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Therapeutische Hypothermie nach kardiopulmonaler Reanimation bei vorausgegangener Asystolie oder pulsloser elektrischer Aktivität

Die Einleitung eines therapeutischen Hypothermie-Managements (TTM) mit moderat gesenkter Zieltemperatur von 32-36°C gilt heute in nationalen und internationalen Leitlinien als Standardtherapie für alle Patienten, die nach einem Herz-Kreislaufstillstand außerhalb der Klinik kardiopulmonal reanimiert (CPR) wurden und bei stationärer Aufnahme noch anhaltend komatös sind (1).

In Studien konnte das durch Hypoxie bedingte neurologische Defizit bei reanimierten Patienten durch das TTM im Vergleich zu nicht gekühlten Patienten reduziert werden (2). Ein günstiger Einfluss auf die 90-Tage-Letalität war aber nicht nachweisbar mit dem Umkehrschluss, dass die TTM wohl auch keinen nachteiligen Effekt auf die Letalität hat. Unklar und Gegenstand anhaltender Diskussionen ist jedoch, ob der bisher nur für Patienten mit Kammerflimmern gesicherte Vorteil der TTM auch auf Patienten mit nicht durch Elektroschock therapierbaren Rhythmusstörungen (Asystolie oder pulslose elektrische Aktivität: PEA) übertragbar ist (3-5). Wir haben darüber berichtet (6).

Die Prognose der Patienten mit Asystolie und PEA ist sehr schlecht: Nur 2-15% überleben mit gutem neurologischem Ergebnis (2, 7, 8), verglichen mit bis zu 65% bei defibrillierbarer Rhythmusstörung (9). Bei diesen Studienergebnissen ist zu bedenken, dass in manchen Ländern, z.B. in Skandinavien, schon Schüler in der Laienreanimation unterwiesen werden. Deshalb sind die guten Ergebnisse skandinavischer Studien nicht ohne weiteres auf Deutschland und Österreich übertragbar. Hier wird die Laienreanimation deutlich seltener durchgeführt. Auch für das Temperaturregime nach erfolgreicher CPR innerhalb der Klinik ist die Datenlage noch unzureichend.

In der gerade veröffentlichten offenen, randomisierten kontrollierten HYPERION-Studie aus Frankreich wurden ausschließlich Patienten nach CPR bei Asystolie oder PEA untersucht (10). Nach der Reanimation wurden sie für 24 Std. auf eine Zieltemperatur von 33°C gekühlt und mit Patienten mit therapeutischer Normothermie (Zieltemperatur: 37°C) verglichen. Primärer Endpunkt war das Überleben mit einem günstigen neurologischen Ergebnis nach 90 Tagen, d.h. einem Score von 1 oder 2 von maximal 5 auf der Cerebral Performance Category (CPC)-Skala, wobei höhere Werte ein schlechteres Ergebnis darstellen (11). Die Studie wurde überwiegend vom französischen Gesundheitsministerium finanziert.

Von Januar 2014 bis Januar 2018 wurden 581 von 2.723 Patienten nach CPR auf insgesamt 25 Intensivstationen in Frankreich eingeschlossen. Das Alter betrug im Median 62 Jahre. Die Patienten waren außerhalb (72,6%) oder innerhalb der Klinik (27,4%) reanimiert worden. Deutlich > 90% der Patienten hatten einen beobachteten Kreislaufstillstand, und bei > 70% wurde eine Laienreanimation durchgeführt. Die initiale Rhythmusstörung war bei annähernd 80% eine Asystolie, bei ca. 12% eine PEA. Die Hypoxiezeit (Zeit vom Kollaps bis zum Beginn der Wiederbelebung) durfte nicht länger als 10 Minuten gewesen sein. Patienten wurden von der Studie ausgeschlossen, wenn nicht innerhalb von 60 Minuten ein stabiler Kreislauf etabliert werden konnte oder wenn eine schwere hämodynamische Instabilität bestand, definiert als Noradrenalin- oder Adrenalin-Bedarf > 1 µg/kgKG/min. Die Studie war zwar offen, die Nachuntersuchung durch einen Psychologen, der alle Patienten beurteilte, war aber verblindet. Die Kühlung im Hypothermie-Kollektiv wurde im Median 16 Min. nach Studieneinschluss begonnen. Die TTM wurde über einen intravaskulären Kühlkatheter oder mittels von Kühlwasser durchströmten Rumpf- und Extremitätenmanschetten nach festgelegtem Protokoll durchgeführt und die Temperatur von 33 ± 0,5°C über 24 Std. aufrechterhalten. Die Aufwärmphase erfolgte mit einem maschinell gesteuerten Temperaturanstieg von 0,25 bis 0,5°C/Std. bis eine Zieltemperatur von 36,5-37,5°C erreicht wurde und die dann über weitere 24 Std gehalten wurde. Anschließend wurde die Sedierung reduziert. Im Normothermie-Kollektiv wurde die Temperatur der Patienten über 48 Std. im Bereich von 36,5-37,5°C gehalten und die Medikamente zur Sedierung gemäß ILCOR-Leitlinien nach 12 Std. abgesetzt (12).

Ergebnisse: Am Tag 90 hatten 29 von 284 Hypothermie-Patienten (10,2%) mit einem CPC-Score von 1 oder 2 überlebt im Vergleich zu 17 von 297 (5,7%) im Normothermie-Kollektiv (Differenz: 4,5%-Punkte, 95%-Konfidenzintervall: 0,1-8,9; p = 0,04). Die Letalität nach 90 Tagen (primärer Studienendpunkt) war in beiden Kollektiven annähernd gleich (81,3% vs. 83,2%), wobei bei > 60% der Patienten in beiden Kollektiven die maximale Intensivtherapie im Verlauf bei schlechter Prognose abgebrochen wurde. Die Number needed to treat (NNT), um unter Hypothermie mit einem CPC-Score von 1 bis 2 zu überleben, beträgt demnach 22.

Bei den sekundären Endpunkten, wie Letalität, Dauer der maschinellen Beatmung, Länge des Aufenthalts auf der Intensivstation bzw. in der Klinik, Infektionen und Blutungsereignisse, zeigten sich keine Unterschiede zwischen beiden Kollektiven. Das heißt auch, dass die Hypothermie-Behandlung selbst keine nachteiligen Effekte zu haben scheint.

Zwei frühere Studien hatten gute neurologische Ergebnisse gezeigt bei Patienten mit gezielter Hypothermie und defibrillierbarer initialer Rhythmusstörung (13, 14), nicht aber bei Patienten mit nicht defibrillierbarem Rhythmus (15). Reanimierte Patienten mit vorausgegangener Asystolie oder PEA haben aber das höchste Risiko für eine hypoxische Enzephalopathie und könnten theoretisch von der Hypothermie besonders profitieren.

Kritikwürdig ist, dass die Studie mit 584 Patienten relativ klein und die statistische Signifikanz grenzwertig ist. Die Autoren geben einen „fragility index“ von 1 an, d.h. wenn nur bei einem der neurologisch gut überlebenden Patienten in der Hypothermie-Gruppe das Behandlungsergebnis schlechter oder bei nur einem zusätzlichen Patienten in der Normothermie-Gruppe das Behandlungsergebnis gut gewesen wäre, dann wäre das Ergebnis statistisch nicht mehr signifikant unterschiedlich. Auch wurde das 90-Tage-Interview nur telefonisch durchgeführt und nicht in einem persönlichen Gespräch. Viele Patienten hatten nach Abschluss der TTM Fieber, was den Erfolg der TTM für kognitive Defizite vermutlich schmälert. Deshalb gilt: Fieber sollte in den ersten 72 Std. nach Wiederbelebung auf jeden Fall vermieden werden. Für eine zeitliche Verlängerung der TTM gibt es noch keine verlässlichen Daten.

Fazit: In der HYPERION-Studie bestätigt sich, dass auch reanimierte Patienten mit nicht defibrillierbarer Rhythmusstörung (Asystolie oder pulsloser elektrischer Aktivität) im Hinblick auf ein besseres neurologisches Ergebnis von einer milden therapeutischen Hypothermie um 33°C profitieren. Hinsichtlich der Zeit des Überlebens fanden sich jedoch keine Vorteile.

Literatur

  1. Nolan, J.P., et al.: Resuscitation 2015, 95, 202. Link zur Quelle
  2. Frydland, M., et al.: Resuscitation 2015, 89, 142. Link zur Quelle
  3. Testori, C., et al.: Resuscitation 2011, 82, 1162. Link zur Quelle
  4. Dumas, F., et al.: Circulation 2011, 123, 877. Link zur Quelle
  5. Mader, T.J., et al.: Ther. Hypothermia Temp. Manag. 2014, 4, 21. Link zur Quelle
  6. AMB 2015, 49, 94 Link zur Quelle . AMB 2015, 49, 93 Link zur Quelle . AMB 2015, 49, 09 Link zur Quelle . AMB 2002, 36, 53b. Link zur Quelle
  7. Bougouin, W., et al. (Paris-SDEC = ParisSudden Death Expertise Center): Intensive Care Med. 2014, 40, 846. Link zur Quelle
  8. Argaud, L., et al. (CYRUS = Cyclosporine A in out-of-hospital cardiac arrest resuscitation): JAMA Cardiol. 2016, 1, 557. Link zur Quelle
  9. Kirkegaard, H., et al. (TTH48 = Time-differentiated Therapeutic Hypothermia 48): JAMA 2017, 318, 341. Link zur Quelle
  10. Lascarrou, J.-B., et al. (HYPERION = Therapeutic hypothermia after cardiac arrest in non shockable rhythm): N. Engl. J. Med. 2019, 381, 2337. Link zur Quelle
  11. Becker, L.B., et al.: Circulation 2011, 124, 2158. Link zur Quelle
  12. Peberdy, M.A., et al.: Circulation 2010, 122 Suppl. 3, S768. Link zur Quelle
  13. Bernard, S.A., et al.: N. Engl. J. Med. 2002, 346, 557. Link zur Quelle
  14. The Hypothermia after Cardiac Arrest Study Group: N. Engl. J. Med. 2002, 346, 549. Link zur Quelle Erratum: N. Engl. J. Med. 2002, 346, 1756.
  15. Nielsen, N., et al.: N. Engl. J. Med. 2013, 369, 2197. Link zur Quelle