Die Achondroplasie ist die häufigste Form des genetisch bedingten Kleinwuchses [1] [2]. In der EU werden schätzungsweise jedes Jahr 350 Kinder mit dieser Erkrankung geboren. Sie wird autosomal dominant vererbt, ist aber zu 80% bedingt durch eine Neumutation. Ursache der Achondroplasie ist meist eine „Gain-of-Function“-Mutation im Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptor-Gen FGFR-3 („Fibroblast Growth Factor Receptor 3“). Dadurch wird die enchondrale Ossifikation, bei der Knorpel in Knochen umgewandelt wird, stimuliert. Es resultiert eine frühzeitige Verknöcherung des Knorpels und dadurch eine Hemmung des Knochenwachstums. Dies führt zum charakteristischen dysproportionalen Kleinwuchs bei Achondroplasie mit stark verkürzten Extremitäten bei normaler Rumpflänge sowie Makrozephalie. Die endgültige Körpergröße im Erwachsenenalter liegt in der Regel zwischen 120 und 135 cm. Die Therapie zielte bisher ab auf die symptomatische Behandlung von Komplikationen, darunter obstruktive Schlafapnoe, Mittelohr-Dysfunktion, Kyphose und Spinalkanal-Stenose.
Im August 2021 wurde mit Vosoritid (Voxzogo®) erstmals ein Arzneimittel zugelassen, das sich gegen die Ursache der Achondroplasie richtet [3] [4]. Vosoritid ist ein modifiziertes natriuretisches Peptid vom Typ C (CNP). CNP bindet an den sogenannten Rezeptor B für natriuretische Peptide (NPR-B) auf der Oberfläche von Chondrozyten. Dadurch wird der nachgeschaltete FGFR-3-Signalweg antagonisiert. Wie CNP wirkt Vosoritid als positiver Regulator des endochondralen Knochenwachstums, da es die Proliferation und Differenzierung von Chondrozyten fördert. Vosoritid ist als Arzneimittel zur Behandlung eines seltenen Leidens („orphan drug“) zugelassen für Patienten ab zwei Jahren mit einer Achondroplasie, bei denen die Epiphysen noch nicht geschlossen sind. Die Behandlung soll so lange fortgeführt werden, bis kein weiteres Wachstumspotenzial mehr besteht. Dies zeigt sich durch eine Wachstumsgeschwindigkeit von < 1,5 cm/Jahr und dem Schließen der Epiphysen.
Grundlage der Zulassung ist u.a. eine Phase-III-Studie, die in 24 Krankenhäusern in sieben Ländern durchgeführt wurde [3] [4] [5]. Nach Randomisierung wurden 121 Kinder mit Achondroplasie im Alter von 5 bis < 18 Jahren über 52 Wochen entweder mit Vosoritid 15 μg/kg subkutan täglich behandelt oder mit Plazebo. Vor der Randomisierung nahmen alle Patienten über mindestens sechs Monate an einer Beobachtungsstudie teil, bei der die Stehhöhe und andere Wachstumsuntersuchungen vor der Behandlung erfasst wurden. Der 52-wöchigen Behandlungsphase folgte eine offen durchgeführte Verlängerungsstudie, bei der alle Patienten Vosoritid erhielten. Primärer Endpunkt zur Beurteilung der Wirksamkeit von Vosoritid war die Veränderung der jährlichen Wachstumsgeschwindigkeit („Annualised Growth Velocity“ = AGV) in Woche 52 gegenüber dem „Baseline“-Wert im Vergleich zu Plazebo.
Die mit Vosoritid behandelten Patienten zeigten im Vergleich zu den Patienten in der Plazebogruppe eine größere Zunahme der mittleren AGV (mittlere Differenz 1,57 cm/Jahr, 95%-Konfidenzintervall: 1,22-1,93; p < 0,0001). Dies bedeutet, dass ein wesentlicher Teil des geschätzten Defizits von 2 cm/Jahr ausgeglichen wird, das zwischen Kindern mit Achondroplasie und Kindern mit normalem Wachstum in dieser Altersgruppe besteht. Der Nutzen einer AGV-Verbesserung zugunsten Vosoritid war über alle vordefinierten Untergruppen konsistent, einschließlich Geschlecht, Altersgruppe, Tanner-Stadium (Stadien der körperlichen Entwicklungsmerkmale) und Baseline-AGV. Der Anstieg des Wachstums erfolgte proportional sowohl an der Wirbelsäule als auch an den unteren Extremitäten. Bei Patienten, die bis zu 5 Jahre mit Vosoritid behandelt wurden, zeigte sich eine kumulative Verbesserung der Stehhöhe von über 9 cm im Vergleich zu einer historischen Kontrollgruppe. Dies deutet daraufhin, dass die wachstumsfördernde Wirkung von Vosoritid über die Zeit erhalten bleibt. Erste Daten bei Kindern im Alter von 2 bis < 5 Jahren aus derzeit durchgeführten Studien sprechen für eine Wirksamkeit von Vosoritid auch in dieser Altersgruppe.
Als häufigste Nebenwirkungen bei Vosoritid wurden Reaktionen an der Injektionsstelle, Erbrechen und Blutdruckabfall beobachtet. Schwere Nebenwirkungen traten nicht auf.
In der Nutzenbewertung von neuen Arzneimitteln stellte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für Vosoritid einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen fest [6]. Grund für diese Bewertung war u.a., dass sich für Vosoritid im Vergleich zu Plazebo zwar ein Vorteil beim Endpunkt Körpergröße zeige, aber Unsicherheit bestehe, ob der positive Effekt über einen längeren Zeitraum beibehalten wird. Die Jahrestherapiekosten pro Patient betragen ca. 325.000 €.