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Weiterer Warnhinweis zu Fluorochinolonen: erhöhtes Risiko für Insuffizienz von Aorten- und Mitralklappe

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) berichten aktuell in einem Rote-Hand-Brief bzw. in einer Sicherheitsinformation über eine Warnung der Zulassungsinhaber vor einem erhöhten Risiko für Herzklappeninsuffizienz unter systemischer oder inhalativer Therapie mit Fluorochinolonen (FC; 1). Dies betrifft die in Deutschland zugelassenen FC Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin und Delafloxacin.

Die Information basiert auf einer kürzlich veröffentlichten epidemiologischen Studie aus Kanada (2), die zwei epidemiologische Analysen durchführte: Es wurden zunächst Daten aus dem Meldesystem für Nebenwirkungen der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) herangezogen. Die Zahl der als Nebenwirkungen gemeldeten, neu aufgetretenen Klappeninsuffizienzen im Zusammenhang mit FC-Einnahme wurden im Vergleich zu anderen Arzneimitteln in einer „Dysproportionalitätsanalyse” ermittelt. Es fand sich dabei für FC eine Odds Ratio (OR) von 1,45 (95%-Konfidenzintervall = CI: 1,20-1,77). Die zweite Analyse basiert auf einer Fall-Kontroll-Studie mit > 9 Mio. Patienten der US PharMetrics Plus Datenbank. Mittels einer speziellen statistischen Zuordnung („matched“, „nested“) wurde die Assoziation von Aortenklappen- oder Mitralklappeninsuffizienzen (AKI/MKI) mit der Einnahme von FC im Vergleich zu Amoxicillin bzw. Azithromycin untersucht. Die aktuelle FC-Einnahme (laufend oder bis 30 Tage vor der Diagnose AKI/MKI) zeigte dabei mit 2,25 (CI: 1,77-2,87) im Vergleich zu Amoxicillin das höchste relative Risiko (RR), gefolgt von der kürzlichen Einnahme (31 bis 60 Tage zuvor) mit RR 1,45 (CI: 1,06-1,99), während die vergangene Einnahme (61 bis 365 Tage zuvor) mit RR 1,03 (CI: 0,91-1,18) kein erhöhtes Risiko ergab.

Aus einer rein epidemiologisch beobachteten Assoziation ist zwar grundsätzlich kein kausaler Zusammenhang abzuleiten, jedoch deutet die zeitliche Korrelation auf eine Kausalität hin. Als pathogenetisch plausibel lassen sich diese Beobachtungen durchaus in eine Reihe bekannter Nebenwirkungen der Fluorochinolone einordnen, die auf einer extrazellulären Schädigung des Bindegewebes beruhen: Tendinopathien, Sehnenruptur, Aortopathie, Aortendissektion. Die Schädigung der extrazellulären Matrix resultiert dabei aus einer quantitativen und qualitativen Beeinträchtigung der Kollagenproduktion, mutmaßlich infolge von intrazellulärem oxidativem Stress mit Aktivierung von Metalloproteinasen. Betroffen ist Typ-I- und Typ-III-Kollagen, welches in Achillessehnen, Aorta und Aortenklappen vorhanden ist (4, 5).

Aufgrund dieser Nebenwirkungen hatte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) 2018 eine Anwendungsbeschränkung verfügt, über die wir berichtet haben (3). Seither wird empfohlen, FC generell nicht zur Prophylaxe sowie nicht zur Behandlung von leichten oder mittelschweren Infektionen einzusetzen, sofern eine Therapie mit anderen Antibiotika oder eine nicht antibiotische Therapie möglich ist. Bei den folgenden Patienten mit erhöhtem Risiko für Bindegewebsschwäche oder Aortendissektion sollten FC nur nach ganz besonders sorgfältiger Nutzen-Risiko-Bewertung eingesetzt werden:

  • ältere Patienten,

  • Patienten mit eingeschränkter Nieren- bzw. Leberfunktion,

  • organtransplantierte und immunsupprimierte Patienten, besonders unter Behandlung mit Glukokortikosteroiden,

  • Bindegewebserkrankungen, z.B. Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom.

Diese Liste wurde in den aktuell herausgegebenen Warnhinweisen um folgende Erkrankungen erweitert:

  • kongenitale und vorbestehende Herzklappenerkrankungen,

  • infektiöse Endokarditis,

  • Turner-Syndrom,

  • Morbus Behçet,

  • Hypertonie,

  • Rheumatoide Arthritis.

Fazit: Nachdem eine epidemiologische Studie statistische Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Aorten- und Mitralklappeninsuffizienz bis zu 3 Monate nach Fluorochinolon-Einnahme ergeben hat, wurden von Zulassungsinhabern und -behörden entsprechende Warnhinweise veröffentlicht. In Anbetracht einer Reihe potenziell schwerwiegender Nebenwirkungen mit Dauerfolgen, die sehr wahrscheinlich auf eine gestörte Kollagensynthese als einem gemeinsamen pathogenetischen Mechanismus zurückzuführen sind, sollte die Indikation für Fluorochinolone grundsätzlich zurückhaltend gestellt werden und auf schwerere Infektionen beschränkt bleiben. Insbesondere bei Risikopatienten (s.o.) ist eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung erforderlich.

Redaktionsschluss: 6.4.2021

Literatur

  1. https://www.bfarm.de/SharedDocs/ Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB /2020/rhb-fluorchinolone.pdf?__ blob=publicationFile&v=6 Link zur Quelle
  2. Etminan, M., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2019, 74, 1444. Link zur Quelle
  3. AMB 2018, 52, 36 Link zur Quelle . AMB 2018, 52, 87. Link zur Quelle
  4. Tsai, W.-C., et al.: J. Orthop. Res. 2011, 29, 67. Link zur Quelle
  5. Pouzaud, F., et al.: J. Pharmacol. Exp. Ther. 2004, 308, 394. Link zur Quelle