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Vitamin-D-Screening bei Gesunden nicht indiziert

Das US-amerikanische Institute of Medicine (IOM, seit 2015 „National Academy of Medicine“) ist eine „Nonprofit-non-governmental“-Organisation, die die medizinische Fachwelt, die Politik und die Öffentlichkeit zu Gesundheitsthemen evidenzbasiert berät. JoAnn E. Manson und drei weitere Mitglieder eines IOM-Komitees – verantwortlich für die Erarbeitung von diätetischen Empfehlungen zu Vitamin D (VD) und Kalzium in den Jahren 2009 bis 2011 – beklagen jetzt im N. Engl. J. Med., dass ihre Empfehlungen missverstanden worden seien, auch von vielen Fachleuten, die es besser hätten wissen müssen (1). Der Irrtum bestünde darin, dass man die 25-Hydroxyvitamin D[25(OH)D]-Konzentration im Plasma von 20 ng/ml (50 nmol/l) als empfohlene untere Normgrenze betrachtet habe, während das IOM diesen Wert lediglich als „appropriate level“ (angemessenen Wert) bezeichnet habe (vgl. 2). In Wirklichkeit genüge für 97,5% der Bevölkerung ein 25(OH)D-Wert von „20 ng/ml or less“ und für etwa 50% der Bevölkerung genüge ein 25(OH)D-Wert von „16 ng/ml or less“. In viel zitierten Populationsstudien zur VD-Versorgung werde von einer Mangel-Pandemie gesprochen. Das sei völlig übertrieben. Die Autoren geben auf der Basis von 25(OH)D-Messungen einen Wert von < 12,5 ng/ml an, bei dem man von einem VD-Mangel sprechen könne, und das träfe für ca. 6% der Bevölkerung zu. Höhere Minimalwerte von 25(OH)D, die aufgrund von gleichzeitig erhöht gefundenen Parathormon-Konzentrationen errechnet worden seien, seien fragwürdig (3).

Für die Durchschnittsbevölkerung bis zum 70. Lebensjahr wird ein „Estimated Average Requirement“ (EAR) von 400 IE VD/d angegeben; für Ältere > 70 Jahre wird ein EAR von 600 IE VD genannt. Ein anderer empfohlener Wert, die „Recommended Dietary Allowance“ (RDA) beziehe sich auf Personen, die mit der oben genannten VD-Zufuhr den angemessenen 25(OH)D-Wert von 20 ng/ml nicht erreichen. In vielen Studien, die zitiert werden, habe man die RDA (600 IE statt 400 IE VD/d für Jüngere, 800 IE statt 600 IE für Personen > 70 Jahre) mit der EAR verwechselt. Die Autoren betonen, dass die erwähnten 400 IE/d und 800 IE/d VD einem Bedarf entsprechen bei fehlender oder sehr geringer Sonnenexposition und somit ohne wesentliche VD-Synthese in der Haut. Für die individuelle Beratung von Personen/Patienten empfehlen die Autor(inn)en statt eines massenhaften Screenings der 25(OH)D-Werte und ungerechtfertigter Supplementierung mit VD-Tabletten die richtige Auswahl ihrer Nahrungsmittel. In Zukunft solle der VD-Gehalt von Nahrungsmitteln auf allen Packungen angegeben werden.

Der in der Rubrik „Perspectives“ des N. Engl. J. Med. erschienene Artikel ist nicht leicht zu lesen. Wenn die von den Autor(inn)en verfassten Empfehlungen des IOM-Komitees von 2011 ähnlich kompliziert und teilweise kryptisch formuliert waren wie der jetzige Artikel, erklärt sich dadurch ein Teil der jetzt beklagten Missverständnisse. Trotzdem ist der Artikel zu begrüßen. Seine praktischen Empfehlungen lauten, dass bei offensichtlich gesunden Personen/Patienten 25(OH)D-Werte nicht gemessen werden sollen, denn ein VD-Mangel ist unwahrscheinlich. Risikofaktoren für VD-Mangel seien, wie allgemein bekannt, das Leben älterer Menschen in Heimen, Osteoporose, intestinale Malabsorption und Behandlung mit Antiepileptika etc. Hier sei, ebenso wie natürlich bei Verdacht auf Osteomalazie, die 25(OH)D-Messung indiziert, auch zur Kontrolle einer angemessenen VD-Substitution. Die Autoren gehen – ganz generell – davon aus, dass die positiven Effekte von VD auf den Knochenstoffwechsel etabliert sind, andere Indikationen für VD aber noch nicht gesichert sind.

Unsere beiden letzten Beiträge zum Thema VD-Mangel sind im Einklang mit den jetzigen Erklärungen und Empfehlungen der IOM-Autor(inn)en. In der Dezember-Ausgabe 2015 (4) haben wir über eine Studie berichtet, aus der hervorging, dass bei gesund erscheinenden postmenopausalen Frauen eine Messung von 25(OH)D nicht sinnvoll und ein 25(OH)D-Wert im Plasma von 30 ng/ml als Indikator von „VD-Suffizienz“ viel zu hoch ist. In der Juni-Ausgabe 2016 haben wir vor hoch dosierten VD-Gaben bei älteren Menschen mit Sturz-Anamnese gewarnt, da das Sturzrisiko in einer, allerdings sehr kleinen Studie hierunter eher noch zunahm, während der Effekt niedriger VD-Dosen unklar blieb (5). Mehrere größere Studien sind unterwegs, die hoffentlich mehr Klarheit bringen zur Rolle von VD bei verschiedenen Krankheiten und zu optimalen 25(OH)D-Werten (6-9).

Fazit: Mitglieder des US-amerikanischen Institute of Medicine (IOM) beklagen, dass ihre Empfehlungen von 2011 zu Vitamin-D-Bedarf und -Versorgung von vielen Fachwissenschaftlern, Ärzten und der Allgemeinheit missverstanden worden seien. Der 25-Hydroxyvitamin-D-Wert im Plasma von 20 ng/ml (50 nmol/l) sei kein „unterer Normwert“. Der läge wohl eher bei 12,5 ng/ml. Es gäbe in der westlichen Welt keine Vitamin-D-Mangel-Pandemie. Bei gesund erscheinenden Personen und solchen ohne die bekannten Risikofaktoren sollte 25-Hydroxyvitamin D nicht gemessen werden.

Literatur

  1. Manson, J.E., et al.: N.Engl. J. Med. 2016, 375, 1817. Link zur Quelle
  2. AMB 2010, 44, 64. Link zur Quelle
  3. Ross, A.C., et al.:Dietary reference intakes for calcium and vitamin D. Institute of Medicine(US), Washington DC: The National Academic Press; 2011. Link zur Quelle
  4. AMB 2015, 49, 95. Link zur Quelle
  5. AMB 2016, 50, 43. Link zur Quelle
  6. VIDAL = VItamin DAnd Longevity: Link zur Quelle
  7. FIND = FINnishvitamin D trial: Link zur Quelle
  8. Manson, J.E., et al. (VITAL = VITamin Dand omegA-3 triaL): Contemp. Clin. Trials 2012, 33, 159. Link zur Quelle
  9. Neale, R.E., et al.(D-Health trial): Contemp. Clin. Trials 2016, 48,83. Link zur Quelle