Die heute in den meisten europäischen Ländern empfohlene perikonzeptionelle Einnahme von 400 µg Folsäure/d (vor geplanter Schwangerschaft und im ersten Trimenon) verringerte die Inzidenz von Neuralrohrdefekten bei Neugeborenen um ca. 36% (1). Weiterhin gibt es Hinweise auf eine Verringerung der Inzidenz von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (LKGS) bei Kindern nach Folsäureprophylaxe durch die Mütter.
Eine Studie aus Norwegen mit epidemiologischer Unterstützung aus den USA (2) bestätigt jetzt diesen Verdacht. In den Jahren von 1996 bis 2001 wurden die Mütter von 676 Kindern, die mit LKGS geboren und in einem operativen Zentrum für diese angeborene Fehlbildung behandelt wurden, etwa drei bis vier Monate nach der Entbindung kontaktiert. Sie wurden um Ausfüllung von Fragebögen zur Folsäure- und/oder Multivitamin-Einnahme perikonzeptionell sowie zur Ernährung in diesem Zeitraum gebeten. 88% der angeschriebenen Frauen nahmen an der Studie teil. In gleicher Weise wurden 1022 Mütter von gesunden Kindern (Kontrollen) befragt, von denen sich 76% an der Studie beteiligten.
Erfasst wurde die Einnahme von Folsäure-Tabletten (mit < 400 µg/d bzw. = 400 µg/d), Multivitaminpräparaten (ja/nein) und der Vitamingehalt der Kost (semiquantitativ). Als „confounders” wurden u.a. Raucherstatus und Alkoholkonsum in der Frühschwangerschaft erfragt.
Frauen ohne Folsäure-Supplementierung wurde das Relative Risiko (RR) 1.0 zuerkannt. Das Risiko für eine Lippenspalte mit oder ohne Kiefer-Gaumenspalte beim Neugeborenen war nach Einnahme von 400 µg/d Folsäure (oder mehr) durch die Mutter signifikant reduziert (RR: 0,66; 95%-Konfidenz-Intervall = CI: 0,47-0,95). Nach Berücksichtigung mehrerer „confounders” war das Ergebnis wegen der Vergrößerung des Konfidenz-Intervalls nur noch grenzwertig signifikant (RR: 0,65; CI: 0,40-1,05). Bei Einnahme von 1-399 µg/d Folsäure war das RR 0,98 unter Berücksichtigung von „confounders” 1,17 (CI: 0,75-1,84), also nicht signifikant. Die Inzidenz isolierter Gaumenspalten war mit der Folatprophylaxe nicht signifikant assoziiert. Am geringsten war das Risiko für eine LKGS, wenn die Mütter 400 µg/d oder mehr Folsäure bzw. Multivitaminpräparate plus eine folatreiche Kost eingenommen hatten (RR: 0,36; CI: 0,17-0,77). Diese Beobachtung erinnert daran, dass die optimale Folsäuredosierung in der Frühschwangerschaft zur Verhütung von Neuralrohrdefekten nicht bekannt ist. Wir haben berichtet, dass bei manchen Frauen, die Kinder mit Neuralrohrdefekten geboren haben, Antikörper gegen Folsäure-Rezeptoren vorliegen, deren Wirksamkeit wohl nur durch eine höhere Folat-Dosierung in der Frühschwangerschaft kompensiert werden kann (1).
Die vorliegende Arbeit wird durch einen Kommentar dänischer Autoren (3) ergänzt, die auch auf eine kürzlich erschienene große Metaanalyse zum Thema Folsäure und LKGS mit bestätigenden Ergebnissen hinweisen (4). Sie diskutieren auch die Frage der optimalen perikonzeptionellen Folsäuredosierung und das Für und Wider einer generellen Folatanreicherung von Nahrungsmitteln, die bereits in einigen Ländern, einschließlich USA und Kanada, nicht aber in Europa, praktiziert wird.
Fazit: Dieperikonzeptionelle Einnahme von Folsäure in einer Dosierung von mindestens 400 µg/d vermindert nicht nur das Risiko von Neuralrohrdefekten, sondern höchstwahrscheinlich auch von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, nicht aber von isolierten Gaumenspalten. Folsäuredosen bis zu 1000 µg/d während der Schwangerschaft gelten als „sicher”.
Literatur
- AMB 2004, 38, 29a. Link zur Quelle
- Wilcox, A.J., et al.: BMJ 2007, 334 , 464. Link zur Quelle
- Bille, C., et al.: BMJ 2007, 334 , 433. Link zur Quelle
- Badovinac, R.L., et al.: Birth Defects Res. A. Clin. Mol. Teratol. 2007, 79 , 8. Link zur Quelle