Artikel herunterladen

Der „Tele-Pharmacist“: Eine an Patienten angepasste Intervention zur Verbesserung der Adhärenz war ohne Nutzen

Eine Therapie kann nur optimal wirken, wenn sie korrekt angewendet wird. Adhärenz ist das Ausmaß, in dem die tatsächlich durchgeführte mit der zwischen Behandler und Patienten vereinbarten Therapie übereinstimmt. Laut Weltgesundheitsorganisation beträgt die Arzneimitteladhärenz bei vielen chronischen Erkrankungen nach einem Jahr gerade einmal 50% (1). In der Vergangenheit wurde eine Vielzahl von Adhärenz-steigernden Interventionen getestet. So konnte beispielsweise durch den Einsatz eines 6-monatigen „pharmacy care programs“ die Adhärenz zu Antihypertensiva und Lipidsenkern bei 200 Patienten von 61,2% auf 95,5% gesteigert werden (2). Meist waren die teils sehr aufwändigen Interventionen jedoch weit weniger erfolgreich und hatten vor allem keine Auswirkungen auf den klinischen Verlauf der Erkrankungen (3).

Forscher der Harvard Universität haben nun bei unzureichend adhärenten Patienten die Wirkung einer komplexen, von klinischen Pharmazeuten durchgeführten Intervention bei Patienten mit Hypertonie, Hyperlipidämie und/oder Diabetes untersucht (4). Die STIC2IT-Studie ist eine pragmatische, prospektive, offene randomisierte, kontrollierte Studie. Diese wurde an 14 Primärversorgungszentren (PVZ) eines bestimmten Betreibers in der Region Boston durchgeführt. An den 14 beteiligten PVZ arbeiten 170 Hausärzte. Aus den elektronischen Krankenakten der PVZ wurde automatisiert nach Patienten zwischen 18 und 85 Jahren mit Hyperlipidämie, arterieller Hypertonie und/oder Typ-2-Diabetes gesucht, die mindestens ein entsprechendes Arzneimittel erhielten und bei denen Hinweise für eine schlechte Einstellung auf die Zielwerte (z.B. HbA1c-Wert > 9% oder Blutdruck > 150/90 mm Hg) und auf eine unzureichende Arzneimitteladhärenz vorlagen. Letzteres war definiert als ein PDC-Wert < 80% („Percentage of Days Covered“: Tage eines Jahres, die durch eingelöste Rezepte abgedeckt sind). Die behandelnden Ärzte erhielten einen Hinweis auf diese Problempatienten und konnten sie zur Studienteilnahme vorschlagen. Die Patienten wurden dann per Brief durch das Studienzentrum über die Studie informiert und telefonisch zur Studienteilnahme eingeladen. Wenn sie einverstanden waren, wurden sie in einem weiteren Telefonat standardisiert zu ihrem Wissen über ihre Erkrankungen und durchgeführten Therapien befragt, um die individuellen Hindernisse für eine gute Adhärenz herauszufinden.

Randomisiert zur Intervention und Kontrolle wurden nicht die Patienten, sondern die PVZ. An 7 PVZ erfolgte eine „maßgeschneiderte“, überwiegend telefonisch von klinischen Pharmazeuten („Tele-Pharmacists“) durchgeführte einjährige Intervention. An weiteren 7 PVZ erfolgte keine strukturierte Intervention (ususal care = Kontrollen).

Die individuellen Adhärenz-Hindernisse wurden verschiedenen Kategorien zugeordnet: Vergesslichkeit, kognitive Beeinträchtigungen, unzureichende Krankheitseinsicht, Wissensdefizite, kompliziertes Therapieregime, Therapieunverträglichkeiten, unerschwingliche Behandlungskosten. Für jede Barriere wurde eine Strategie vorgegeben, z.B. Wechsel auf günstigere Medikamente, Vereinfachung der Regime, Erinnerungen (Telefonate, SMS), Unterstützung durch Familienangehörige oder Sozialarbeiter etc. Die behandelnden Hausärzte erhielten ein Feedback über diese Probleme und die ergriffenen Maßnahmen, die Patienten Kontrollanrufe und sog. „progress reports“, in denen ihre persönliche Situation zusammengefasst wurde. Primärer Studienendpunkt war der PDC-Wert nach 12 Monaten, sekundäre Endpunkte die Krankheitskontrolle sowie die Häufigkeit der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen.

Ergebnisse: Insgesamt wurden 4.078 Patienten eingeschlossen. Davon sollten 2.038 die Intervention erhalten, 2.040 dienten als Kontrolle. Das mittlere Alter betrug 59,8 (± 11,6) Jahre, 45,1% waren Frauen, 73% hatten eine Hyperlipidämie, 24% eine Hypertonie und 12% einen Diabetes. Der Ausgangswert für die Arzneimitteladhärenz (PDC) betrug 42%.

Im Interventionsarm wurden 234 Patienten nach der Randomisierung ausgeschlossen: 10 weil sie das PVZ wechselten, 127 weil sie von ihrem Hausarzt und 97 weil sie von den Pharmazeuten ausgeschlossen wurden. Insgesamt 1.804 erhielten nach 6 Monaten einen ersten „progress report“. Hiernach waren 268 für das Studienteam nicht mehr zu erreichen, 361 lehnten weitere Telefonanrufe ab und 106 verabredeten sich für ein Folgetelefonat, waren dann aber nicht mehr erreichbar. Letztlich absolvierten nur 1.069 Patienten (52,4%) alle angebotenen Beratungen über 12 Monate (Per-Protocol-Kohorte).

Der Effekt der aufwendigen Intervention – die durchschnittliche Dauer eines telefonischen Beratungsgesprächs betrug immerhin 25 Minuten – war enttäuschend. Die PDC-Rate betrug nach einem Jahr 46,2% vs. 42,1% im Kontrollarm. Der Effekt durch die Intervention betrug nach Intention to treat (ITT) gerade einmal +4,7% (95%-Konfidenzintervall = CI: 3,0-6,4) und nach Per Protocol (PP) +10,3% (CI: 8,2-12,5). Klinisch hatte dieser Unterschied kaum Auswirkungen. Eine gute Krankheitskontrolle bei mindestens einer der drei Krankheiten fand sich bei 69,2% vs. 70,8% (ITT) bzw. 75,6% vs. 71,2% (PP), und weder Arztbesuche (30,9% vs. 29,1%) noch Krankenhausbehandlungen (8,3% vs. 7,7%) wurden durch die Intervention seltener. Allein Notfallkonsultationen waren in der Interventionsgruppe etwas seltener (4,4% vs. 5,5%).

Fazit: Der „Tele-Pharmacist“, eine komplexe, einjährige, individuell auf den Patienten maßgeschneiderte Intervention durch klinische Pharmazeuten, verbesserte bei nicht ausreichend adhärenten Patienten minimal die Therapietreue. Viele Patienten schlugen das Angebot nach einiger Zeit aus, und es führte zu keinen nennenswerten klinischen Effekten. Andere, weniger paternalistische, vielleicht eher spielerische (Apps) oder Peer-Group-Strategien – wie der Barbershop-Ansatz (vgl. 5) – werden möglicherweise eher akzeptiert und könnten dadurch die Adhärenz verbessern.

Literatur

  1. Eduardo Sabaté: Adherence to long-term therapies: evidence for action. WHO Report 2003. Link zur Quelle
  2. Lee, J.K., et al. (FAME = Federal study of Adherence to Medications in the Elderly): JAMA 2006, 296, 2563. Link zur Quelle
  3. Viswanathan, M., et al.: Ann. Intern. Med. 2012, 157, 785. Link zur Quelle
  4. Choudhry, N.K., et al. (STIC2IT = Study of a Telepharmacy Intervention for Chronic Diseases to Improve Treatment adherence): JAMA Intern. Med. 2018, 178, 1182. Link zur Quelle
  5. AMB 2018, 52, 40DB01. Link zur Quelle