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Verbesserungswürdiges Management bei technischen Problemen mit Herzschrittmachern

Die Zahl der Herzschrittmacher-Aggregate, -Elektroden, -Funktionen, -Algorithmen und Nomenklaturen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Der Markt ist unüberschaubar, und eine Programmierung der Aggregate ohne Unterstützung des Herstellers kaum noch möglich. Die Leistungsfähigkeit und Komplexität der Systeme führen auch dazu, dass immer wieder Funktionsstörungen auftreten und Rückrufaktionen erforderlich werden. Durch viele derartige Vorfälle, auch bei anderen Medizinprodukten, ist die „Medical Device Safety” in den letzten Jahren mehr in das öffentliche Bewusstsein gerückt (vgl. 1).

Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA betreibt seit Mitte der 1990er Jahre, analog der europäischen Datenbank zu Nebenwirkungen von Arzneimitteln EudraVigilance, ein öffentlich zugängliches Register, in dem Einzelfallmeldungen mit medizinischen Geräten einsehbar sind (MAUDE-Database, „Manufacturer and User Facility Device Experience“; 2). In Deutschland sind auf der Seite „Risikoinformationen Medizinprodukte“ des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) alle bekannten Probleme mit aktiven und nicht aktiven Medizinprodukten sowie in-vitro-Diagnostika einzusehen. Dabei handelt es sich aber nur um eine Liste von Warnschreiben mit allgemeinen Beschreibungen der aufgetretenen technischen Probleme, ohne detaillierte Recherchemöglichkeit wie bei MAUDE oder EudraVigilance (3). Nach einer über 2 Jahre alten Statistik gingen im Jahre 2017 gut 14.000 Einzelfallmeldungen über technische Probleme mit medizinischen Devices beim BfArM ein; das entspricht einer Verdreifachung verglichen mit der vorausgegangenen Dekade. Insgesamt 77% der Meldungen kommen von den Herstellern und nur 16% von den Anwendern, die übrigen von Apotheken, Behörden, Patienten, Anwälten oder aus der Fachliteratur (4). Alle professionellen Anwender von Medizinprodukten sind, ebenso wie die Hersteller auch nach den Bestimmungen der Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung verpflichtet, alle „Funktionsstörungen, Ausfälle oder Änderungen der Merkmale oder der Leistung (…), die unmittelbar oder mittelbar zum Tod oder einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, eines Anwenders oder einer anderen Person geführt haben, geführt haben könnten oder führen könnten“ der Behörde zu melden (3).

Ärzte vom Minneapolis Heart Institut (MHI) haben nun ihre bemerkenswerten Erfahrungen mit einem Defekt bei einem komplexen Schrittmachersystem publiziert (5). Es handelt sich um einen Herzschrittmacher, der ab 2001 zur kardialen Resynchronisationstherapie bei Herzinsuffizienz eingesetzt wurde (InSynch III, Modell 8042). Bis zur Produktionseinstellung im Jahre 2011 hatten 96.800 Menschen diesen Schrittmacher erhalten.

Im November 2015 veröffentlichte die Firma eine Warnung wegen batteriebedingter plötzlicher Funktionsverluste. Angeblich waren bis dahin bei 30 Patienten batteriebedingte Probleme bemerkt worden (6). Zum Zeitpunkt dieser „Urgent Medical Device Correction“ trugen noch 22.000 Menschen einen InSynch III/8042, davon 9.300 US-Amerikaner. Der Hersteller schätzte die Wahrscheinlichkeit, dass ein Batterieproblem bei einem Träger auftritt, mit 0,16-0,6% ein und die Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene wegen dieser Fehlfunktion stirbt, mit 0,02-0,007%. Ein prophylaktischer Austausch wurde nicht empfohlen; bei Schrittmacher-abhängigen Patienten sollten das die behandelnden Ärzte nach einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung selbst entscheiden (6).

Am MHI hatten insgesamt 448 Patienten dieses Schrittmachermodell erhalten. Als die Probleme bekannt wurden, wurden noch 90 Patienten mit diesem Herzschrittmacher vom MHI nachbetreut. Die übrigen hatten zwischenzeitlich einen anderen Schrittmacher erhalten, wurden an einer anderen Stelle nachbetreut oder waren gestorben. Insgesamt 70 dieser Patienten waren vollständig von dem Schrittmacher abhängig, hatten also keinen suffizienten kardialen Eigenrhythmus. An Hand der Daten aus dem MAUDE-System konnten die Autoren rekonstruieren, dass die erste Batteriestörung bereits im April 2014 an die FDA gemeldet worden war, also 19 Monate vor dem Warnschreiben im November 2015. Der erste Batteriefehler fiel am MHI im Mai 2015 auf, also 7 Monate vor dem Warnschreiben. Bis zur offiziellen Information hatten 5 weitere schrittmacherabhängige Patienten am MIH ein oder mehrere klinische Ereignisse, die später vom Hersteller auf diesen Batteriefehler zurückgeführt wurden.

Ein Patient synkopierte während einer telemetrischen Schrittmacherabfrage, weil dieser plötzlich mit der Stimulation aufhörte. Ein zweiter Patient wurde wegen wiederholter Synkopen stationär aufgenommen. Auch bei diesem fiel während der Schrittmacherabfrage die Stimulation aus. Bei drei weiteren wurde der Funktionsfehler bei einer Schrittmacherabfrage entdeckt, ohne dass Symptome auftraten, und ein sechster Patient erlitt einen plötzlichen Herztod. Die Ursache hierfür blieb unklar, weil das Aggregat nicht überprüft wurde. Die Probleme mit diesem Schrittmachermodell waren im MIH also zum Zeitpunkt des Warnschreibens längst aufgefallen. Daher entschloss man sich, prophylaktisch alle InSynch III/8042 bei den schrittmacherabhängigen Patienten auszutauschen.

Insgesamt wurden der FDA 58 schwerwiegende Komplikationen im Zusammenhang mit diesem Schrittmachermodell gemeldet, 19 vor dem Warnschreiben und 39 danach. Darunter waren ein Todesfall, 2 Patienten mit Herzstillstand, 19 mit Synkopen, 7 mit Präsynkopen, 5 mit Asystolien und 24 Patienten mit einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz. Insgesamt 53 dieser Komplikationen (91%) wurden auf das Batterieproblem zurückgeführt und 3 (5%) auf ein wahrscheinlich damit assoziiertes Schaltkreisproblem. Wie viele Patienten nicht gemeldete Funktionsdefekte vor dem Jahr 2014 hatten, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Da es sich um ein Spontanmeldesystem handelt, ist eine höhere Zahl möglich.

Die Autoren kritisieren die Informationspolitik sowohl des Herstellers als auch der FDA. Die Warnung sei zu zögerlich gekommen und die Angaben zur Häufigkeit seien für eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung unbrauchbar gewesen. In den nach 2015 veröffentlichten Sicherheits-Updates des Herstellers seien die Häufigkeitsangaben auch nie korrigiert und die Anwender nicht darauf hingewiesen worden, dass die Fehlfunktion gehäuft während der telemetrischen Schrittmacherabfrage aufgetreten ist. Die FDA habe das Risiko als Klasse-II-Vorfall (Definition: keine unmittelbare Gefahr) fehleingeschätzt. Richtig wäre gewesen, dies als Klasse-I-Vorfall zu klassifizieren (Definition: signifikantes Risiko für Tod oder schwerwiegende Patientenschädigung). Daher fordern sie die Implementierung von Methoden zur schnelleren Erkennung und Kommunikation von bedeutsamen technischen Problemen mit Herzschrittmachern und anderen Medizinprodukten. Konkret werden prospektive Device-Register mit automatisierten Überwachungsalgorithmen vorgeschlagen. Wir erinnern daran, jedwede Fehlfunktion eines Medizinprodukts zu melden, am besten an die Aufsichtsbehörden (BfArM in Deutschland bzw. AGES in Österreich).

Die neue EU-Verordnung zu Medizinprodukten (Medical Device Regulation) wird hoffentlich die derzeit unbefriedigende Situation in der EU bei den Medizinprodukten wahrscheinlich verbessern (7). Die Vorgaben zur klinischen Bewertung und Prüfung medizinischer Geräte, Diagnostika und sog. Borderline-Produkten (u.a. aus dem Bereich der Informations- und Biotechnologie) werden darin viel detaillierter geregelt. Zudem soll die Überwachung der Medizingeräte nach der Zulassung (Post-Market-Surveillance) verbessert werden, u.a. mit Periodic Safety Update Reports (PSURs), wie bei den Arzneimitteln. Auch soll die europäische Medizinprodukte-Datenbank EUDAMED ausgeweitet und zumindest teilweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (8).

Fazit: Am Beispiel eines gefährlichen technischen Fehlers bei einem komplexen Herzschrittmachersystem wird klar, dass es bei Medizinprodukten Defizite gibt hinsichtlich der Device-Vigilanz und dem Management bei Sicherheitsproblemen.

Literatur

  1. AMB 2012, 46, 15b Link zur Quelle . AMB 2017, 51, 31. Link zur Quelle
  2. MAUDE Datenbank FDA: Link zur Quelle (Zugriff am 25.2.2020).
  3. Risikoinformationen Medizinprodukte des BfArM Link zur Quelle
  4. Meldestatistik zu Medizinprodukten (Stand 3.8.2017): Link zur Quelle (Zugriff am 25.2.2020).
  5. Rückrufschreiben Medtronic November 2015: Link zur Quelle (Zugriff am 25.2.2020).
  6. Sengupta, J., et al.: JAMA Intern. Med. 2020, 180, 198. Link zur Quelle
  7. https://www.ema.europa.eu/en/ documents/presentation/presentation- 22-medical-devices-vitro-medical-devices-zaide-frias_en.pdf Link zur Quelle
  8. https://ec.europa.eu/growth/sectors/medical-devices/ new-regulations/eudamed_en Link zur Quelle