Rosiglitazon (R; Avandia®) wird seit seiner Zulassung im Jahr 2000 kritisch beurteilt, auch von uns (1-5). Begründet wird die Kritik mit dem ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis. Zwar werden Blutzucker und HbA1c gesenkt, aber es fehlt der Nachweis, dass auch diabetische Komplikationen verhindert werden. Im Gegenteil, das Körpergewicht und die Cholesterinkonzentration im Blut nehmen zu, und es werden vermehrt kardiovaskuläre Komplikationen beobachtet. Schon 2003 musste man fragen, ob R überhaupt zu Recht zugelassen wurde (2). Die bis dahin eher sporadischen negativen Beobachtungen wurden später durch eine Metaanalyse von Nissen et al. bestätigt (4) und konnten auch durch die vorzeitige Veröffentlichung der Ergebnisse einer von GSK finanzierten vergleichenden Untersuchung (5) nicht entkräftet werden. Trotzdem wurde R häufig verordnet: 2008 in Deutschland 25 Mio. Tagesdosierungen zum Preis von etwa 2 €.
Seit Jahren gibt es den Verdacht, dass negative Befunde zu R von der Herstellerfirma zurückgehalten werden. Nun hat dazu ein Untersuchungsausschuss des US-Finanzsenats das Ergebnis einer sehr sorgfältigen Untersuchung veröffentlicht (6). Dokumente der beteiligten Instanzen und Hinweise von anonymen Tippgebern, insgesamt 250 000 Seiten Text, wurden ausgewertet. Daraus ergab sich eindeutig, dass GSK schon Jahre bevor die herstellerunabhängige Analyse von Nissen (4) erschien, wusste, dass R unerwünschte kardiovaskuläre Wirkungen hat, die der Zulassungsbehörde hätten gemeldet werden müssen. Stattdessen versuchten Mitarbeiter von GSK mehrere unabhängige Ärzte (z.B. auch Nissen) massiv einzuschüchtern. Sie sollten die beobachteten kardiovaskulären Komplikationen zerreden und Befunde herunterspielen, die zeigten, dass Pioglitazon (Actos®, das Konkurrenzprodukt des Herstellers Takeda) kardiovaskuläre Komplikationen eher vermindert. Auf die empörenden Einzelheiten wollen wir hier nicht eingehen, aber die Lektüre des Berichts im Internet empfehlen (6). Der Bericht schließt mit dem Hinweis, dass in den letzten Jahren gegen Pharmafirmen in ähnlichen Fällen Geldstrafen in Höhe von insgesamt 7 Mrd. US-$ verhängt worden sind. Die amerikanischen Gerichte halten es also für einen Straftatbestand von hoher Relevanz, wenn unerwünschte Arzneimittelwirkungen gezielt und systematisch unter den Teppich gekehrt werden.
Aber die Firma GSK läßt nicht locker. Am 12. Februar 2010 veröffentlichte S.E. Nissen auf der Website des Eur. Heart J. vorfristig ein Editorial (7) mit dem Thema „Aufstieg und Fall von Rosiglitazon”. Darin schildert er die Ereignisse vor und nach der Zulassung von Rosiglitazon. Die Übereinstimmung mit dem Senatsbericht (s.o.) ist deutlich. Die Veröffentlichung des Editorials in der Printversion des Eur. Heart J. versuchte GSK in einem empörten Brief an die Herausgeber zu verhindern. Die Herausgeber wiesen diesen Versuch der Einflussnahme entschieden zurück. Das Editorial wurde gedruckt (8) und der ganze Vorgang – versuchte Einflussnahme auf die wissenschaftliche Berichterstattung – von den Herausgebern diskutiert und reflektiert (9).
Fazit: Die Strafbarkeit patientenfeindlicher Aktivitäten schreckt die Pharmahersteller offenbar nicht. In Deutschland haben wir solche kritische Untersuchungen und Auseinandersetzungen bisher nicht beobachtet. Warum nicht?
Literatur
- AMB 2002, 36, 17. Link zur Quelle
- AMB 2003, 37, 01. Link zur Quelle
- AMB 2006, 40, 93b. Link zur Quelle
- Nissen, S.E., und Wolski, K.: N. Engl. J. Med. 2007, 356, 2457. Link zur Quelle Erratum: N. Engl. J. Med. 2007, 357, 100. S.a. AMB 2007, 41, 45a. Link zur Quelle
- Kahn, S.E., et al. (ADOPT = A Diabetes Outcome Progression Trial): N. Engl. J. Med. 2006, 355, 2427. Link zur Quelle Erratum: N. Engl. J. Med. 2007, 356, 1387. S.a. AMB 2007, 41, 13a. Link zur Quelle
- http://finance.senate.gov/ (Letzter Zugriff: 7. Mai 2010). Link zur Quelle
- http://cardiobrief.org/2010/04/30/ Link zur Quelle
- Nissen, S.E.: Eur. Heart J. 2010, 31, 773. Link zur Quelle
- http://eurheartj.oxfordjournals.org/content/early/2010/04/23/ Link zur Quelle