Seit mehr als 30 Jahren gibt es in Fachkreisen eine Debatte über die Mitverursachung des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) durch künstliche Zusätze in Nahrungsmitteln, besonders Farbstoffe. Eine Metaanalyse aller experimentellen Studien bis 2004 fand einen signifikanten Effekt von „artificial food colours and other food additives” (AFCA) auf das Verhalten von Kindern mit ADHS (1).
D. McCann et al. aus London und Southampton (2) berichten jetzt im Lancet über eine umfangreiche Studie, in der 153 dreijährige und 144 acht- und neunjährige Kinder plazebokontrolliert jeweils eine Woche lang zwei verschiedenen Mischungen von Nahrungsmittel-Farbstoffen (A und B) plus dem vielfach verwendeten Konservierungsmittel Natrium-Benzoat ausgesetzt wurden. Die Kinder entsprachen einer zufälligen Stichprobe dieser Altersgruppen in der Bevölkerung, d.h. nur wenige Kinder hatten ein ADHS. Für den gesamten Test-Zeitraum nahmen die Kinder eine Diät zu sich, aus der die zu prüfenden Substanzen weitgehend eliminiert worden waren. Für jeweils eine Woche bekamen sie dann täglich ein Getränk, das die zu testenden Stoffgemische (A oder B) enthielt, gefolgt von einer Woche Plazebotrunk (washout), gefolgt von einer weiteren Woche mit dem Probetrunk B oder A. Am Ende jeder Woche wurden Eltern, geschulte Psychologen und bei den Acht-Neun-Jährigen auch die Schullehrer gebeten, für jedes Kind Fragebögen auszufüllen, die sich auf das Verhalten der Kinder in der letzten Woche bezogen. Die drei Erhebungsbögen wurden in ein „global hyperactivity aggregate” (GHA) integriert.
Die Probelösung A enthielt „Sunset yellow”, Carmoisin, Tartrazin, Ponceau 4R und Natrium-Benzoat. Probelösung B entsprach der geschätzten täglichen Farbstoffexposition von Kindern und enthielt definierte Mengen von „Sunset yellow”, Carmoisin, Chinolin-Gelb, Allura-Rot AC und Natrium-Benzoat. Die bei den Kindern ermittelten Verhaltensqualitäten waren u.a. schnell wechselnde Beschäftigungen, zu viel Reden, Ruhelosigkeit, Zappeln und Konzentrationsstörungen. Wie die durch drei verschiedene Personengruppen (Eltern, Lehrer, Psychologen) ermittelten Werte zu einem GHA synthetisiert wurden, ist für den nicht-spezialisierten Leser nicht erkennbar.
In beiden Altersgruppen nahm in den Wochen, in denen Probetrunk A oder B konsumiert wurde, im Vergleich mit Plazebo-Wochen der GHA signifikant zu. Bei den Dreijährigen war Mischung A, bei den älteren Kindern Mischung B stärker wirksam. Die Heterogenität der Effekte soll erheblich gewesen sein, d.h. einige Kinder hatten einen erheblich gesteigerten GHA, andere zeigten keinen Effekt. Die Verblindung der Studie scheint gut gewesen zu sein, und durch einen Test-Vorlauf schien gesichert, dass Plazebotrunk (Fruchtsaftmischung) und Trunk A und B weder in Farbe noch Geschmack unterschieden werden konnten. Die Autoren wollen als nächstes klären, ob der festgestellte Effekt auch auf das aus Nahrungsmitteln schwer zu eliminierende Konservierungsmittel Natrium-Benzoat zurückzuführen ist. Für den Fall, dass sich der schädliche Effekt von Farbstoffen, die ja in erster Linie als Lockmittel für den Verzehr von Süßigkeiten eingesetzt werden, erhärten lässt, fordern sie gesetzgeberische Maßnahmen zur Elimination solcher Substanzen aus Nahrungsmitteln.
In einem Kommentar besprechen P.A. Eigenmann und C.A. Haenggeli, Schweizer Kinderärzte (3), die Ergebnisse dieser sorgfältig durchgeführten Studie. Sie scheinen jedoch die Bedeutung von AFCA als Teilursache des ADHS weniger gravierend zu bewerten als D. McCann et al. (2). Eltern von ADHS-Kindern sei jedoch anzuraten, versuchsweise AFCA soweit wie möglich aus der Nahrung des Kindes zu entfernen und den Effekt dieser Maßnahme auf das Verhalten zu prüfen. Psychologische und medikamentöse Therapiemaßnahmen, entsprechend geltenden Leitlinien, sollten dabei nicht vergessen werden.
Fazit: Der Verdacht eines negativen Effekts von Farbstoffen und anderen Zusätzen in Nahrungsmitteln auf das Verhalten von Kindern, besonders solchen mit ADHS, ist begründet. Solche völlig überflüssigen Fremdstoffe (s. 4) sollten möglichst aus Nahrungsmitteln verbannt werden.
Literatur
- Schab, D.W., und Trinh, N.H.: J. Dev. Behav. Pediatr. 2004, 25, 423. Link zur Quelle
- McCann, D., et al.: Lancet 2007, 370, 1560. Link zur Quelle
- Eigenmann, P.A., und Haenggeli, C.A.: Lancet 2007, 370, 1524. Link zur Quelle
- http://www.sensient-fce.com/products.html?&L=1 Link zur Quelle