Zu unserer Kleinen Mitteilung (1) erhielten wir von Herrn Dr. C. Schaefer vom Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum (PVZ) für Embryonaltoxikologie in Berlin folgende Stellungnahme:
>> Der von Cooper und Mitarbeitern 2006 publizierte Bericht (2) wird im Editorial derselben Ausgabe (3) als eine der ersten systematischen Untersuchungen zu ACE-Hemmern (ACE-H) im 1. Trimenon bezeichnet. In der Tat beruhen die bisher veröffentlichten Daten zu insgesamt etwa 220 im 1. Trimenon mit ACE-H behandelten Schwangeren auf Fallberichten und Fallserien (4-13).
Zu der o.g. kleinen Studie an 209 Kindern ist folgendes anzumerken:
· Die Studie beruht auf Verordnungsdaten bzw. Rezept-Einlösedaten, die keine Gewähr dafür geben, wann exakt im postulierten „teratogenen Fenster”, in welcher Dosis und ob überhaupt ACE-H eingenommen wurden.
· Auch der Ausschluss gleichzeitig genommener anderer Teratogene erscheint aufgrund des Studiendesigns nicht zuverlässig, da die Expositionsdaten offenbar nicht bei der Schwangeren oder dem betreuenden Arzt verifiziert wurden.
· Ein gut eingestellter Diabetes ist kein „teratogener Faktor” mehr, eine „übersehene” bzw. unzureichend diagnostizierte diabetische Stoffwechsellage hingegen schon. Diese wird nach den dargelegten Kriterien jedoch nicht zuverlässig erfasst bzw. ausgeschlossen.
· Die Liste der Medikamente, die aufgrund unterstellter Teratogenität zum Ausschluss von Patientinnen führte, enthält Arzneimittel, die sich bisher keineswegs beim Menschen als teratogen gezeigt haben, manche allerdings als fetotoxisch nach dem 1. Trimenon.
· Für jedes fehlgebildete Kind muss die präzise Angabe zu den Tagen der Exposition (teratogenes Fenster) vorliegen sowie die komplette Ko-Medikation. Das ist nicht der Fall.
· Zwei Kinder mit Vorhofseptumdefekt (ASD) waren, wenn man den Verordnungsdaten Glauben schenkt, ausschließlich im 1. Monat exponiert. Wenn der 1. Monat bis Woche 4 nach letzter Regel definiert ist (was üblich wäre), ist der Expositionszeitraum für einen ASD zu früh. Damit wird die Signifikanz für Herzfehlbildungen zumindest erheblich geschwächt.
Daten im Berliner PVZ Embryonaltoxikologie: Die im Berliner PVZ Embryonaltoxikologie vorliegenden, prospektiv erfassten Schwangerschaften mit ACE-H im 1. Trimenon umfassen 177 Schwangere, darunter Enalapril (n = 47), Captopril (n = 45), Ramipril (n = 30), Lisinopril (n = 21). Von den 177 Schwangerschaften endeten 24 als Spontanabort bzw. intrauteriner Fruchttod, 21 wurden abgebrochen (davon 2 wegen embryopathischer Befunde: 1 Trisomieverdacht, 1 Potter I), von den 132 Lebendgeborenen wiesen 6 große Fehlbildungen auf: 1 Ventrikelseptumdefekt (VSD) mit Aorten- und Mitralklappendefekt, 1 Vorhofseptumdefekt (ASD), 1 Lippen-Gaumenspalte, 1 multizystische Nierendysplasie, 1 Lungenhypoplasie, 1 Zwerchfellhernie. Einschließlich der aus embryopathischer Indikation abgebrochenen Schwangerschaften beträgt die Rate großer Fehlbildungen (abzüglich chromosomaler Anomalien) demnach 7/133 = 5,3%. Das sind signifikant mehr (OR = 4,4; p = 0,004; 95%-CI = 1,6-11,1) als in der Kontroll-Gruppe nicht-exponierter Schwangerer (17/1195 = 1,4%). Die Rate der Herzfehlbildungen beträgt in der ACE-Gruppe 2/133 = 1,5% gegenüber 6/1195 = 0,5% bei den Kontrollen, ein nicht-signifikanter Unterschied. Die anderen großen Fehlbildungen sind heterogen, entsprechen also keinem Muster. ZNS-Fehlbildungen wurden nicht beobachtet. Die im PVZ Berlin gesammelten retrospektiven Fallberichte („UAW Schwangerschaft”) zu ACE-H im 1. Trimenon enthalten keinen Fall mit Herzfehlbildung.
Ein Überblick in anderen europäischen Embryotoxzentren, die mit Berlin in der Fachgesellschaft European Network of Teratology Information Services (ENTIS) kooperieren (Bilthoven, Lausanne, Padua, Paris, Prag, Rom), erbrachte weitere 275 prospektiv erfasste Schwangerschaften mit ACE-H im 1. Trimenon. Von 222 Kindern wiesen lediglich 4 (1,8%) eine große Fehlbildung auf. Hinweise auf Herz- oder ZNS-Fehlbildungen ergeben sich nicht.
Zusammenfassung: Die Ergebnisse der Cooper-Studie sind ein Signal, das sich bisher nicht mit anderen Daten bestätigen lässt. Insbesondere hinsichtlich eines erhöhten Risikos für Herz- und ZNS-Fehlbildungen halten die Studienergebnisse einer kritischen Analyse nicht stand. Im PVZ Berlin wurde zwar eine signifikant erhöhte Rate großer Fehlbildungen im Vergleich zu einer nicht exponierten Kontroll-Gruppe Schwangerer ermittelt. Die beobachteten Anomalien waren aber heterogen und geben, ebenso wie retrospektiv erhobene Fallberichte, keinen Hinweis auf Herz- und ZNS-Fehlbildungen. Die Ergebnisse der Cooper-Studie müssen in einer größeren prospektiven Kohortenstudie mit verlässlichen Expositionsangaben (z.B. mittels ENTIS-Daten) sowie speziell zu Herz- und ZNS-Fehlbildungen in Fall-Kontrollstudien auf der Basis von Fehlbildungs- und Geburtsregistern geprüft werden. Die aktuellen Daten zu ACE-H in der Schwangerschaft berücksichtigend, sollte folgende Empfehlung (nach wie vor) gelten: ACE-H sollen in der Schwangerschaft nicht genommen werden (14). Insbesondere in der 2. Schwangerschaftshälfte besteht die Gefahr schwerer Schäden beim Feten. Bei (versehentlicher) Exposition im 1. Trimenon sollte auf ein besser erprobtes Antihypertensivum umgestellt und die normale Entwicklung des Embryos mittels hochauflösendem Ultraschall um Woche 18 bestätigt werden. Im Falle einer (fortgesetzten) Therapie in der 2. Schwangerschaftshälfte muss ebenfalls die Therapie sofort umgestellt und die Fruchtwassermenge kontrolliert bzw. Organschäden infolge Oligohydramnion/Anhydramnion ausgeschlossen werden. <<
Literatur
- AMB 2006, 40, 63a. Link zur Quelle
- Cooper, W.O., et al.: N. Eng. J. Med. 2006, 354, 2443 . Link zur Quelle
- Friedman, J.M.: N. Engl. J. Med. 2006, 354, 2498 . Link zur Quelle
- Feldkamp, M., et al.: JAMA 1997, 277, 1193 . Link zur Quelle
- Kreft-Jais, C., et al.: Br. J. Obstet. Gynaecol. 1988, 95, 420 . Link zur Quelle
- Lip, G.Y., et al.: Lancet 1997, 350, 1446 . Link zur Quelle
- Chisholm, C.A., et al.: Am. J. Perinatol. 1997, 14, 511 . Link zur Quelle
- Steffensen, F.H., et al.: Lancet 1998, 351, 596 . Link zur Quelle
- Bar, J., et al.: Int. J. Risk Safety Med. 1997, 10, 23.
- Burrows, R.F., und Burrows, E.A.: Aust. NZ J. Obstet. Gynaecol. 1998, 38, 306 . Link zur Quelle
- Piper, J.M., et al.: Obstet. Gynecol. 1992, 80 (3 Pt. 1), 429 . Link zur Quelle
- Yip. S.-K., et al.: Acta Obstet. Gynecol. Scand. 1998, 77, 570 . Link zur Quelle
- Briggs, G.G., Freeman, R.K., Yaffe, S.J.: Drugs in Pregnancy and Lactation. 7. Aufl., Williams and Wilkins, Baltimore 2005.
- Schaefer, C., Spielmann, H., Vetter, K.: Arzneiverordnung in Schwangerschaft und Stillzeit. 7. Aufl., Elsevier GmbH, München 2006.