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Neue onkologische Arzneimittel: Pazopanib zur Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms

Unser Hauptartikel „Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms 2009” beschäftigte sich ausführlich mit Angriffspunkten, Wirksamkeit und Risiken von vier neuen Wirkstoffen, die seit 2006 zur Behandlung des fortgeschrittenen bzw. metastasierten Nierenzellkarzinoms zugelassen wurden (1). Nach den so genannten (Multi-)Kinase-Inhibitoren (Sunitinib = Sutent®, Sorafenib = Nexavar®), dem mTOR-Inhibitor Temsirolimus (Torisel®) und dem monoklonalen Antikörper Bevacizumab (Avastin®), der als Angiogenese-Hemmer in Kombination mit Interferon-alfa eingesetzt wird, sind 2009 ein weiterer mTOR-Inhibitor (Everolimus = Afinitor®) und im Juni 2010 ein weiterer (Multi-)Kinase-Inhibitor (Pazopanib = Votrient®) von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency = EMA) zugelassen worden. Unsere Bewertung von Pazopanib basiert im Wesentlichen auf dem europäischen öffentlichen Bewertungsbericht (European Public Assessment Report = EPAR) und zwei als Vollpublikationen vorliegenden klinischen Studien der Phase-II bzw. Phase-III (2, 3, 5).

Pazopanib ist ein oral verfügbarer Inhibitor verschiedener Rezeptor-Tyrosinkinasen, die bei der Angiogenese, dem Tumorwachstum und der Metastasierung beteiligt sind, wie u.a. den „Vascular Endothelial Growth Factor”-Rezeptoren 1, 2, und 3 (2, 3, 6). Zugelassene Anwendungsgebiete von Pazopanib sind (6): Erstlinien-Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom (NZK) und Behandlung von Patienten, die vorher eine Therapie ihrer fortgeschrittenen Erkrankung mit Zytokinen erhalten hatten. Mit der Zulassung hat die EMA die Bedingung verknüpft, weitere Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit von Pazopanib vor allem im Vergleich mit anderen Arzneimitteln, die in diesen Indikationen eingesetzt werden, vorzulegen („conditional marketing authorisation”). Dazu gehören die Ergebnisse einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT), in der Pazopanib mit Sunitinib verglichen wird (2).

Grundlage für die Zulassung waren die Ergebnisse einer doppeltblinden, randomisierten (2:1), multizentrischen Phase-III-Studie, in die 435 Patienten mit fortgeschrittenem und/oder metastasiertem NZK eingeschlossen wurden und die entweder Pazopanib (800 mg/d, n = 290) oder Plazebo (n = 145) erhielten (2, 3). Die Studie wurde vom pharmazeutischen Hersteller von Pazopanib, GlaxoSmithKline (gsk) gesponsert. Darüber hinaus waren Angestellte von gsk sowohl bei der Konzeption, Datenerhebung und Auswertung der klinischen Studie als auch bei der Erstellung des Manuskripts beteiligt (3).

Die eingeschlossenen Patienten waren entweder nicht (n = 233) oder mit Zytokinen vorbehandelt worden (n = 202). Es waren überwiegend Männer (71%), und das durchschnittliche Alter lag bei 59 Jahren. Die histologische Untersuchung ergab klarzellige (91%) oder überwiegend klarzellige Tumore. Primärer Endpunkt der Studie war das progressionsfreie Überleben (PFS), zu den sekundären Endpunkten gehörten das Gesamtüberleben (OS), die Sicherheit und die Lebensqualität.

Im Vergleich zu Plazebo war das mediane PFS unter Pazopanib signifikant länger (9,2 Monate; 95%-Konfidenzintervall = CI: 7,4-12,9 vs. 4,2 Monate; CI: 2,8-4,2; Hazard ratio: 0,46; CI: 0,34-0,62; p < 0,0001). Eine geplante Zwischenanalyse zum Gesamtüberleben zeigte ein OS von 21,2 Monaten (CI: 19,3 Monate bis nicht kalkulierbar) im Pazopanib-Arm und von 18,7 Monaten (CI: 14,6-20,1 Monate) im Plazebo-Arm. Das vorab festgelegte Signifikanzniveau für den Nachweis der Überlegenheit oder fehlenden Wirksamkeit wurde nicht erreicht. Hinsichtlich der Lebensqualität zeigte sich kein statistisch oder klinisch signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen der mit Pazopanib bzw. Plazebo behandelten Patienten.

Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) von Pazopanib ergeben sich z.T. aus den Eigenschaften des Wirkstoffs als Angiogenese-Hemmer: u.a. Hypertonus, arterielle Thrombose, Myokardinfarkt und Blutungen (4). Zu den häufigsten UAW, die bei mindestens einem von zehn Patienten beobachtet wurden, gehörten verminderter Appetit, Störungen des Geschmacksempfindens, Diarrhö, Nausea, Erbrechen, Hypertonie, Verfärbung der Haare und Anstieg der Transaminasen (5). Die wichtigsten schwerwiegenden UAW, die bei < 1% der Patienten auftraten, waren u.a. ischämische Schlaganfälle, myokardiale Ischämien, gastrointestinale Perforationen und Fisteln, QT-Verlängerungen sowie pulmonale, gastrointestinale und zerebrale Blutungen (6).

Kontraindiziert ist Pazopanib bei Patienten mit schweren Leberfunktionsstörungen. Da die Metabolisierung von Pazopanib in der Leber hauptsächlich über CYP3A4 erfolgt, sind Wechselwirkungen mit Substraten dieser Enzyme möglich. Weitere Kontraindikationen, UAW und Wechselwirkungen werden in der Fachinformation aufgeführt (6).

Die Arzneimittelkosten für Pazopanib (empfohlene Dosis: 800 mg einmal täglich) betragen ca. 49.117 € pro Jahr (7). In der Zulassungsstudie wurden die Patienten im Median allerdings nur 7,4 Monate mit Pazopanib behandelt (3).

Fazit: Mit Pazopanib (Votrient®) wurde 2010 der sechste neue Wirkstoff zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem bzw. metastasiertem Nierenzellkarzinom zugelassen. Die Zulassungsstudie ergab ein im Vergleich mit Plazebo um fünf Monate verlängertes progressionsfreies Überleben. Der Einfluss von Pazopanib auf das Gesamtüberleben war zum Zeitpunkt der Auswertung noch nicht zu beurteilen, und eine Verbesserung der Lebensqualität durch Pazopanib gegenüber Plazebo zeigte sich nicht. Direkte Vergleiche von Wirksamkeit und Sicherheit („head-to-head” Studien) liegen derzeit weder für Pazopanib noch für die anderen neuen Wirkstoffe zur Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms vor. Für das Jahr 2011 wurden von GlaxoSmithKline erste Ergebnisse einer direkten Vergleichsstudie (COMPARZ) von Pazopanib mit Sunitinib angekündigt. Von den Autoren des Arzneiverordnungs-Reports wird Pazopanib als Analogpräparat eingestuft (8). Für den ARZNEIMITTELBRIEF ebenso wie für Prescrire International und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ist der therapeutische (Zusatz-)Nutzen von Pazopanib im Vergleich zu den anderen neuen Wirkstoffen nicht belegt. Die zahlreichen Fragen zur rationalen Verordnung der neuen Arzneimittel für die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom (1) sind auch fünf Jahre nach Zulassung des ersten neuen Wirkstoffs noch unbeantwortet.

Literatur

  1. AMB 2009, 43,17. Link zur Quelle
  2. EuropeanMedicines Agency 2010: Link zur Quelle
  3. Sternberg,C., et al.: J. Clin. Oncol. 2010, 28, 1061. Link zur Quelle
  4. Anonym:Prescrire Int. 2011, 20, 64.
  5. Hutson, T.E,et al.: J. Clin. Oncol. 2010, 28, 475. Link zur Quelle
  6. GlaxoSmithKline:Fachinformation Votrient® 400 mg Filmtabletten, Stand Februar 2011.
  7. AkdÄ: NeueArzneimittel Votrient® (Pazopanib), Stand 3.12.2010. Link zur Quelle
  8. Schwabe, U.,persönliche Mitteilung.