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VITAL-Studie: ein entscheidendes Urteil zur Supplementierung mit Vitamin D

Die VITAL-Studie ist eine große, noch laufende randomisierte kontrollierte Langzeitstudie, die von der Harvard Medical School initiiert und voraussichtlich bis 2024 durchgeführt wird. Insgesamt 25.871 US-amerikanische Männer (≥ 50 Jahre) und Frauen (≥ 55 Jahre) ohne kardiovaskuläre oder neoplastische Vorerkrankungen nehmen täglich 2.000 IE Vitamin D3 (Cholecalciferol, VD3) und/oder 1 g Omega-3-Fettsäuren und/oder Plazebo zur Primärprävention in einem 2 x 2-Studiendesign ein. Hauptziel der Studie ist es, eine Aussage zu machen, ob durch die Einnahme dieser beiden Supplemente Karzinomen, Herzerkrankungen und Schlaganfällen vorgebeugt werden kann. Erste Auswertungen weisen darauf hin, dass dies – zumindest innerhalb einer 5,3-jährigen Nachbeobachtungszeit – nicht der Fall ist [1]. Zudem wurde und wird geprüft, ob die Supplementierung positive Effekte auf andere häufige Erkrankungen hat wie Vorhofflimmern (nein), kognitiven Abbau (nein), Migräne (nein), Stürze (nein), altersbedingte Makuladegeneration (nein) oder Knieschmerzen (nein). Es gibt von der Studiengruppe bereits eine Vielzahl von Publikationen hierzu (Übersicht bei [2]).

Nun wurde im N. Engl. J. Med. eine Analyse zur Prävention von Knochenbrüchen durch VD3 publiziert [3]. Insgesamt erhielten 12.927 Personen VD3 und 12.944 Plazebo. Das Durchschnittsalter betrug bei Studienbeginn 67,1 ± 7,1 Jahre, 50,6% sind Frauen und 20,2% Afroamerikaner. Eine Frakturanamnese hatten 10,3%. Zum Zeitpunkt der Randomisierung nahmen 11.030 Personen (42,6%) bereits VD3-Präparate ein, 5.166 (20,0%) Kalzium-Supplemente und 1.240 (4,8%) ein spezifisches Osteoporose-Medikament. Einen sehr niedrigen 25-Hydroxyvitamin-D(25-OHD)-Spiegel (< 12 ng/ml) hatten 2,4%.

Primärer Endpunkt der Analyse waren bestätigte Knochenbrüche innerhalb einer medianen Nachbeobachtungszeit von 5,3 Jahren. Die Ereignisse wurden durch jährliche Befragungen und Auswertungen von Krankenakten erfasst.

Ergebnisse: Die Studienmedikation wurde von 85,4% der Teilnehmer nach 5 Jahren noch eingenommen. In einer Stichprobe von 2.650 Personen zeigte sich nach 2 Jahren ein Anstieg der mittleren 25-OHD-Spiegel in der VD3-Gruppe von 29,2 auf 41,2 ng/ml. Die Parathormon-Werte sanken von 40,8 auf 37,2 ng/ml, und die Kalziumspiegel blieben unverändert. In der Plazebogruppe blieben alle genannten Werte unverändert.

Insgesamt wurden 1.991 Frakturen bei 1.551 Teilnehmern erfasst. Die Inzidenzen unterschieden sich in den beiden Behandlungsarmen nicht: n = 769 in der VD3-Gruppe und n = 782 in der Placebo-Gruppe (Hazard Ratio = HR: 0,98; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,89-1,08; p = 0,70). Nach Risiko-Adjustierung für Alter, Geschlecht, ethnische Gruppe oder Einnahme von Omega-3-Fettsäuren wurden auch keine Unterschiede bei den nichtvertebralen Frakturen (n = 721 vs. 744; HR: 0,97; CI: 0,87-1,07; p = 0,50) oder Hüftfrakturen gefunden (n = 57 vs. 56; HR: 1,01; CI: 0,70-1,47; p = 0,96).

Selbst bei Personen mit niedrigen 25-OHD-Spiegeln bei Studienbeginn konnte kein positiver Effekt durch die VD3-Supplementierung erkannt werden. Dies galt auch für Personen mit einem hohen Body-Mass Index (BMI), Afroamerikaner, postmenopausale Frauen und ältere Männer.

Die Autoren schlussfolgern, dass eine Vitamin D3-Supplementierung bei gesunden, mittelalten und älteren Erwachsenen nicht zu weniger Frakturen führt als Plazebo.

Das begleitende Editorial von Steven Cummings und Clifford Rosen geht in seiner Beurteilung noch viel weiter [4]. Das vorliegende und alle anderen enttäuschenden Ergebnisse aus der VITAL-Studie rechtfertigen weder eine Routine-Messung von 25-OHD-Spiegeln in der Allgemeinbevölkerung noch eine Supplementierung von VD3 zur Primärprävention bei ansonsten gesunden Menschen. Messungen von 25-OHD seien nur bei Personen indiziert, die ein Risiko für einen schweren VD3-Mangel haben. Dazu zählen Menschen mit geringer Sonnenexposition, z.B. in Pflegeheimen, oder mit Malabsorption oder mit manifester Osteoporose (Sekundärprophylaxe). Generell sollte die Verwendung der Klassifizierung „Vitamin D-Insuffizienz“ und „Vitamin D-Mangel“, die allein auf Blutwerten von 25-OHD basiert, überdacht werden. Das Editorial hat den aus unserer Sicht provokativen, aber zutreffenden Titel „VITAL Findings – A Decisive Verdict on Vitamin D Supplementation“.

Fazit

Eine generelle Supplementierung von Vitamin D zur Primärprävention verschiedener Erkrankungen in der allgemeinen Bevölkerung führt zu keinen gesundheitlichen Vorteilen. Hinsichtlich einer Prävention von Frakturen gilt dies nach den Ergebnissen einer aktuellen Studie auch für Personen mit niedrigen 25-Hydroxyvitamin-D-Spiegeln. Weder die Routine-Messung dieser Spiegel noch eine Supplementierung von Vitamin D zur Primärprävention ist bei gesunden Menschen mit Lebensumständen, die keine Risiken für einen Vitamin D-Mangel bergen, gerechtfertigt. Wir haben uns zur Problematik der Definition unzureichender 25-Hydroxyvitamin-D-Spiegel, dem Wert der generellen Supplementierung von Vitamin D und den ungerechtfertigten Hype um Vitamin D wiederholt kritisch geäußert (vgl. [5]).

Literatur

  1. Manson, J.A., et al. (VITAL = VITamin D and omegA-3 triaL): N. Engl. J. Med. 2019, 380, 33. (Link zur Quelle)
  2. https://www.vitalstudy.org/Publications.html (Link zur Quelle)
  3. LeBoff, M.S., et al. (VITAL = VITamin D and omegA-3 triaL): N. Engl. J. Med. 2022, 387, 299. (Link zur Quelle)
  4. Cummings, S.R., und Rosen, C.: N. Engl. J. Med. 2022, 387, 368. (Link zur Quelle)
  5. AMB 2016, 50, 43. AMB 2016, 50, 93. AMB 2015, 49, 95. AMB 2013, 47, 56. AMB 2012, 46, 70. AMB 2010, 44, 64. (Link zur Quelle)