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Reversibles posteriores Leukenzephalopathie-Syndrom nach Behandlung mit Bevacizumab

Häufige Symptome des reversiblen posterioren Leukenzephalopathie-Syndroms (RPLS) sind Kopfschmerzen, Bewusstseins- und Sehstörungen sowie Krämpfe. Die Diagnose des RPLS beruht auf neuroradiologischen Untersuchungen mit Nachweis eines meistens symmetrisch auftretenden Ödems in der weißen Substanz der posterioren zerebralen Hemisphären, insbesondere parieto-okzipital, das mittels Computer-, besser aber mittels Magnetresonanz-Tomographie (MRT) erkennbar ist. Unterschiedliche Ursachen des RPLS, wie hypertensive Enzephalopathie, Eklampsie und immunsuppressive bzw. zytotoxische Arzneimittel (z.B. Ciclosporin A, Tacrolimus, Interferone, Cisplatin), werden diskutiert, wobei die Pathogenese des RPLS jedoch noch unklar ist (1). Vermutet werden insbesondere Störungen der Autoregulation der zerebralen Durchblutung mit daraus resultierender Ischämie (z.B. bei Hypertonie) und eine endotheliale Dysfunktion (z.B. bei Eklampsie oder Therapie mit Immunsuppressiva oder Zytostatika).

In Leserbriefen an das N. Engl. J. Med. wurde jetzt über zwei Patientinnen berichtet (2, 3), bei denen nach Behandlung mit Bevacizumab (Avastin®) wegen metastasierter Tumorerkrankungen ein RPLS auftrat. Bevacizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der an den „Vascular endothelial growth factor” (VEGF) bindet und dadurch Wirkungen von VEGF hemmt (4). Bevacizumab wurde 2005 in Europa für die Erstlinien-Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms in Kombination mit 5-Fluorouracil (5-FU)/Folinsäure mit oder ohne Irinotecan zugelassen und wird derzeit weltweit in klinischen Studien zur adjuvanten Therapie kolorektaler Karzinome, aber auch Behandlung anderer Tumorerkrankungen, z.B. des Nierenzellkarzinoms, untersucht. Eine 52-jährige Patientin mit arterieller Hypertonie wurde wegen eines metastasierten Rektumkarzinoms mit drei Zyklen Polychemotherapie (5-FU/Folinsäure und Oxaliplatin) behandelt (2). Etwa 16 Stunden nach erstmaliger Gabe von Bevacizumab, das zusammen mit dem 4. Zyklus der Polychemotherapie verabreicht wurde, traten bei der Patientin beidseitiger Sehverlust, Kopfschmerzen und Verwirrung auf. Die körperliche Untersuchung ergab eine deutliche Blutdruckerhöhung (172/100 mm Hg) und einen bilateralen kortikalen Sehverlust bei normalen Fundi. Im MRT des Gehirns zeigten sich hyperdense Areale in beiden posterioren Okzipitallappen, die ebenso wie die klinische Symptomatik sehr gut vereinbar waren mit der Diagnose eines RPLS. Unter antihypertensiver Therapie bildeten sich innerhalb von 72 Stunden die Sehstörungen rasch zurück. Bei einer anderen, 59-jährigen, normotensiven Patientin, die wegen eines metastasierten Nierenzellkarzinoms insgesamt sieben Infusionen von Bevazizumab in zweiwöchigen Abständen erhalten hatte, traten acht Tage nach der letzten Infusion Wesensveränderungen mit schwerer Lethargie sowie tonisch-klonische Krämpfe auf (3). Klinische bzw. Laboruntersuchungen einschließlich Liquorpunktion ergaben bis auf eine arterielle Hypertonie (168/88 mm Hg) und eine Leukozytose von 14000/µl, vermutlich infolge eines Harnwegsinfekts mit Leukozyt- und Bakteriurie, keine pathologischen Befunde. Die neurologische Untersuchung zeigte eine kortikale Amaurosis und positive Pyramidenbahn-Zeichen. In der MRT, die zwei Monate zuvor noch einen Normalbefund ergeben hatte, fand sich eine ausgedehnte Leukenzephalopathie mit subkortikalem Verteilungsmuster. Der klinische Zustand der Patientin besserte sich rasch, und nach vier Tagen war die Patientin wieder normal ansprechbar und konnte Zeitung lesen. Bei einer MRT-Untersuchung nach sechs Wochen war die Leukenzephalopathie komplett verschwunden. Die Autoren beider Kasuistiken interpretieren die klinischen und radiologischen Befunden bei ihren Patientinnen als ein durch Bevacizumab ausgelöstes RPLS (2, 3) und diskutieren als hierfür verantwortliche Wirkungsmechanismen eine Störung der Blut-Hirn-Schranke bzw. eine arterielle Hypertonie durch Vasospasmen.

In den USA wird nach Auskunft des Herstellers (Genentech) auf die Auslösung eines RPLS durch Bevacizumab in der geänderten Fachinformation bzw. Packungsbeilage hingewiesen (5). Hoffentlich werden auch in Europa von Hoffmann-La Roche entsprechende Warnhinweise an Ärzte und Patienten rasch weitergeleitet und Fachinformation bzw. Packungsbeilage entsprechend geändert.

Fazit: An das seltene reversible posteriore Leukenzephalopathie-Syndrom (RPLS) nach Behandlung mit Bevacizumab sollte gedacht werden, wenn entsprechende klinische Symptome auftreten und charakteristische Befunde in der MRT nachweisbar sind. Unter antihypertensiver Therapie mit engmaschiger Kontrolle des Blutdrucks und Absetzen von Bevacizumab bilden sich in der Regel die neurologischen Störungen und radiologischen Befunde rasch zurück. Andere Ursachen, wie zerebrale Ischämie oder thromboembolische Komplikationen, die ebenfalls durch Bevacizumab ausgelöst werden können (4), müssen ausgeschlossen werden.

Literatur

  1. Hinchey, J., et al.: N. Engl. J. Med. 1996, 334, 494.
  2. Ozcan, C., et al.: N. Engl. J. Med. 2006, 354, 980.
  3. Glusker, P., et al.: N. Engl. J. Med. 2006, 354, 980.
  4. AMB 2005, 39,1.
  5. Barron, H.: N. Engl. J. Med. 2006, 354, 982.