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Mobile Zukunft der Medizin? Ja, aber …

Mobile elektronische Geräte und deren Software-Applikationen (Apps) sind in den vergangenen Jahren explosionsartig in nahezu alle Lebensbereiche eingedrungen. Apps können für die gängigen mobilen Betriebssysteme iOS, Android, Blackberry OS oder Windows Phone mittels eines unkomplizierten Downloads über die entsprechenden Online-Plattformen (App Store, Google Play Store, Blackberry App World, Windows Phone Store) erworben werden – meist für geringe Beträge. Allein für die Kategorien Medizin, Gesundheit und Lifestyle sollen zehntausende Apps existieren und pro Monat geschätzt 1000 hinzukommen. Die Anwendungen reichen von Fitness- und Gesundheitsratgebern über einfache Protokolle selbstgemessener Werte bis hin zu komplexen Analysen, die den Patienten Arztbesuche ersparen und den Ärzten Entscheidungshilfen bieten sollen. Die in heute gängigen Mobilgeräten bereits integrierte Technik (Mikrophon, Lautsprecher, Kamera, Neigungsmesser, Akzelerometer, Magnetometer, Global Positioning System etc.) eröffnet eine Unzahl von Möglichkeiten. Dazu kommt eine faktisch grenzenlose Erweiterung des Leistungsspektrums durch medizinische Apparate, die mit dem Mobilgerät über Kabel oder kabellos verbunden werden können.

Die großen Potenziale dieser Technologie sind offensichtlich. Konsumenten und Patienten könnten mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortung in der Prävention und Therapie von Erkrankungen erlangen. Für Ärzte eröffnet sich die Möglichkeit, immer und überall Zugriff auf Publikationen, Leitlinien, Entscheidungsalgorithmen, Patientendaten, diagnostisches Bildmaterial u.v.m. zu haben. Ebenso unterschiedlich wie die Anwendungsmöglichkeiten ist allerdings die Vertrauenswürdigkeit dieser Produkte. Es gibt offene Fragen hinsichtlich der Datensicherheit, insbesondere wenn individuelle Messdaten eingegeben und gespeichert werden. Bei Apps, die nicht aus dem EU-Raum kommen, ist dies jedoch de facto nicht überprüfbar, da dann andere gesetzliche Bestimmungen zutreffen. Zudem muss sich der Anwender – ob Patient oder Arzt – über den möglicherweise unsicheren Nutzen einer App klar werden. Erste systematische Untersuchungen haben bereits die Grenzen und Gefahren aufgezeigt (1).

Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat auf diese Entwicklung reagiert, indem sie medizinischen mobilen Apps in Analogie zu Medizinprodukten Zulassungen erteilt (2). Dabei werden drei Risikoklassen unterschieden (3):

1. Mobilanwendungen, die ein potenzielles Risiko für Patienten darstellen und daher vor ihrer Markteinführung der FDA zur Prüfung und Registrierung vorgelegt werden sollen:

  • Das Mobilgerät selbst wird zu einem Medizinprodukt: Registrierung diagnostischer Parameter über Sensoren und Ableitungen, z.B. Herzgeräusche, EKG, EEG, Sauerstoffsättigung, Augenbewegungen, Tremor, Schlafphasen, Malignitätsbeurteilung von Hautpigment-Veränderungen, Hör- und Sehtests u.a.,
  • Steuerung existierender Medizinprodukte über Mobilgeräte: z.B. Blutdruckmanschetten, Insulinpumpen, intensivmedizinische Monitore, elektronische Implantate wie Neurostimulatoren oder Cochleaimplantate u.a.,
  • Diagnostische Beurteilung bildgebender Verfahren auf Mobilgeräten.

2. Mobilanwendungen, die definitionsgemäß als Medizinprodukt einzustufen sind, von deren Regulierung aber aufgrund des verhältnismäßig geringen potenziellen Risikos abgesehen werden kann („Enforcement discretion“):

  • Apps, die z.B. Patienten an die Einnahme ihrer Medikamente erinnern, bei bestimmten Kriterien zum Aufsuchen eines Arztes raten, individuelle Erkrankungsrisiken anhand individueller Risikofaktorern errechnen, Notfallalarme an vordefinierte Empfänger absetzen, den Alkoholisierungsgrad errechnen u.a.

3. Mobilanwendungen, die ausdrücklich nicht von einer Regulierung betroffen sind:

  • Apps, die Patienten z.B. helfen sollen, bestimmte Diäten einzuhalten, Messwerte wie Blutdruck, Body-Mass-Index oder Blutzucker zu protokollieren, gesundheits- und krankheitsrelevante Informationen zu erhalten u.a.,
  • Apps, die dem Gesundheitspersonal z.B. Zugang zu Leitlinien und aktuellen Therapieschemata bieten.

Die FDA stellt klar, dass weder die Hersteller der Mobilgeräte selbst, noch die App-Stores von den geplanten Regulationen betroffen sind, sondern lediglich die Programmierer der Software-Komponenten. Derzeit haben die Maßnahmen lediglich Empfehlungscharakter. Dementsprechend wurde bisher auch nur ein verschwindend kleiner Teil der auf dem Markt befindlichen medizinischen Apps einer FDA-Zertifizierung unterworfen, wenn auch mit steigender Tendenz: 100 wurden in den vergangenen zehn Jahren freigegeben, 40 davon in den vergangenen zwei Jahren (2). Derzeit bleibt also der Anwender bei der Beurteilung der Qualität einer App in der Regel auf weniger verlässliche Quellen angewiesen, wie etwa die Beurteilung durch andere Käufer. In der Europäischen Union ist vorerst keine analoge regulatorische Maßnahme vorgesehen, z.B. CE-Zertifizierung medizinischer Apps. Auf privater Basis gibt es allerdings begrüßenswerte Initiativen wie HealthOn (4), die Konsumenten und Patienten dabei unterstützen, die Vertrauenswürdigkeit von medizinischen Mobilanwendungen selbst einzuschätzen. Auch der ARZNEIMITTELBRIEF wird in Kürze über eine App zu lesen sein.

Fazit: Mobile elektronische Geräte und deren Software-Applikationen bekommen auch im medizinischen Bereich einen immer höheren Stellenwert. Zielgruppen sind sowohl Konsumenten und Patienten als auch Ärzte und anderes Gesundheitspersonal. Die potenziellen Einsatzgebiete werden immer komplexer, damit aber auch das Risiko im Falle einer Fehlfunktion. Sobald wichtige diagnostische und/oder therapeutische Entscheidungen von diesen Programmen abhängig gemacht werden, ist jedenfalls große Vorsicht geboten. Die FDA hat bereits begonnen, bestimmte Kategorien von Apps analog zu konventionellen Medizinprodukten zu testen und zu zertifizieren.

Literatur

  1. Wolf, J.A., et al.: JAMADermatol. 2013, 149, 422. Link zur Quelle
  2. http://www.fda.gov/NewsEvents/…Link zur Quelle
  3. http://www.fda.gov/… Link zur Quelle
  4. http://www.healthon.de/Link zur Quelle