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Neurotuberkulose – neue Aspekte in der Therapie einer seltenen Erkrankung

Zusammenfassung: Die Neurotuberkulose ist eine schwere, in Deutschland seltene Erkrankung. Der Erfolg der Therapie hängt entscheidend von der richtigen und raschen Diagnose und vom unverzüglichen Beginn der Therapie ab. Eine Reihe anderer, ebenfalls seltener Erkrankungen können die Symptome der Neurotuberkulose imitieren und müssen differenzialdiagnostisch bedacht werden. Die definitive Diagnose wird durch die Liquordiagnostik gestellt. Der initialen antituberkulösen Vierfach-Therapie folgt eine Zweifach-Therapie, wobei sich die Auswahl der Tuberkulostatika an dem Ergebnis der Resistenztestung orientiert. Die zusätzliche Gabe von Kortikosteroiden hat dabei ihren festen Stellenwert.

Die Diagnose Neurotuberkulose stützt sich auf die klinische Symptomatik, die Liquordiagnostik sowie die bildgebende Darstellungen des ZNS. Eine frühzeitige Diagnose, der unverzügliche Beginn einer adäquaten antituberkulotischen Therapie und das klinische Stadium sind die prognostisch wichtigen Faktoren für den langfristigen Heilungserfolg. Trotz effektiver Chemotherapeutika lässt sich die Neurotuberkulose häufig nur unbefriedigend therapieren. Bei weniger als der Hälfte der Patienten kann eine bleibende Beeinträchtigung oder der Tod verhindert werden. Neuere Arbeiten belegen, dass eine rechtzeitige und adäquate adjuvante Kortikoid-Therapie die Prognose hinsichtlich Letalität und Morbidität verbessert. Resistenzentwicklungen des wichtigsten Erregers, Mycobacterium tuberculosis, erschweren die Therapie. Die Neurotuberkulose ist eine Erkrankung, die sich – bis auf wenige foudroyante Verläufe – typischerweise subakut oder chronisch über Monate entwickelt. Bei über 80% der Patienten manifestiert sie sich als tuberkulöse Meningitis. Obwohl nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Drittel der Weltbevölkerung mit Mycobacterium tuberculosis infiziert ist, ist die Tuberkulose und insbesondere die Neurotuberkulose in Industrieländern eine seltene Erkrankung. Dies hat zu eingeschränkter Aufmerksamkeit und mangelhafter ärztlicher Erfahrung geführt. Diagnostische und therapeutische Schwierigkeiten sind die Folgen. Da es keinen Einzeltest mit hoher Sensitivität und Spezifität gibt, muss die Verdachtsdiagnose klinisch in der Zusammenschau aller Befunde gestellt werden. Mosaikartig müssen die klinischen Daten, anamnestischen Angaben, Laborwerte (vor allem aus der Liquoranalyse), die Bildgebung und die mikrobiologischen sowie in manchen Fällen die histologischen Ergebnisse zusammengefügt werden. Eine ausführlichere Darstellung dieser Thematik findet sich in einer aktuellen Übersicht (1).

Symptomatik: Risikofaktoren für die Ausbildung einer zerebralen Tuberkulose sind Alter, Alkoholismus, Diabetes mellitus, Malignome, HIV-Infektion und immunsuppressive Therapien, besonders die Behandlung mit TNF-alpha-Antagonisten. Photophobie, Fieber, Kopfschmerzen, Nausea und Vomitus sowie Nackensteifigkeit kennzeichnen das meningitische Stadium. Vom British Medical Research Council (MRC) wurde eine Schweregradeinteilung (Grad I-III) der Neurotuberkulose anhand klinischer Kriterien vorgeschlagen, in die u. a. der Glasgow Coma Score und fokal neurologische Zeichen eingehen (Tab. 1). Diese Einteilung soll bei der Entscheidung einer adäquaten Therapie und bei Einschätzung der Prognose helfen (2).

Tuberkulöse Meningitis: Häufig sind Hirnnervenparesen (30-50%), meist des N. abducens, seltener Paresen des III., IV., VII. oder VIII. Hirnnerven. Gelegentlich bestehen auch psychiatrische Symptome, wie Depression oder halluzinatorische Psychosen. Dann geht man von einer tuberkulösen Enzephalitis aus.

Tuberkulome: Neurologische Herdzeichen bzw. fokale Anfälle sind bei Neurotuberkulose meist durch zerebrale Tuberkulome bedingt. Ca. 1% aller Patienten mit aktiver Tuberkulose (3) und 4,5-28% mit tuberkulöser Meningitis entwickeln Tuberkulome (4). Sie können auch während einer adäquaten antituberkulösen Therapie auftreten oder sich vergrößern (4-7). Die Ätiologie dieser Reaktion ist im Rahmen einer Immunrekonstruktion zu erklären. Die genauen immunologischen Abläufe sind allerdings noch nicht vollständig geklärt. Klinisch äußern sich solche Tuberkulome häufig als fokale epileptische Anfälle. In solchen Situationen wird die antituberkulöse Medikation nicht verändert, jedoch sollte die begleitende Kortikosteroidtherapie erhöht oder erneut eingesetzt werden (7).

Hirndruck: Bei Neurotuberkulose kommt es machmal im Rahmen von Verklebungen durch das tuberkulöse Exsudat, durch Hirnödem oder durch Tuberkulome zu Liquor-Zirkulationsstörungen. Bei Obstruktion der basalen Zisternen, bei gestörtem Abfluss aus dem vierten Ventrikel oder bei Okklusion des Aquädukts entwickelt sich ein Hydrozephalus internus mit Papillenödem (8).

Hyponatriämie: Mehr als 50% der Patienten haben eine Hyponatriämie (< 135 mmol/l) bzw. ein hyponatriämisches natriuretisches Syndrom (9, 10). Hierfür werden verschiedene Mechanismen diskutiert (11), u.a. eine inadäquate Sekretion des antidiuretischen Hormons (SIADH; 12).

Spinale Manifestation: Eine Mitbeteiligung spinaler Strukturen wird bei ca. 10% der Tuberkuloseerkrankten gefunden (13). Spinale Tuberkulome präsentieren sich dabei klinisch als Querschnittssyndrome, spinale Beteiligungen der tuberkulösen Meningitis auch in Form einer Radikulomyelitis (Arachnitis) mit subakuter Paraparese, radikulärem Schmerzsyndrom und Blasenstörung. Bei spinaler Beteiligung wird ein Viertel durch eine vertebrale Tuberkulose (Pott’s Disease) verursacht und ist verbunden mit einer spezifischen Spondylitis mit paravertebralen Abszessen oder Gibbusbildung.

Ko-Infektion mit HIV: Eine zerebrale Tuberkulose findet sich fünfmal häufiger bei HIV-positiven als bei HIV-negativen Patienten. Bei HIV-Infizierten ist der Verlauf meist rascher progredient, die klinischen Symptome sind aber ähnlich (14). Die Letalität ist bei HIV-infizierten Patienten höher (15). Besonders ungünstig verläuft die ZNS-Tuberkulose bei AIDS-Patienten mit < 22/mm3 CD4-Zellen und wenn die Diagnose erst nach > 14 Tagen gestellt wird (16).

Diagnostik: Wegen der initial unspezifischen klinischen Symptome bei Neurotuberkulose muss differenzialdiagnostisch eine ganze Reihe unterschiedlicher, z.T. sehr seltener Erkrankungen bedacht werden. Dazu gehören Infektionen mit Bakterien, Pilzen, Viren oder Parasiten, aber auch andere inflammatorische oder tumoröse Erkrankungen. Die Diagnose einer Neurotuberkulose (und ihre Abgrenzung gegen andere Erkrankungen) kann allein anhand der Symptome weder mit Sicherheit gestellt noch ausgeschlossen werden. Die Diagnose basiert vielmehr auf der Zusammenschau von klinischen Symptomen, Liquordiagnostik, mikrobiologischer und molekularer Diagnostik, sowie zerebraler Bildgebung. Eine rasche Diagnose ist jedoch entscheidend für den klinischen Erfolg (17).

Liquordiagnostik: Charakteristisch sind eine lymphozytär dominierte Pleozytose, ein erhöhtes Gesamteiweiß sowie ein leicht erniedrigter Liquor-Glukose-Spiegel. Manchmal findet sich eine „Spinnenweben-Haut” auf der Oberfläche des Liquors; sie ist jedoch nicht pathognomonisch. Die Pleozytose liegt in der Regel zwischen 100/3 und 3000/3 Zellen. Bei 95% der Patienten findet sich eine Erhöhung der Liquoreiweiße (100-1000 mg/dl). Bei spinalem Liquorstopp können auch deutlich höhere Werte gefunden werden. Bei ca. 70% der Erkrankten findet sich ein > 50% erniedrigter Liquor/Serum-Quotient der Glukose. Dabei korreliert das Ausmaß der Erniedrigung mit der Schwere der Erkrankung (18, 19).

Mikrobiologische Diagnostik: Wie bei anderen Formen der Tuberkulose sollte auch bei V.a. auf Neurotuberkulose das Untersuchungsmaterial vor Beginn einer antituberkulösen Therapie gewonnen werden. Wegen der geringen Dichte der Mykobakterien benötigt man möglichst größere Liquormengen und für ihre Anreicherung stärkere Zentrifugalkräfte (≥ 3000 g). Die mikroskopische Untersuchung von Liquorausstrichpräparaten (z.B. mit Ziehl-Neelsen-Färbung) hat daher, trotz hoher Spezifität (> 95%), generell nur eine geringe Sensitivität (≤ 25%; 20). Eine höhere Sensitivität (> 50%) kann durch eine längere mikroskopische Untersuchung der einzelnen Präparate und durch wiederholte Liquoruntersuchungen erreicht werden (13, 21). Zum definitiven Nachweis des Erregers und zur anschließenden Resistenztestung müssen die Erreger angezüchtet werden. Die Sensitivität der Kultur beträgt bis zu 90% und ist abhängig vom Volumen der Liquorprobe (möglichst ≥ 6 ml; 20, 22).

Diagnosekriterien: Die Diagnose Neurotuberkulose beruht auf der klinischen und bildmorphologischen Einschätzung sowie der Liquordiagnostik. Beweisend ist der Nachweis von Mykobakterien im Liquor (Mikroskopie oder Anzucht). Trotz aller diagnostischen Bemühungen gelingt – auch im Verlauf – bei 10-40% der Patienten der Erregernachweis nicht. Bereits der ausreichend begründete Verdacht auf eine ZNS-Tuberkulose erfordert eine sofortige antituberkulöse Therapie (9, 23).

Therapie: Prinzipiell leiten sich die Empfehlungen zur Therapie der Neurotuberkulose von denen bei pulmonaler Tuberkulose ab (24, 25). Die Besonderheiten bei Neurotuberkulose sind die längere Behandlungsdauer und die Gabe von Kortikosteroiden.

Das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK), die amerikanische „Infectious Diseases Society” (IDSA) sowie die amerikanische und britische „Thorax Society” empfehlen folgendes Therapieregime (s.a. Tab. 2): Eine Initialphase intensiver Behandlung mit einer Vierfach-Kombination von Tuberkulostatika, gefolgt von einer längeren Kontinuitätsphase mit einer Zweifachtherapie (24, 26). Auch in Deutschland ist die Resistenzentwicklung gegenüber den klassischen Tuberkulstatika in den letzten Jahren, besonders bei Immigranten aus den Staaten der ehemaligen UDSSR, gestiegen. Auf der Basis dieser bekannten Resistenzsituation wird daher heute eine initiale Vierfachtherapie mit INH, RMP, PZA und EMB empfohlen (24). Dies sollte bei positiven Kulturen bis zum Ergebnis der Sensibilitätsprüfung beibehalten werden (wenn der Erreger gegen die verwendeten Substanzen empfindlich ist) oder bei fehlendem Resistenzprofil für zwei Monate fortgesetzt werden. In der Kontinuitätsphase der Therapie sollte dann mit INH und RMP bis zur zwölfmonatigen Gesamttherapiedauer behandelt werden. Für die Dauer der INH-Therapie ist zur Prophylaxe einer Hypovitaminose die Gabe von Pyridoxin (Vitamin B6) erforderlich (24, 26).

Kortikosteroide: Neuere Studien haben gezeigt, dass die zusätzliche Gabe von Kortikosteroiden, unabhängig vom Alter der Patienten und dem Schweregrad der Erkrankung, die Letalität verringert. Daher wird die adjuvante Therapie mit Kortikosteroiden (s. Tab. 3) für alle Patienten empfohlen, die nicht mit HIV infiziert sind (15). Die Daten aus der HIV-koinfizierten Gruppe waren uneinheitlich und stammen zum größten Teil von Patienten ohne hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART). Die Kortikosteroidgabe gefährdet diese Patientengruppe jedoch nicht und hat möglicherweise eine positive Auswirkung hinsichtlich des Überlebens (16). Daher sollten HIV-infizierte Patienten mit Neurotuberkulose die gleiche Therapie wie Nicht-HIV-Infizierte mit Neurotuberkulose erhalten (16).

Neurochirurgische Intervention: Einige Patienten mit Neurotuberkulose entwickeln einen Hydrozephalus. Liegt ein kommunizierender Hydrozephalus vor, gelingt oft eine ausreichende medikamentöse Therapie mit Acetazolamid oder Diuretika. Alternativ können serielle lumbale Liquorentnahmen den Liquor-Überdruck beheben. Die Indikation zu einem liquorableitenden Eingriff ist bei Vorliegen eines Hydrocephalus occlusus (z.B. durch Tuberkulome) gegeben. In der Regel wird bis zur Sanierung des Liquorbefunds eine externe Liquordrainage bevorzugt. Der Zeitpunkt der Shuntanlage hat einen signifikanten Einfluss auf den Therapieerfolg. In dieser Unsicherheit hinsichtlich des optimalen Vorgehens müssen stets die möglichen Komplikationen des Shunts mit dem gewünschten klinischen Nutzen abgewogen werden. Schädigungen, z.B. durch Tuberkulome, oder im Rahmen spinaler Abszesse, sind akut neurochirurgisch zu behandeln (27, 28).

Literatur

  1. Mackert, B.-M., et al.: Der Nervenarzt 2007, vorveröffentlicht. Link zur Quelle
  2. Hosoglu, S., et al.: Int. J. Tuberc. Lung Dis. 2002, 6, 64. Link zur Quelle
  3. Kumar, R.: Br. J. Neurosurg. 1998, 12, 344. Link zur Quelle
  4. Malone, J.L., et al.: West J. Med. 1990, 152, 188. Link zur Quelle
  5. Thrush, D.C., und Barwick, D.D.: J. Neurol. Neurosurg. Psychiatry 1974, 37, 566. Link zur Quelle
  6. Afghani, B., und Lieberman, J.M.: Clin. Infect. Dis. 1994, 19, 1092. Link zur Quelle
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  14. Berenguer, J., et al.: N. Engl. J. Med. 1992, 326, 668. Link zur Quelle
  15. Thwaites, G.E., et al.: N. Engl. J. Med. 2004, 351, 1741. Link zur Quelle
  16. Thwaites, G.E., et al.: J. Infect. Dis. 2005, 192, 2134. Link zur Quelle
  17. Holdiness, M.R.: Drugs 1990, 39, 224. Link zur Quelle
  18. Kumar, R., et al.: Arch. Dis. Child. 1999, 81, 221. Link zur Quelle
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  21. Fallon, R.J., und Kennedy, D.H.: J. Infect. 1993, 26, 226. Link zur Quelle
  22. Thwaites, G.E., et al.: J. Clin. Microbiol. 2004, 42, 996. Link zur Quelle
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  24. Schaberg, T., et al.: Pneumologie 2001, 55, 494. Link zur Quelle
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  27. Cruickshank, G.S., und Johnston, R.A.: Br. J. Neurosurg. 1996, 10, 93. Link zur Quelle
  28. Tacconi, L., et al.: Neurosurgery 1995, 37, 817. Link zur Quelle
  29. Medical Research Council: Lancet 1948, 1, 582.

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