Wenn ältere Menschen wegen einer Schenkelhalsfraktur operiert werden müssen, stellt sich die Frage, ob dies in Spinalanästhesie oder Allgemeinnarkose erfolgen soll. Nach Ergebnissen einiger Beobachtungsstudien hat sich der Eindruck erhärtet, dass die Spinalanästhesie verträglicher ist und weniger Komplikationen verursacht, wie beispielsweise das postoperative Delir (vgl. [1]). Randomisierte kontrollierte Studien zu dieser Frage kamen bisher jedoch zu widersprüchlichen Ergebnissen und liegen größtenteils schon > 30 Jahre zurück.
Die nordamerikanische REGAIN-Studiengruppe führte nun eine große, randomisierte multizentrische Studie (RCT) durch, die im November 2021 im N. Engl. J. Med. veröffentlicht wurde [2]. Die Studienhypothese lautete, dass eine Spinalanästhesie im Vergleich zu einer Allgemeinnarkose bei älteren Menschen mit Hüftfraktur innerhalb von 60 Tagen nach der Operation zu weniger Todesfällen führt und zu einer besseren Gehfähigkeit. Die Studie wurde ohne Unterstützung von der Industrie durchgeführt und mit den Mitteln einer „Non-Profit-Organisation“ finanziert. Das „Patient-Centered Outcomes Research Institute“ hat vom US-amerikanischen Kongress die Aufgabe erhalten, klinische Forschung zu fördern, die für Patienten und ihre Angehörigen bedeutsam ist, aber von den gegenwärtigen Forschungsinitiativen nicht abgedeckt wird [3].
Studiendesign: Eingeschlossen wurden Erwachsene > 50 Jahre, die vor der Hüftfraktur ohne Hilfe gehen konnten. Sie mussten eine Femurkopf-, intertrochantäre oder subtrochantäre Fraktur haben und sollten operiert werden. Ausgeschlossen waren u.a. Patienten mit Kontraindikationen gegen eine Spinalanästhesie oder Allgemeinnarkose, mit einer Prothesenfraktur oder einer kritischen Aortenstenose. Patienten, die in die Studie einwilligten, wurden blockweise zentral randomisiert in Gruppen nach dem teilnehmenden Krankenhaus, dem Geschlecht sowie der Frakturlokalisation. Die Anästhesie erfolgte durch das lokale Anästhesiepersonal, nach den jeweilig geltenden Standards.
Patienten, die für die Spinalanästhesie randomisiert wurden, erhielten bedarfsweise eine Sedierung. Diese wurde mit der sog. OAAS-Skala gesteuert („Observer Assessment of Alertness/Sedation Scale“: 1-5 Punkte, wobei 1 Bewusstlosigkeit bedeutet, 2 eine Reaktion nach Anstoßen oder leichtem Schütteln und 5 vollständige Wachheit). Patienten, die einer Vollnarkose zugewiesen wurden, sollten eine Inhalationsnarkose mit Beatmung erhalten. Die Auswahl von Beatmungsmodalität und Narkotikum oblag den lokalen Anästhesieteams. Die Patienten wurden kurz vor der Operation über die zugeloste Anästhesieform informiert. Ein „Cross-Over“ war in begründeten Fällen erlaubt.
Primärer Studienendpunkt war eine Kombination aus Tod oder die Unfähigkeit, 3 Meter ohne Hilfe gehen zu können, jeweils nach 60 Tagen. Der Status wurde mittels Telefoninterviews ermittelt. Zu den sekundären Endpunkten zählten u.a. die Krankenhausverweildauer und das Auftreten eines postoperativen Delirs. Dies wurde mit der sog. „Confusion Assessment Method“ (CAM) gemessen, bei der vier Merkmale geprüft werden: 1. Beginn und Verlauf, 2. Unaufmerksamkeitsgrad, 3. desorganisiertes Denken und 4. veränderte Bewusstseinslage.
Ergebnisse: Zwischen Februar 2016 und 2021 wurden an 46 Krankenhäusern in den USA und Kanada über 22.000 Patienten gescreent. Knapp 13.000 erfüllten nicht die Einschlusskriterien oder hatten Ausschlusskriterien, wie beispielsweise eine orale Antikoagulation. Rund 3.600 Personen bzw. ihre Betreuer gaben keine Einwilligung zur Studie und bei 2.660 Patienten gab es organisatorische Gründe, sie nicht einzuschließen. Letztlich konnten 1.600 Patienten randomisiert werden, also nur 7% aller Gescreenten. 795 erhielten eine Spinalanästhesie und 805 eine Allgemeinnarkose. Das Durchschnittsalter betrug 78 Jahre, 27% waren ≥ 85 Jahre alt. 33% waren Männer und 91% lebten bei sich zu Hause. Die Komorbiditäten waren in beiden Studienarmen gleich verteilt. Das Operationsrisiko wurde nach ASA („American Society of Anesthesiologists Physical Status“ I-IV) bei 2,6% mit Status I bestimmt (gesund, geringes OP-Risiko), bei 32% mit Status II, bei 60% mit III und bei 5,5% mit IV (lebensbedrohlicher Zustand, hohes OP-Risiko). Bei 13% bestand bereits vor der Operation ein Delir.
Von den 795 Patienten, die einer Spinalanästhesie zugelost wurden, erhielten 119 (15%) doch eine Vollnarkose, meist weil die Spinalanästhesie technisch nicht möglich war oder die behandelnden Ärzte dies so anordneten. Bei 502 Patienten lagen Informationen zur Sedierungstiefe während der Spinalanästhesie vor: 85% hatten einen OAAS-Score zwischen 2-5, 14% waren tief sediert. Zur Sedierung wurden verwendet: bei 87% Propofol (mittlere Dosis 150 mg), bei 64% Fentanyl (mittlere Dosis 75 µg), bei 44% Midazolam (mittlere Dosis 2 mg) und bei 23% Ketamin (mittlere Dosis 20 mg).
Von den 805 Patienten, die einer Vollnarkose zugewiesen wurden, erhielten 3,5% eine Spinalanästhesie, meist auf Wunsch der behandelnden Ärzte. Neben den Inhalationsnarkotika erhielten 97% Propofol (mittlere Dosis 120 mg), 90,5% Fentanyl (mittlere Dosis 125 µg), 25,8% Midazolam (mittlere Dosis 2 mg) und 16% Ketamin (mittlere Dosis 20 mg). Die Anästhesiezeit betrug in beiden Behandlungsarmen im Median 132 Minuten.
In die Intention-to-treat-Analyse gingen Endpunktdaten von 1.445 Patienten ein (90,4% der Randomisierten). Ein primäres Endpunktereignis (Tod oder Unfähigkeit, selbstständig zu gehen innerhalb von 60 Tagen nach OP) trat nach Spinalanästhesie bei 132 von 712 Patienten auf (18,5%) und nach Vollnarkose bei 132 von 733 Patienten (18,0%). Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant (Relatives Risiko = RR: 1,03; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,83-1,28). Die Einzelereignisse unterschieden sich ebenfalls nicht signifikant: Tod 3,9% vs. 4,1% (RR: 0,97) bzw. Unfähigkeit, ohne Hilfe zu gehen: 15,2% vs. 14,4% (RR: 1,06). Ein neues postoperatives Delir wurde bei 20,5% bzw. 19,7% diagnostiziert (RR: 1,04). Auch gab es keine Unterschiede bei der medianen Krankenhausverweildauer: in Kanada jeweils 6 Tage und in den USA 3 Tage. In einer Analyse von Subgruppen wurden die Auswirkungen der Anästhesieart bei Patienten ≥ 85 Jahre mit denen bei jüngeren Patienten verglichen. Es fanden sich – bei sehr deutlichem Unterschied in der Häufigkeit des primären Endpunkts in den beiden Altersklassen – keine statistischen Unterschiede hinsichtlich Spinal- bzw. Allgemeinnarkose (< 85 Jahre: 12,4% vs. 13,4% bzw. ≥ 85 Jahre: 34,0% vs. 27,8%).
Unerwünschte Ereignisse waren insgesamt selten. Einzelne Ereignisse wurden etwas häufiger nach Allgemeinnarkose beobachtet: akute Verschlechterung der Nierenfunktion (4,5% vs. 7,6%) und postoperative Intensivbehandlung (2,3% vs. 3,7%).
Die Autoren schlussfolgern, dass sich die beiden untersuchten Anästhesieverfahren bei älteren Menschen mit Hüftfrakturen hinsichtlich Verträglichkeit und Gehfähigkeit nach der Operation nicht unterscheiden und dass die Anästhesie daher nach Patientenpräferenz gewählt werden kann. In dem begleitenden Editorial wird jedoch davor gewarnt, die Fragestellung als abschließend geklärt anzusehen [4]. Es wird auf einige wichtige Einschränkungen hinsichtlich der Aussagekraft der REGAIN-Studie hingewiesen, wie die starke Patientenselektion und die „Cross-Over“-Quote von 15% in die Spinalanästhesie-Gruppe. Daher sei eine Verallgemeinerung der Ergebnisse nicht zulässig. Es sollten die Ergebnisse zweier laufender Studien mit einer ähnlichen Fragestellung abgewartet werden: RAGA-delirium [5] und iHope [6]. Allerdings sollte die REGAIN-Studie dazu führen, festgefahrene Bedenken hinsichtlich einer Vollnarkose bei älteren Patienten zu überdenken.
Die RAGA-delirium-Studie ist inzwischen publiziert worden [5]. Sie untersuchte die Häufigkeit des postoperativen Delirs bei Patienten im Alter von ≥ 60 Jahren (mittleres Alter: 76,5 Jahre, 26,8% Männer) mit Hüftfraktur, die sich einer Operation unterziehen mussten. Es wurden auch hier zwei Anästhesieverfahren verglichen: regionale Anästhesie (spinale oder epidurale oder beide kombiniert) ohne Sedierung (n = 476) mit genereller Anästhesie (i.v., inhalativ bzw. kombiniert; n = 474). Die Häufigkeit und der Schweregrad postoperativ auftretender Delire war nicht unterschiedlich: bei 6,2% vs. 5,1% der Patienten (nicht adjustiertes RR: 1,2; CI: 0,7-2,0; p = 0,57). Die Dauer des Krankenhausaufenthalts betrug in beiden Gruppen 7 Tage und die Mortalität 1,7% vs. 0,9%.