Wir hatten im Februar 2022 bereits über Paxlovid®, einen mit Ritonavir „geboosterten“ Proteaseinhibitor (Nirmatrelvir) berichtet. Er reduzierte in einer damals noch nicht publizierten klinischen Studie bei nicht hospitalisierten, ungeimpften Patienten mit COVID-19 – noch ohne schwere Symptome, aber mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf der Infektion – nach Einnahme über 5 Tage (300 mg Nirmatrelvir zweimal täglich plus 100 mg Ritonavir zweimal täglich) das Risiko für eine Behandlung im Krankenhaus und tödlichen Verlauf [1]. Inzwischen sind die Ergebnisse dieser randomisierten, kontrollierten klinischen Studie (RCT; Nirmatrelvir plus Ritonavir versus Plazebo) an 2.246 randomisierten, symptomatischen und nicht geimpften Patienten publiziert und auch graphisch dargestellt bzw. interpretiert worden [2].
Aktuell wurden jetzt im N. Engl. J. Med. Ergebnisse einer weiteren klinischen Studie zu Paxlovid® an insgesamt 3902 Patienten publiziert, die alle Mitglieder des „Clalit Health Services“ (CHS; israelischer Gesundheitsdienstleister) im Alter von ≥ 40 Jahren waren [3]. Voraussetzungen für den Einschluss in diese retrospektive Kohortenbeobachtungsstudie waren eine bestätigte Infektion mit SARS-CoV-2, die außerhalb des Krankenhauses erfolgte Diagnose von COVID-19 sowie die Einschätzung, dass es sich um Patienten mit einem hohen Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 handelte. Außerdem mussten sie für eine Behandlung mit Nirmatrelvir plus Ritonavir in Betracht kommen. Insgesamt 109.254 Patienten von 1.165.902 CHS-Mitgliedern erfüllten die zuvor genannten Kriterien, von denen 3.902 Nirmatrelvir (4%) erhielten (3). Das mittlere Alter der Studienpatienten betrug 60 Jahre; 39% der Patienten waren 65 Jahre alt oder jünger, und 60% waren Frauen. Als häufigste (relevante) Begleiterkrankungen wurden Adipositas, arterielle Hypertonie und Diabetes angegeben. Bei 78% der Patienten bestand eine Immunität durch zuvor erfolgte Impfung gegen SARS-CoV-2, Infektion mit SARS-CoV-2 oder beides (3).
Während die zuvor genannte, für die Zulassung von Paxlovid® relevante Studie während der Delta-Welle durchgeführt wurde (2), rekrutierte die israelische Studie Patienten ab Anfang Januar 2022 während der Omikron-Welle, da zu diesem Zeitpunkt von den „National Institutes of Health“ (NIH) darauf hingewiesen wurde, dass Ergebnisse zur Wirksamkeit von Nirmatrelvir nach Infektion mit der Omikron-Variante noch fehlten. In vitro Untersuchungen hatten allerdings bereits auch eine Hemmung dieser Variante durch Nirmatrelvir gezeigt (3).
Aufgrund des eindeutigen Zusammenhangs zwischen den beiden ausgewerteten Altersgruppen (40-64 Jahre bzw. ≥ 65 Jahre) wurden die Ergebnisse zur Wirksamkeit der antiviralen Therapie mit Paxlovid® für diese Altersgruppen separat ausgewertet (3). Bei den Patienten ≥ 65 Jahre erfolgte eine Hospitalisierung aufgrund von COVID-19 bei 11 behandelten Patienten (14,7 Fälle per 100.000 Personentage) und bei 766 nicht behandelten Patienten (58,9 Fälle pro 100.000 Personentage). Die entsprechenden Zahlen für die 66.433 Patienten im Alter zwischen 40 und 64 Jahre hinsichtlich einer Hospitalisierung infolge von COVID-19 waren 7 behandelte Patienten (15,2 Fälle pro 100.000 Personentage) und 327 unbehandelte Patienten (15,8 Fälle pro 100.000 Personentage). Subgruppenanalysen ergaben – nicht überraschend –, dass in erster Linie Patienten im Alter von ≥ 65 Jahren von einer medikamentösen Therapie mit Paxlovid® profitierten, da sie nicht im Krankenhaus behandelt werden mussten bzw. nicht an COVID-19 starben (3). Dieser positive Effekt war unabhängig davon, ob bereits eine Immunität gegen SARS-CoV-2 (infolge Impfung oder Infektion mit SARS-CoV-2) bestand. Ein eindeutiger Nutzen der antiviralen Therapie konnte für die Gruppe der jüngeren Patienten im Alter von 40-64 Jahren jedoch nicht gezeigt werden, und zwar weder in Bezug auf eine Hospitalisierung noch Tod nach Infektion mit SARS-CoV-2.
Ein Unterschied hinsichtlich der Wirksamkeit von Paxlovid® fand sich zuvor bereits in Subgruppenanalysen der EPIC-HR-Studie (2), wobei die Hospitalisierungsrate infolge von COVID-19 allerdings in der israelischen Studie mit dominierender Omikron-Variante deutlich niedriger war als während der Delta-Welle (3). Eine gründliche Auswertung der Nebenwirkungen bzw. Sicherheit von Paxlovid® erfolgte in dieser israelischen Studie nicht und die Autoren betonen deshalb zu Recht, dass sowohl die kurzfristige als auch langfristige Sicherheit von Paxlovid® unter „real-world“ Bedingungen unbedingt weiter untersucht werden sollte (3).
Im August 2022 sind u.a. vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG), dem deutschen ExpertInnenrat zum Einsatz antiviraler Medikamente gegen COVID-19, der Kassenärztlichen Vereinigung und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Stellungnahmen zum Einsatz von Paxlovid® und Informationen (z.B. Gebrauchs- und Fachinformation) online zur Verfügung gestellt worden [4], [5], [6]). Sinnvoll sind sicher die Empfehlungen in der 12. Stellungnahme des deutschen ExpertInnenrats zum Einsatz antiviraler Medikamente gegen COVID-19 und die Ratschläge hinsichtlich der Verbesserung der Information, Kommunikation und Applikation dieser Medikamente (4). Viele hat jedoch die Ankündigung des Bundesministeriums für Gesundheit überrascht und auch irritiert, dass für den Aufwand im Zusammenhang mit der Abgabe von Paxlovid® Ärztinnen und Ärzte eine Vergütung bis Ende September in Höhe von 15 € je abgegebener Packung erhalten sollen [7], [8]. Ob dieser finanzielle Anreiz eine rationale Verordnung von Paxlovid® verbessern wird, muss allerdings bezweifelt werden.