Zu den Hitze-assoziierten Gesundheitsstörungen und -erkrankungen zählen Kollapszustände durch Dehydratation und Blutdruckabfall, hypovolämische Organstörungen (Nieren, Haut, Schleimhäute, Bronchien u.a.), neurokognitive Störungen und die Hitzekrankheit mit erhöhten Kerntemperaturen des Körpers (Übersicht bei [1]). Eine Zusammenfassung von 32 Publikationen aus Notfalleinrichtungen rund um den Globus ergab, dass während Hitzeperioden v.a. akute Lungenerkrankungen (Exazerbationen von Asthma und COPD), kardiovaskuläre Störungen (Kreislaufkollaps, Arrhythmien), Entgleisungen des Diabetes und Harnweginfekte signifikant zunehmen [2]. Es ist auch eine erhöhte kardiopulmonale Sterblichkeit festzustellen, wobei unklar ist, in welchem Ausmaß ein „Harvesting“-Effekt vorliegt [3]. Hierunter wird eine kurze Phase der Übersterblichkeit verstanden, gefolgt von einer Phase der verminderten Sterblichkeit. Ein erwartbarer Tod kann durch die Hitze einige Tage früher eintreten – die Mortalität ist mittelfristig aber nicht erhöht.
Risikogruppen: Besonders vulnerabel für Hitzeschäden sind auf Grund ihres Stoffwechsels und der Körperzusammensetzung kleine Kinder und ältere Menschen, besonders wenn diese alleine oder in Pflegeeinrichtungen leben. Auch Patienten mit Erkrankungen, die die Thermo- und Flüssigkeitsregulation einschränken, sind gefährdet. Bei der Herzinsuffizienz beispielsweise vermindert sich durch die Zentralisation des Kreislaufs die Hautdurchblutung, was die Möglichkeiten der Wärmeabgabe einschränkt. Bei Diabetes mellitus kann die Hautdurchblutung durch Schäden an den cholinergen Nerven eingeschränkt sein [3]. Die Folge kann in beiden Situationen eine Hyperthermie sein.
Weitere Patienten, die für Hitzeschäden anfällig sind, sind Menschen mit eingeschränkter Mobilität, starkem Übergewicht, neuromuskulären (z.B. Morbus Parkinson), psychiatrischen (z.B. schwere Depressionen, Sucht) und Demenzerkrankungen. Sie können ihr Verhalten (Kleidung, Trinkmenge) oder ihre Umgebung oft nicht an die hohen Außentemperaturen anpassen. Für die Behandelnden ist es wichtig, dieses Risiko zu kennen und die Betroffenen und deren Angehörige auf die allgemeinen Maßnahmen bei Hitzewellen explizit hinzuweisen [4].
Medikamente: Sie sind in zweierlei Hinsicht eine besondere Gefahr während Hitzeperioden [3], [5]. Einige erhöhen per se das Risiko für Hitzeschäden im Körper und werden deshalb auch als „heat-sensitizing medications“ bezeichnet. Wir haben 2019 hierüber berichtet (vgl. [6]).
Die wichtigsten Mechanismen sind:
1. Vermindertes Schwitzen, z.B. anticholinerge Anti-Parkinson-Mittel und Urologika, Antipsychotika, trizyklische Antidepressiva, Carbamazepin und Topiramat;
2. Beeinträchtigung der Hautdurchblutung, z.B. Betablocker, ASS und NSAID, Histamin-H1-Antagonisten der ersten Generation, zentral wirkende Sympathomimetika;
3. Dehydrierung, z.B. durch Diuretika, SGLT2-Hemmer, Laxanzien, Metformin, Lithium;
4. Beeinträchtigung der zentralen Temperaturregulation, z.B. durch Antipsychotika, selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI), zentral wirkende Sympathomimetika, trizyklische Antidepressiva, Insulin, Krebstherapeutika;
5. Beeinträchtigung des Durstgefühls durch Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems (RAAS-Hemmer).
Eine extreme Form des „heat sensitizings“ sind die Hyperthermie-Syndrome. Dazu zählen die maligne Hyperthermie (MH), das maligne Neuroleptikasyndrom (MNS) und das Serotonin-Syndrom (SS; vgl. [7]). Wirkstoffe, die diese potenziell tödlichen Störungen der Temperaturregulation auslösen können sind Amphetamine, Kokain, Antipsychotika, Metoclopramid, SSRI und trizyklische Antidepressiva [8]. Bei einer der bislang schwersten Hitzewellen in Europa im Jahr 2003 wurden in einem Krankenhaus in Modena innerhalb weniger Wochen 10 Patienten mit einem Hyperthermiesyndrom eingeliefert. Acht dieser Personen starben, 8 nahmen Psychopharmaka ein [9].
Leider finden sich in den Fachinformationen der meisten „heat-sensitizer“ derzeit kaum entsprechende Warnhinweise.
Der zweite wichtige Aspekt bei der Pharmakotherapie während Hitzeperioden ist, dass sich bei hohen Außentemperaturen der Metabolismus und die Clearance von Arzneimitteln verändert. Dies kann sowohl die Wirkung verstärken als auch abschwächen. Eine Überhitzung führt beispielsweise zu einer Vervielfachung des Blutflusses in der Haut. Dadurch kann sich die Verfügbarkeit von trans- oder subkutan verabreichten Arzneistoffen erhöhen. Dies betrifft beispielsweise Opiatpflaster oder subkutan injiziertes Altinsulin [3]. Es kann also in Hitzeperioden zu einer stärkeren Sedierung oder Atemdepression bei diesen Patienten kommen oder zu unerwarteten Hypoglykämien. Auch sinken bei hohen Außentemperaturen die Nieren- und Leberperfusion, und die Bioverfügbarkeit oral eingenommener Medikamente mit einem hepatischen „First-Pass“-Metabolismus kann sich relevant erhöhen. So wurden bei gesunden Probanden 2 Stunden nach einem Saunagang > 60% höhere Plasma-Konzentrationen von Propranolol gemessen [10]. Weitere Medikamente mit hohem „First-pass“-Metabolismus sind Nitrate, Morphin, Imipramin und Midazolam.
Durch Diuretika steigt in Hitzeperioden die Gefahr von Dehydratation, Niereninsuffizienz und Elektrolytentgleisungen stark an. Die Behandlung mit Diuretika zählt zu den wichtigen Risikofaktoren für Hyperthermie-assoziierte Todesfälle [3]. Insbesondere bei einer Kombination von mehreren diuretisch wirksamen Medikamenten, wie z.B. mit SGLT2-Inhibitoren oder mit Laxanzien, ist mit stärkerer Dehydratation zu rechnen. Patienten, die den Volumenverlust überwiegend mit elektrolytarmem Leitungswasser auffüllen oder auch Arzneimittel einnehmen, die den Vasopressineffekt im Sinne eines SIADH verstärken, z.B. bestimmte Antidepressiva, Antipsychotika, Antikonvulsiva und Onkologika, sind zudem für Hyponatriämien gefährdet (hypotone Dehydratation).
Grundsätzlich ist bei großer Hitze aber bei allen Medikamenten mit geringer therapeutischer Breite vermehrt mit pharmakokinetisch bedingten unerwünschten Effekten zu rechnen. Dazu zählen Krebstherapeutika, orale Antikoagulanzien, Opiate, Antikonvulsiva, einige orale Antidiabetika (Metformin, Gliptine), SGLT2-Hemmer, Digitalispräparate, Lithium und einige Antipsychotika. Patienten mit einer Multimedikation und vielen potenziellen Interaktionen sind als besonders gefährdet anzusehen.
Einschränkend sei betont, dass dies in erster Linie theoretische Überlegungen sind. Es gibt wenig Forschung zu diesem Thema und ein Zusammenhang zwischen einem Symptom (z.B. Blutung) und einem pharmakologisch bedingten Problem wird prinzipiell selten hergestellt und ist auch oft schwer zu beweisen.
Unzureichende Berücksichtigung in den Leitlinien: In den meisten Leitlinien wird eine an Hitzeperioden angepasste Pharmakotherapie nicht thematisiert oder nur gestreift. In der S1-Leitlinie „Hitzebedingte Gesundheitsstörungen in der hausärztlichen Praxis“ der deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) aus dem Jahr 2020 wird nur sehr allgemein auf das Problem hingewiesen und ein Medikamentenmonitoring empfohlen [1]. Der neu gewählte Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin hat bei der diesjährigen Jahrestagung in Mannheim eine größere Aufmerksamkeit der Spezialisten gegenüber der Problematik gefordert und explizit auch Psychiater und Kardiologen angesprochen. Letztere verordnen oft Diuretika, ACE- und SGLT2-Hemmer, und ihre Patienten zählen zu den Risikogruppen für Hitzeschäden [11].
Eine Überprüfung der aktuellen Leitlinien der europäischen kardiologischen Gesellschaft zur Herzinsuffizienz zeigt, dass dort das Thema Hitze nicht explizit thematisiert wird [12]. Es wird nur allgemein der Rat gegeben, die Trinkmenge bei großer Hitze und Luftfeuchtigkeit sowie bei Erbrechen anzupassen. Immerhin, in einem Supplement mit praktischen Hinweisen zum Gebrauch von Herzinsuffizienzmedikamenten wird empfohlen, die Diuretikadosen bei Flüssigkeitsverlusten, z.B. bei exzessivem Schwitzen, zu reduzieren. Zu den SGLT2-Hemmern gibt es die Warnung, dass diese die Diurese verstärken, insbesondere in Kombination mit Sacubitril/Valsartan und Diuretika. Der Flüssigkeitshaushalt sollte überwacht und die Diuretikadosen „ausbalanciert“ werden.
Praktische Hinweise: Solange noch keine elaborierten und in Studien überprüften Handlungsanweisungen vorliegen, können nur allgemeine Ratschläge zur Pharmakotherapie bei großer Hitze gegeben werden:
1. Alle Patienten: Information über allgemeine Schutzmassnahmen bei Hitze [1], [4];
2. Identifikation von vulnerablen Patienten, z.B. ältere Menschen, Patienten mit Herz- und Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus, Parkinson-Erkrankung u.a., sowie Überprüfung ihrer speziellen Situation und Medikation [3];
3. Monitoring von Gewicht, Temperatur, Trinkmenge und ggf. auch Laborwerten (Elektrolyte, Nierenfunktion, Blutzucker, CK, Laktat, ggf. Medikamentenspiegel);
4. Präventive Dosisanpassungen oder Pausieren von
„heat-sensitizern“ (Diuretika, RAAS-Hemmern, Anti-cholinergika u.a.);
5. Vermehrte Vigilanz hinsichtlich von Nebenwirkungen (vermehrtes/vermindertes Schwitzen, Hypotension, Atemnot, neurokognitive Störungen, kutane Einblutungen usw.).
Hilfreiche Tipps gibt auch die „Heidelberger Hitzetabelle“. Sie kann frei im Netz abgerufen werden [13].