Reaktionen auf Arzneimittel sind sehr unterschiedlich. Manche Menschen sind besonders empfänglich für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW). Ein Teil dieser Überempfindlichkeit ist genetisch bedingt. Arzneimittelbedingte Hautreaktionen (SSR: serious skin rashes), Leberschädigungen (DILI: drug induced liver injuries), interstitielle Nephritiden, Rhabdomyolysen, QT-Zeit-Verlängerungen, Angioödeme, aber auch Beeinträchtigungen der Blutbildung scheinen eine genetische Determinante zu haben. Wenn sich diese Veranlagung im Vorfeld einer Arzneimitteltherapie bestimmen ließe, könnten möglicherweise einige dieser teils lebensbedrohlichen Komplikationen vermieden werden. Ein Beispiel hierfür ist die Überempfindlichkeit gegenüber Carbamazepin (C). C wird nicht nur als Antikonvulsivum, sondern auch bei bipolaren Erkrankungen und chronischen neuropathischen Schmerzen eingesetzt. Es ist eines der am häufigsten verordneten Arzneimittel aus der Gruppe der Antikonvulsiva.
Die Verträglichkeit von C ist durch eine geringe therapeutische Breite und viele mögliche Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln eingeschränkt. UAW sind entsprechend häufig, besonders zu Beginn der Therapie. Es wird daher empfohlen, unter C-Therapie regelmäßig Blutbild, Nieren- und Leberfunktion sowie den C-Spiegel zu bestimmen. Außerdem sollen sich die Patienten wegen der Gefahr einer Photosensibilisierung vor starker Sonnenbestrahlung schützen. Sie müssen zu Beginn und im Laufe der Therapie über mögliche UAW genau aufgeklärt werden.
Ein besonderes Problem sind Hypersensitivitätsreaktionen unter C. Milde Formen, wie z.B. ein makulopapulöses Exanthem, treten bei 5-10% der Patienten auf. Schwere Formen mit Fieber, Eosinophilie, Hepatitis (DILI) und Nephritis sind selten, jedoch mit einer Letalität von bis zu 10% behaftet. Besonders schwere Formen der Hypersensitivität sind das Stevens-Johnson Syndrom (SJS) und die Toxische epidermale Nekrolyse (TEN). Etwa 1-6 von 10.000 Exponierten erkranken, ein Drittel der Patienten mit TEN sterben. Bei Asiaten treten SJS und TEN wesentlich häufiger als bei Europäern auf (ca. 2/1000). Ein bestimmter Genotyp (HLA-B*1502 Allel) hat sich als ein wichtiger und hochsensitiver Prädiktor für SJS und TEN erwiesen. In einer chinesischen Studie waren 7,7% von über 4800 Patienten, die aus verschiedenen Gründen mit C behandelt werden sollten, Träger dieses Genotyps. In einer prospektiven Interventionsstudie wurde diesen kein C, sondern eine alternative Substanz verordnet. Ein SJS und eine TEN traten daraufhin nicht mehr auf (1).
In der europäischen Bevölkerung wird das HLA-B*1502 Allel seltener gefunden (ca. 2%). Trotzdem treten Hypersensitivitätsreaktionen wie makulopapulöse Exantheme, Hypereosinophilie und Organreaktionen ähnlich häufig auf wie bei Asiaten, was den Verdacht nahelegt, dass auch andere Gene disponierend für UAW wirken.
In einer genomweiten Assoziationsstudie an europäischen Patienten wurde daher nach weiteren Genen für eine C-Hypersensitivität gesucht (2). Eine Gruppe aus Liverpool analysierte hierfür das Blut von über 4000 mit C behandelten Patienten, die in einem britischen Zentrum (Univ. Liverpool) und mehreren kollaborierenden europäischen Zentren (EPIGEN Konsortium) erfasst wurden. Hierunter befanden sich auch 145 Patienten, die unter C eine Hypersensitivitätsreaktion entwickelten: 106 ein makulopapulöses Exanthem, 27 eine generalisierte Reaktion (Fieber, Beteiligung der Leber oder eines weiteren Organs oder hämatologische Abnormalitäten) und 12 mit SJS. Diese 145 Patienten und 3987 Kontroll-Patienten wurden auf merkmalsassoziierte „single-nucleotide polymorphisms” (SNP) untersucht. Bei diesen Analysen konnte eine starke Beziehung zwischen einer MHC-Region auf Chromosom 6 (HLA-A*3101 Allel) und einer generalisierten Reaktion festgestellt werden: 40% der Betroffenen, aber nur 4,9% der Kontrollen, hatten diese genetische Variante (Odds ratio = OR: 12,4; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,27-121,03). Auch das Auftreten eines makulopapulösen Exanthems (22% vs. 4%; OR: 8,33; CI: 3,59-19,36) und eines SJS (42% vs. 4%; OR: 25,93; CI: 4,93-116,18) war jeweils signifikant mit dem Vorhandensein des HLA-A*3101 Allels assoziiert.
Auf der Basis dieser Befunde wurde berechnet, dass der Nachweis eines HLA-A*3101-Allels eine Spezifität von 96% und eine Sensitivität von 26% für die Vorhersage einer Hypersensitivitätsreaktion unter C hat. Bei einer geschätzten Prävalenz von 5% in Europa erhöht ein positives Testresultat die Wahrscheinlichkeit auf 26% und senkt ein negatives Testergebnis die Wahrscheinlichkeit auf 3,8%. Ganz ausschließen lässt sich eine Hypersensitivitätsreaktion also mit der Genotypisierung nicht. Trotzdem ließe sich das Therapierisiko deutlich mindern. Die Autoren berechnen, dass bei Europäern 83 und bei Asiaten 56 Patienten getestet werden müssen, um eine Hypersensitivitätsreaktion zu vermeiden. Die FDA hat mittlerweile eine Genotypisierung vor Beginn der Therapie mit C vorgeschrieben.
Fazit: Der Nachweis bestimmter Genotypen ist hochsignifikant mit dem Auftreten einer Hypersensitivitätsreaktion unter Carbamazepin assoziiert. Durch eine Genotypisierung vor Therapiebeginn können Risikopatienten identifiziert und schwere UAW durch die Wahl einer sichereren Therapiealternative vermindert werden.
Literatur
- Chen, P., etal.: N. Engl. J. Med. 2011, 364, 1126. Link zur Quelle
- McCormack,M., et al.: N. Engl. J. Med. 2011, 364, 1134. Link zur Quelle