Die Firma Lilly aus Bad Homburg schrieb: >> … die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft führt in ihren Handlungsleitlinien Raloxifen gleichberechtigt mit den Bisphosphonaten Alendronat und Risedronat … auf. Die Leitlinien des Dachverbandes Osteologie … führen Raloxifen ebenfalls als Pharmakotherapie der ersten Wahl auf. … Bei Ihren Ausführungen (1) weisen Sie darauf hin, daß in der MORE-Studie (2) keine Dosisabhängigkeit zwischen 60 und 120 mg/d nachgewiesen wurde und dies als Mangel anzusehen sei. Bei der Konzeption der Studie ging man davon aus, daß bei 60 und 120 mg/d eine volle Frakturwirksamkeit nachzuweisen sein sollte, nachdem vorausgegangene Dosisfindungsstudien ein Wirkungsplateau oberhalb von 60 mg/d bei den üblichen Surrogatparametern gefunden hatten.
Hinsichtlich der Wirksamkeit von Raloxifen bezüglich der Reduktion von Schenkelhalsfrakturen möchten wir darauf verweisen, daß diese nicht Studienendpunkt waren … auch in den großen randomisierten Studien (wurde) für das extravertebrale Frakturrisiko unter Adrenolat und Risedronat ebenfalls erst in Subanalysen mit geringerer Evidenzstärke eine Wirksamkeit zur Verhinderung nicht-vertebraler Frakturen demonstriert. Für Raloxifen sind mittlerweile entsprechende Subgruppenanalysen veröffentlicht worden (3). Dabei zeigt sich, daß Raloxifen bei Patientinnen mit vorbestehenden Wirbelfrakturen des Schweregrads III, also einer ausgeprägten vorbestehenden Osteoporose, eine signifikante Reduktion des extravertebralen Frakturrisikos um 47% nachgewiesen werden konnte. <<
Antwort: >> Unsere Empfehlung steht tatsächlich nicht im Einklang mit den Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission sowie den Leitlinien des DVO, die Alendronat, Risedronat und Raloxifen als Osteoporose-Therapeutika auf eine Stufe stellen. Auch in der Beurteilung der Knochendichtemessung weichen wir übrigens von den Leitlinien ab, denn die Dichtemessung muß durchaus nicht immer Basis der Prophylaxe und Therapie sein. Leitlinien sind nicht der Weisheit letzter Schluß. Sie müssen kritisch analysiert werden. Zu Raloxifen haben z.B. nicht alle Leitlinien dieselbe Meinung. In den Schottischen Guidelines z.B. wird ausdrücklich auf unzureichende Belege der Wirksamkeit von Raloxifen auf nicht-vertebrale Frakturen, insbesondere Schenkelhalsfrakturen, hingewiesen (7).
Primäres Ziel der von Ihnen angeführten Arbeit von Delmas et al. (3) war es, als Post-hoc-Analyse der MORE-Studie der Frage nachzugehen, ob die Schwere der vorbestehenden Wirbelkörperfrakturen bei Osteoporose das Risiko beeinflußt, neue vertebrale und nicht-vertebrale Folgefrakturen zu erleiden. In einer Subgruppenanalyse wurden alle Patientinnen mit schweren vorbestehenden Wirbelkörperfrakturen (> 40% Höhenminderung; n = 614) hinsichtlich des Auftretens neuer nicht-vertebraler Frakturen unter Plazebo bzw. 60 mg/d bzw. 120 mg/d Raloxifen untersucht. Wird die Definition des Studienprotokolls für nicht-vertebrale Frakturen zugrundegelegt (18 nicht-traumatische Frakturlokalisationen), so ergibt sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen. Erst bei Eingrenzung auf sechs Frakturlokalisationen, die die Autoren nach eigenem Gutdünken auswählten, ergibt sich eine Reduktion der Frakturrate um 47% bzw. 52% (60 mg/d bzw. 120 mg/d) gegenüber Plazebo. Das Signifikanzniveau wird in der Arbeit leider nicht angegeben.
Die Arbeit kann daher zwar als Hinweis dienen, daß Raloxifen in der Subgruppe mit erheblichem Schweregrad der primären Frakturen die Rate von Folgefrakturen günstig beeinflussen könnte, zur definitiven Beantwortung dieser Frage aber ist sie nicht geeignet.
Anders wurde in der Arbeit von McClung et al. (4) der Frage nachgegangen, ob Risedronat in der Lage ist, die Häufigkeit von Schenkelhalsfrakturen bei Frauen mit Osteoporose mit und ohne Risikofaktoren für Stürze und Schenkelhalsfrakturen zu vermindern. Bei Frauen zwischen 70 und 79 Jahren ließ sich zeigen, daß 5mg/d Risedronat die Häufigkeit von Schenkelhalsfrakturen um 40% gegenüber Plazebo senkt (1,9% vs. 3,2%; p = 0,009; NNT = 78). Der Effekt ist bei schwerer Osteoporose mit vorbestehenden Wirbelfrakturen noch ausgeprägter (2,3% vs. 5,7%; p = 0,003; NNT = 26), während in der Altersgruppe über 80 Jahre kein Effekt nachweisbar war.
Die ebenfalls von uns zitierte Arbeit von Harris et al. (5), die nicht-vertebrale Frakturen als sekundären Endpunkt unter Risedronat vs. Plazebo untersucht, findet eine signifikante Frakturreduktion von fast 40% (5,2% vs. 8,4%; p = 0,02; NNT = 31). Black et al. (6) konnten hingegen keine signifikante Reduktion nicht-vertebraler Frakturen unter Alendronat nachweisen.
Insgesamt ist die Datenlage bezüglich der Verhinderung nicht-vertebraler Frakturen, insbesondere Schenkelhalsfrakturen, bei präexistenter Osteoporose für das Bisphosphonat Risedronat günstiger als für Raloxifen. Es muß eingeräumt werden, dass dieser Effekt für Alendronat nicht gleichermaßen klar belegt ist.
Das Nebenwirkungsprofil von Raloxifen mit einem dreifach erhöhten Thromboembolie-Risiko als potentiell lebensbedrohlicher, wenn auch seltener Komplikation war ein weiteres Argument für die differente Bewertung der Substanzen. <<
Literatur
- AMB 2004, 38, 33.
- Barrett-Connor, E., et al. (MORE = Multiple Outcomes of Raloxifene Evaluation): JAMA 2002, 287, 847.
- Delmas, P.D., et al. (MORE = Multiple Outcomes of Raloxifene Evaluation): Bone 2003, 33, 522.
- McClung, M.R., et al. (HIP = Hip Intervention Program): N. Engl. J. Med. 2001, 344, 333.
- Harris, S.T., et al. (VERT = Vertebral Efficacy with Risedronate Therapy): JAMA 1999, 282, 1344.
- Black, D.M., et al. (FIT = Fracture Intervention Trial): Lancet 1996, 348, 1535.
- Scottish Intercollegiate Guidelines Network: Management of Osteoporosis, June 2003. www.sign.ac.uk