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Nach Reanimation: Senken der Körpertemperatur bei bewusstlosen Patienten mit wiederhergestelltem Kreislauf. Kein zusätzlicher Nutzen bei prähospitalem Beginn

Im Jahr 2010 wurde die therapeutische Hypothermie (TH) nach primär überlebter kardiopulmonaler Reanimation als Bestandteil der komplexen Behandlung bei Herz-Kreislauf-Stillstand aufgenommen. In den aktuellen Leitlinien wird eine Kontrolle der Körpertemperatur (Targeted Temperature Management = TTM) mit Zieltemperaturen zwischen 32°C und 36°C für mindestens 24 h empfohlen (1). Wesentlich für die Einführung der TH als Standard war eine öffentlich geförderte, industriegesponserte, randomisierte, kontrollierte Multicenter-Studie (2). Diese schloss von 3.551 beurteilten Patienten 275 Erwachsene ein, bei denen ein kardial bedingter Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb des Krankenhauses aufgetreten war, die initial eine defibrillierbare Rhythmusstörung hatten und die bei Aufnahme in die Klinik auf Ansprache nicht reagierten. Bei standardisierter Intensivtherapie wurde eine milde TH (32-34°C) mit „erhaltener Normothermie” verglichen. In der Interventionsgruppe wurde bei 19 von 137 Patienten die Zieltemperatur nicht erreicht. Bei 93 Patienten waren zur Oberflächenkühlung zusätzlich Eispackungen erforderlich. Bei den Patienten, die die Zieltemperatur erreichten, geschah dies im Median acht Stunden nach Wiederherstellung des Kreislaufs (Return Of Spontaneous Circulation = ROSC), und die Temperatur wurde im Median für 24 h aufrechterhalten. In der Kontroll-Gruppe sollte mit einer nicht näher beschriebenen Methode Normothermie erhalten werden; im Median betrug sie 37,6°C. Den standardisierten Endpunkt „Überleben mit gutem neurologischen Ergebnis nach sechs Monaten” erreichten in der Hypothermie-Gruppe 75 von 136, in der Kontroll-Gruppe 54 von 137 Patienten (p = 0,009; NNT = 7).

Unklarheit besteht jedoch weiter über den idealen Beginn, die optimale Zieltemperatur und Dauer des TTM (3, 4). Bislang wurde empfohlen, die TH möglichst früh zu beginnen und Schwankungen der Körpertemperatur zu vermeiden. Jedoch konnte ein zusätzlicher Nutzen durch einen frühen Beginn der TH, d.h. schon während der prähospitalen Behandlung durch den Rettungsdienst (pTH), weder in mehreren Studien noch in zwei Metaanalysen belegt werden (5, 6). Dennoch wird immer wieder ein Zusatznutzen der pTH als möglich diskutiert, und einige Rettungsdienste verwenden auch finanzielle und personelle Ressourcen für die pTH (7, 8). Als Argument dafür wird häufig eine verzerrende Darstellung aus der PRINCE-Studie angeführt (9). Bei dieser randomisierten kontrollierten Studie an 200 Patienten wurde der relevante Endpunkt „Überleben mit gutem neurologischen Ergebnis bei Krankenhausentlassung” von 14 der 93 Patienten (15,1%) mit pTH und von 13 der 101 Patienten mit TH nach Krankenhausaufnahme (12,9%) erreicht. Auf dieses nicht-signifikante Studienergebnis gehen die Autoren nicht weiter ein. Vielmehr wird betont, dass Patienten mit ROSC bei Krankenhausaufnahme und pTH tendenziell häufiger mit gutem neurologischen Ergebnis entlassen wurden. Erst nachdem aus dieser Subgruppe eine weitere Subgruppe gezogen wurde, war der Unterschied signifikant. Dass aber tendenziell mehr Patienten in der Interventionsgruppe bereits vor Krankenhausaufnahme starben, wird nicht diskutiert (4, 9).

Ein Grund, warum für die pTH kein Zusatznutzen nachzuweisen war, wird von Hunter et al. diskutiert (6): Ein klinisch relevanter Vorteil von pTH kann nicht erwartet werden, wenn die TH bei Weiterbehandlung im Krankenhaus nicht optimal fortgeführt wird. Die Übergabe des Patienten an der Schnittstelle zwischen Rettungsdienst und weiterbehandelnder Klinik ist im Hinblick auf die penible Fortführung einer pTH besonders kritisch. Temperaturschwankungen in dieser Übergabephase sollten vermieden werden (6, 7). Daraus ergibt sich, dass mögliche Vorteile der pTH nicht zum Tragen kommen, wenn das Temperaturmanagement vom Rettungsdienst über Herzkatheterlabor bis Intensivstation nicht lückenlos fortgesetzt wird.

Wahrscheinlich können Ressourcen, die auf die pTH verwendet werden, für andere Maßnahmen effektiver eingesetzt werden (6). Kürzlich wurde gezeigt, dass auch bei gezieltem Einsatz begrenzter Ressourcen und Verzicht auf pTH gute Ergebnisse bei der prähospitalen Reanimation erzielt werden können (10). Der gezielte Einsatz von Ressourcen bezieht sich nicht nur auf die Planung und Organisation ihrer Verwendung durch ärztliche Leiter der Rettungsdienste, sondern auch konkret auf einzelne Maßnahmen bei der prähospitalen Reanimation. Um lebensrettende Maßnahmen bei prähospitaler Reanimation zu erweitern, ohne die Basismaßnahmen (Basic life support = BLS) zu vernachlässigen, bedarf es angesichts der Einsatzbedingungen ausreichenden Personals, kontinuierlicher Aufmerksamkeit und ständiger Fortbildung. Wenn Arbeitskraft und Aufmerksamkeit auf Maßnahmen wie pTH gerichtet werden, die bislang keinen nachgewiesenen Nutzen auf klinisch relevante Endpunkte haben, kann die Qualität der Maßnahmen mit nachgewiesenem Nutzen sinken. Ein derartiger Effekt könnte dazu beigetragen haben, dass in der PRINCE-Studie (9) bei pTH tendenziell weniger Patienten mit ROSC ins Krankenhaus aufgenommen wurden. Auch eine signifikant längere prähospitale Versorgungszeit bei pTH durch kalte Infusionslösungen (11) hat Auswirkungen auf den Personalbedarf. In den bisher durchgeführten Studien zur pTH finden sich keine Angaben zur Qualität der Basismaßnahmen bei der Reanimation. Hier könnten weitere Studien unter Einsatz von Echtzeit-Feedback-Systemen (12) helfen, die Auswirkungen der Mehrarbeit vor der Aufnahme ins Krankenhaus auf die Qualität der Basismaßnahmen zu untersuchen bzw. auch unter diesem Aspekt Gruppen zwischen Patienten mit und ohne pTH zu vergleichen.

Die kürzlich erschienenen Empfehlungen des European Resuscitation Council und der European Society of Intensive Care Medicine zum Management nach Reanimation sprechen sich gegen die Infusion größerer Mengen kalter Flüssigkeit im prähospitalen Bereich aus (1). Ebenso wird festgestellt, dass andere prähospitale Kühlmechanismen nicht ausreichend untersucht sind und es nicht klar ist, welche Patienten von einer prähospitalen Kühlung profitieren.

Fazit: Bei Patienten, die nach Reanimation wegen eines Herz-Kreislauf-Stillstands wieder einen spontanen Kreislauf haben, aber bei Aufnahme ins Krankenhaus bewusstlos sind, wird empfohlen, die Körpertemperatur zu kontrollieren (Therapeutisches Temperaturmanagement). Es gibt jedoch keine Evidenz für einen zusätzlichen Nutzen, wenn mit der Kühlung bereits vor der Aufnahme ins Krankenhaus begonnen wird. Die vorhandenen Ressourcen sollten für Maßnahmen verwendet werden, die durch Studienergebnisse gesichert sind. Keinesfalls dürfen Basismaßnahmen der Reanimation durch den logistischen Aufwand für die prähospitale therapeutische Hypothermie vernachlässigt werden.

Literatur

  1. Nolan, J.P., et al.: Resuscitation 2015, 95, 202. Link zur Quelle
  2. HACA = HypothermiaAfter Cardiac Arrest study group: N. Engl. J. Med. 2002, 346,549. Link zur QuelleErratum: N. Engl. J. Med. 2002, 346, 1756. AMB 2002, 36, 53b. Link zur Quelle
  3. AMB 2015, 49, 09. Link zur Quelle
  4. Storm, C.: Notarzt2015, Suppl. 1, S21.
  5. Diao, M., et al.:Resuscitation 2013, 84, 1021. Link zur Quelle
  6. Hunter, B.R., et al.:Acad. Emerg. Med. 2014, 21, 355. Link zur Quelle
  7. Schick, V., et al.: Notfall +Rettungsmedizin 2012, 15, 627.
  8. Fritz, H.G.: Notarzt2015, Suppl. 1, S26.
  9. Castrén, M., et al.(PRINCE = Pre-ROSC IntraNasal Cooling Effectiveness):Circulation 2010, 122, 729. Link zur Quelle
  10. Günther, A., et al.: ZEFQ 2015. Link zur Quelle
  11. Kim, F., et al.: JAMA 2014, 311,45. Link zur Quelle
  12. Bohn, A., et al.:Resuscitation 2011, 82, 257. Link zur Quelle