw. bis zur Konzeption eingenommen worden war, fanden sich zwei Kinder mit Fehlbildungen (ein Kind mit fehlendem Daumen; ein Schwangerschaftsabbruch im 4. SSM nach Diagnose Akranie und multipler Finger- und Extremitätenfehlbildungen) sowie zwei Spontanaborte. Die Autoren folgern, daß die Inzidenz von Komplikationen signifikant erhöht ist, wenn die Väter 6-MP innerhalb von drei Monaten vor Konzeption eingenommen hatten.

Francella et al. (2) berichteten über 81 exponierte Schwangerschaften mit paternaler 6-MP-Exposition, von denen 44 die Einnahme vor der Konzeption stoppten und 37 es mindestens bis zur Konzeption eingenommen hatten. Sie fanden in der gesamten Gruppe vier große Fehlbildungen, von denen drei in der Gruppe waren, bei der die Medikamenteneinnahme lange vor der Konzeption beendet worden war: 1. Herzfehlbildung, Abbruch, Therapie bis drei Jahre vor Konzeption; 2. doppelter Aortenbogen mit Tracheomalazie, Therapieende zehn Monate vor der Konzeption; 3. Pylorusstenose, Therapieende vier Jahre präkonzeptionell; 4. Meningomyelozele, Abbruch, Therapie über die Konzeption hinaus. Obwohl dies rechnerisch ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko bedeutet, besonders in der Teilgruppe mit länger zurückliegender Therapie, wird dies von den Autoren als nicht hinreichend für eine kausale Assoziation bewertet.

Die neueste Studie kommt aus Dänemark (3). Die Autoren untersuchen 54 Schwangerschaften (52 Väter nahmen AZA ein, zwei 6-MP). Sie fanden vier große Fehlbildungen, alle bei Knaben und von Vätern, die die Medikamente schon lange abgesetzt hatten: 1. Polysyndaktylie, Therapieende neun Monate vor Konzeption; 2. Ösophagusatresie, Therapieende 25 Monate vor der Konzeption; 3. Hydronephrose mit Megaureter, Therapieende 28 Monate vor der Konzeption; 4. Ventrikelseptumdefekt, Therapieende 38 Monate vor Konzeption. Sie diskutieren ein erhöhtes Risiko bei paternaler Anwendung dieser Substanzen, besonders wenn die Therapie länger als drei Monate zurückliegt.

Aufgrund der kleinen Fallzahlen in allen drei Studien ist ihre „statistische Power” gering. Biologisch erscheint es außerdem wenig plausibel, von einem Zusammenhang zwischen der AZA- bzw. 6-MP-Therapie des Vaters und kindlichen Fehlbildungen auszugehen, wenn die Medikamenteneinnahme länger als drei Monate vor der Konzeption beendet wurde, es sei denn, man ginge von einer Schädigung der Samenstammzellen aus, für die es bisher wenig Anhaltspunkte gibt.

In einem Fallbericht wird über die Mutagenität der Substanzen spekuliert (4). Dort wird über eine Neumutation berichtet, die sich beim Kind in beidseitiger Aniridie und leichter psychomotorischer Verzögerung im Alter von vier Jahren manifestierte. Der Vater hatte 6-MP/AZA wegen M. Crohn eingenommen. Wahrscheinlich handelt es sich um ein zufälliges Zusammentreffen.

Dejaco et al. (5) haben das Sperma von 18 Männern vor, während und nach AZA-Therapie untersucht. Alle Parameter lagen innerhalb des WHO-Standards.

Im Pharmakovigilanzzentrum Embryonaltoxikologie in Berlin überblickt man bisher 30 prospektiv registrierte Schwangerschaftsverläufe, davon 28 mit paternaler AZA- und zwei mit 6-MP-Exposition, ohne daß sich bisher ein Anhalt für ein erhöhtes teratogenes oder mutagenes Risiko gezeigt hätte: keine großen Fehlbildungen, nur drei kleinere Anomalien: Xanthom an der Oberlippe eines Mädchens, Nabelhernie bei einem Jungen, drei kleine Hämangiome am Arm eines Mädchens.

Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Datenlage nach wie vor unbefriedigend ist. Die theoretisch bestehenden Bedenken dagegen, daß AZA (oder 6-MP) bis zur Konzeption bzw. darüber hinaus vom Vater eingenommen wird, können weder gänzlich ausgeräumt, aber auch nicht bestätigt werden. Wir empfehlen daher folgendes Vorgehen: Einem Mann mit Kinderwunsch, der z.B. wegen eines M. Crohn mit AZA/6-MP behandelt wird, muß nicht davon abgeraten werden, Vater zu werden. Wenn therapeutisch vertretbar, sollte AZA/6-MP drei Monate vor der Konzeption abgesetzt werden. Wenn es keine therapeutische Alternative gibt, ist eine Vaterschaft auch bei Weiterbehandlung akzeptabel. Bei eingetretener Schwangerschaft empfehlen wir eine Untersuchung mit hochauflösendem Ultraschall zur Überprüfung der Entwicklung des Feten. Für eine routinemäßige Amniozentese sehen wir derzeit nicht genügend Gründe. <<

Literatur

  1. Rajapakse, R.O., et al.: Am. J. Gastroenterol. 2000, 95, 684.
  2. Francella, A., et al.: Gastroenterology 2003, 124, 9.
  3. Norgard, B., et al.: Aliment. Pharmacol. Ther. 2004, 19, 679.
  4. Ben-Neriah, Z., und Ackerman, Z.: Am. J. Gastroenterol. 2001, 96, 251.
  5. Dejaco, C., et al.: Gastroenterology 2001, 121, 1048.