Ärzte sollten die ihnen umsonst zugeschickten medizinischen Zeitschriften auf Kosten des Zeitungsverlegers ungelesen zurücksenden. Diesen bereits vor mehr als 20 Jahren von pharmakritischen Autoren aus den USA gegebenen Rat (1), der vermutlich viel zu selten umgesetzt wurde, ist aufgrund der deutlichen Zunahme an kostenlos verbreiteten medizinischen Zeitschriften auch im Jahr 2011 noch aktuell (2). Eine kürzlich vorwiegend von deutschen Allgemeinmedizinern publizierte Untersuchung zum Zusammenhang zwischen der Finanzierung medizinischer Fachzeitschriften und den in diesen Zeitschriften ausgesprochenen Empfehlungen zur Verordnung von Arzneimitteln verdeutlicht die versteckte Werbung in den überwiegend durch Werbeanzeigen finanzierten Zeitschriften (3, 4). Bereits 2006 hatte einer der Autoren dieser Untersuchung, Joel Lexchin, auf den „kommerziellen Bias” medizinischer Zeitschriften hingewiesen und Maßnahmen vorgeschlagen, um einem Verlust der Glaubwürdigkeit medizinischer Fachzeitschriften in Folge finanzieller Abhängigkeit von pharmazeutischen Unternehmen (PU) bzw. Herstellern von Medizinprodukten vorzubeugen (5). Auch führende Fachzeitschriften wie BMJ, JAMA, Lancet und N. Engl. J. Med. sind, wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß, von Geldern der Industrie (z.B. für Werbeanzeigen und Sonderdrucke) abhängig und profitieren auch durch eine Steigerung ihres Impact-Faktors von der Publikation großer, von der Industrie gesponserter randomisierter kontrollierter Studien (6). Medizinische Fachzeitschriften wurden deshalb vom langjährigen Herausgeber des BMJ in etwas überspitzter Formulierung als verlängerter Marketingarm der PU bezeichnet (7). Diese Abhängigkeit ist bei kostenlos verbreiteten und vorwiegend über Werbung finanzierten medizinischen Zeitschriften naturgemäß noch sehr viel größer. Dass diese Abhängigkeit auch die Bewertung von stark beworbenen, hinsichtlich ihres Nutzens kontrovers beurteilten Arzneimitteln zur Behandlung häufiger Erkrankungen beeinflusst, zeigt die Untersuchung von A. Becker at al. eindrucksvoll (3).
Die Autoren analysierten Arzneimittelbewertungen in insgesamt elf zur Fortbildung in Deutschland häufig gelesenen medizinischen Zeitschriften und berücksichtigten alle im Jahr 2007 publizierten Ausgaben dieser Zeitschriften. Anhand der Finanzierung unterschieden sie drei Gruppen: (a) kostenlos den Ärzten zugeschickte medizinische Periodika, die ausschließlich durch Werbeanzeigen von PU finanziert werden (Ärztezeitung, Der Allgemeinarzt, Der Hausarzt, Medical Tribune, Münchener Medizinische Wochenschrift); (b) das Deutsche Ärzteblatt mit gemischter Finanzierung über Werbeanzeigen und Abonnements im Rahmen der Pflichtmitgliedschaft von Ärzten in den Landesärztekammern; (c) unabhängige Fachzeitschriften bzw. Arzneimittelinformationsblätter (Zeitschrift für Allgemeinmedizin; Arzneiverordnung in der Praxis, arznei-telegramm, DER ARZNEIMITTELBRIEF), die sich ausschließlich über Abonnements finanzieren und keine Werbeanzeigen enthalten. Bewertet wurden neun „innovative” Arzneimittel bzw. -klassen (s. Legende zu Tab. 1), die noch patentgeschützt waren und für die preisgünstige medikamentöse Alternativen existierten. Insgesamt wurden 465 Ausgaben der o.g. Zeitschriften ausgewertet und 297 Artikel mit Arzneimittelbewertungen sowie 638 Anzeigen zu den bewerteten Arzneimitteln gefunden. Die Arzneimittelbewertung erfolgte anhand einer Skala mit 5 Punkten (-2 bis +2), wobei -2 eine sehr negative, 0 eine neutrale und +2 eine sehr positive Bewertung bedeutete. Die Ergebnisse zur Bewertung der Arzneimittel in den drei Kategorien der medizinischen Fachzeitschriften überrascht nicht, ist aber verblüffend eindeutig. Während die Bewertungen in kostenlos zugeschickten Zeitschriften fast ausschließlich positiv ausfielen, waren die Bewertungen in den unabhängigen Fachzeitschriften bzw. Arzneimittelbulletins überwiegend negativ (s. Tab. 1). Zur Erinnerung: deutlich weniger als 30% der in den letzten Jahren zugelassenen neuen Wirkstoffe gelten als „echte” Innovationen mit in klinischen Studien überzeugend nachgewiesenem Nutzen (8, 9). In zwei über Werbung finanzierten Zeitschriften (Der Allgemeinarzt, Münchener Medizinische Wochenschrift) verdoppelte eine Anzeige zu einem speziellen Wirkstoff die Wahrscheinlichkeit für eine positive Bewertung dieses Wirkstoffs in einem Artikel in derselben Ausgabe der Zeitschrift.
In einem lesenswerten, kürzlich im N. Engl. J. Med. erschienenen Perspektivartikel wurde von J. Avorn die Frage gestellt: „Teaching Clinicians about Drugs – 50 Years Later, Whose Job Is It?” (10). Die Lektüre kostenlos zugeschickter, über Werbung finanzierter medizinischer Zeitschriften ist für die Fortbildung der Ärzte definitiv nicht geeignet und eine Zertifizierung von Artikeln in diesen Zeitschriften zum Erwerb von CME-Punkten sollte unterbleiben. Der leider weiterhin von PU dominierten Fortbildung über neue Wirkstoffe muss mit besserer Verbreitung unabhängiger Informationen (z.B. ISDB-Arzneimittelbulletins, Rubrik „Neue Arzneimittel” der AkdÄ, Arzneiverordnungs-Report) begegnet werden.
Anstelle eines Fazits zitieren wir erneut D. Rennie und L. Bero, die bereits im Jahr 1990 kostenlos verbreitete Zeitschriften (sog. „controlled circulation journals”) wie folgt charakterisierten: „Sie publizieren mehr Werbeanzeigen als redaktionell geprüfte Inhalte, sie befinden sich nicht im Besitz medizinischer Fachgesellschaften, sie veröffentlichen keine Originalarbeiten, die von ihnen publizierten Artikel werden nicht zitiert, eine fachliche Begutachtung („peer review”) der Artikel findet nicht statt, kritische Leitartikel und Leserbriefe werden nicht veröffentlicht” (1).
Literatur
- Rennie, D., und Bero, L.A.: AJRAm. J. Roentgenol. 1990, 155, 889. Link zur Quelle
- AMB 2009, 43,15b. Link zur Quelle
- Becker, A., et al.: CMAJ 2011, 183,544. Link zur Quelle
- Kesselheim, A.S.: CMAJ 2011, 183,534 21398227.
- Lexchin, J., und Light, D.W.: BMJ2006, 332,1444. Link zur Quelle
- Lundh, A., et al.: PloSMed. 2010, 7, e1000354. Link zur Quelle
- Smith, R.: PloSMedicine 2005, 2, e138. Link zur Quelle
- AMB: 2011, 45,01. Link zur Quelle
- Anonym: Prescrire 2011, 20,105.
- Avorn, J.: N. Engl. J.Med. 2011, 364, 1185. Link zur Quelle