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Seeding Trials am Beispiel Rofecoxib (VioxxÒ)

Unter zunehmendem öffentlichen Druck werden von akademischen Einrichtungen und ärztlichen Organisationen immer strengere Richtlinien erlassen, die das Verhältnis zwischen ihren Mitgliedern und der Pharmaindustrie regeln sollen. In der Laienpresse und -literatur werden häufig Praktiken und Verflechtungen von Ärzten angeprangert, die im Graubereich zur „Korruption” gesehen werden. Eine unübersichtliche und teils widersprüchliche Gesetzeslage erschwert die Beurteilung der rechtlichen Situation beträchtlich. Es gibt daneben aber auch diskretere, nicht einfach zu erkennende Methoden, das Verschreibeverhalten der Ärzte zu beeinflussen.

Ein Beispiel sind die sogenannten „Seeding Trials” (to seed = säen). Es handelt sich dabei um von der Pharmaindustrie – sehr oft im niedergelassenen Bereich („community-based”) – durchgeführte Studien, deren Hauptzweck nicht die Bestätigung oder Widerlegung einer wissenschaftlichen Hypothese ist, sondern die Umsatzsteigerung eines Arzneimittels. Bereits 1994 wurde diese besondere Art von „Studien” in einem Artikel des N. Engl. J. Med. kritisch beschrieben und durch folgende, häufig anzutreffende Kriterien definiert (1):

· Das zu testende Arzneimittel ist bereits zugelassen und kommt aus einem kompetitiven Bereich mit vielen Konkurrenzprodukten.

· Das Studiendesign ist inadäquat (nicht verblindet, nicht kontrolliert, kein Plazebo).

· Ärzte werden als „Trial investigators” und z.T. sogar als Ko-Autoren geworben aufgrund der Tatsache, dass sie ähnliche Arzneimittel häufig verschreiben und nicht aufgrund ihrer wissenschaftlichen Kompetenz.

· Im Verhältnis zur geleisteten Arbeit wird eine unangemessen hohe finanzielle Entschädigung an die „Investigators” gezahlt.

· Die Finanzierung erfolgt aus dem Marketingbudget der Firma und nicht aus dem Forschungs- und Entwicklungsbudget.

· Die Anforderungen an die Qualität der Datenerfassung sind gering.

Im vergangenen August wurde in den Ann. Intern. Med. ein interessanter Artikel veröffentlicht, der seither vielfach zitiert wird. In ihm wurde an Hand firmeninterner Dokumente nach Aussage der Autoren „der erste schriftliche Beweis” vorgelegt für die Existenz einer Studie, die firmenseitig als „Seeding trial” beabsichtigt war, aber nach außen als wissenschaftliche Studie getarnt wurde (2). Es handelt sich dabei um die von Merck & Co. gesponserte ADVANTAGE-Studie, deren Ergebnisse 2003 ebenfalls in den Ann. Intern. Med. publiziert worden waren (3). 600 (!) Ärzte hatten darin „community-based” 5 557 Arthritis-Patienten eingeschlossen, denen randomisiert Rofecoxib (Vioxx®) oder Naproxen mit einer Nachbeobachtungszeit von 12 Wochen verabreicht wurde. Es zeigte sich dabei eine etwas geringere Absetzrate infolge gastrointestinaler UAW (= primärer Endpunkt) von Rofecoxib (5,9% vs. 8,1%). Im Rahmen der Zivilprozesse gegen Merck im Zusammenhang mit den kardiovaskulären Sicherheitsdaten von VioxxÒ kamen später Unterlagen ans Licht, die belegten, dass firmenintern über ADVANTAGE routinemäßig als „Seeding trial” gesprochen wurde. „But let’s not call it that in our internal documents” wird aus einer E-Mail eines Angestellten in dem aktuellen Annals-Artikel zitiert. Dies sehen die vier Autoren um Harlan Krumholz von der Yale School of Medicine – alle vier übrigens Berater der Anwälte der Kläger gegen Merck – als betrügerische Vorgehensweise, mit der die Ärzte zur Verschreibung von VioxxÒ verleitet werden sollten (2). Im Editorial derselben Ausgabe (4) deuten die Herausgeber der Ann. Intern. Med. an, damals selbst in die Irre geführt worden zu sein, was zur Veröffentlichung der ADVANTAGE-Studie in ihrer Zeitschrift geführt habe. Sie geben Ärzten, Krankenhaus-Prüfkommissionen und auch den Patienten die Empfehlung, jede industriegesponserte Studie nach den oben genannten Kriterien zu beurteilen und gegebenenfalls konsequent „nein” zu sagen. Eine naturgemäß vorhandene kommerzielle Motivation der Firma schließe zwar eine seriöse wissenschaftliche Fragestellung und Methodik nicht aus. Diese müssten aber sorgfältig geprüft werden.

Fazit: Vor einer Teilnahme an industriegesponserten Studien im niedergelassenen Bereich zu bereits zugelassenen Arzneimitteln ist Vorsicht geboten. Häufig verbirgt sich dahinter eine als Wissenschaft getarnte Marketingaktivität, die als sogenanntes „Seeding trial” den Arzt unbemerkt zu einem Mitglied des Verkaufsteams des Sponsors werden lässt. Wie das Beispiel der ADVANTAGE-Studie zeigt, handelt es sich dabei keineswegs ausschließlich um einfache Anwendungsbeobachtungen, sondern mitunter auch um Studien, die vom Design her randomisiert und kontrolliert angelegt sind.

Literatur

  1. Kessler, D.A., et al.: N. Engl. J. Med. 1994, 331, 1350. Link zur Quelle
  2. Hill, K.P., et al.: Ann. Intern. Med. 2008, 149, 251. Link zur Quelle
  3. Lisse, J.R., et al. (ADVANTAGE = Assessment of Differences between Vioxx And Naproxen To Ascertain Gastrointestinal tolerability and Effectiveness): Ann. Intern. Med. 2003, 139, 539. Link zur Quelle
  4. Sox, H.C., und Rennie, D.: Ann. Intern. Med. 2008, 149, 279. Link zur Quelle Erratum: Ann. Intern. Med. 2008, 149, 439.