Es erstaunt angesichts der unüberschaubar vielen medizinischen Publikationen immer wieder, dass einfache, aber wichtige Fragen wenig bearbeitet werden und teilweise unbeantwortet bleiben. Beispielsweise empfehlen die Richtlinien der „European Food Safety Authority“ bei Gesunden als adäquate tägliche gesamte Wasserzufuhr (Trinkmenge plus Wasser aus Nahrungsmitteln) für Männer 2,5 l und für Frauen 2,0 l bei normaler Umgebungstemperatur und moderater körperlicher Aktivität [1]. Das soll generell auch für Ältere gelten, obwohl bekanntermaßen die Ausscheidungsfähigkeit der Nieren – gemessen an der errechneten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) sowie der Fähigkeit, den Urin zu konzentrieren bzw. zu verdünnen – schon physiologisch im Laufe des Lebens erheblich abnehmen.
Klinisch ist also eine Antwort auf die Frage nach der optimalen/adäquaten Wasserzufuhr bei Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen bzw. deutlich eingeschränkter Nierenfunktion bedeutsam. Richtlinien zum Management bei chronischer Niereninsuffizienz geben entweder keine speziellen Empfehlungen dazu oder differieren von 1,5 l/d mit individueller Anpassung an den Durst und die Menge der Urinausscheidung bis generell 3 l/d für Männer und 2,2 l für Frauen ([2], [3], [4]).
Studien in der Allgemeinbevölkerung haben gezeigt, dass bei Menschen mit höherer Wasserzufuhr die Prävalenz chronischer Nierenerkrankungen niedriger und die Abnahme der eGFR im Laufe der Jahre geringer war ([5], [6], [7]); das hat möglicherweise zur verbreiteten, aber pathophysiologisch naiven Vorstellung beigetragen, es sei günstig, die „Nieren zu spülen“. Eine Studie der MDRD („Modification of Diet in Renal Disease“)-Gruppe ergab dagegen, dass ein großes Urinvolumen (hier > 2,85 l/d) bzw. eine niedrige Urin-Osmolarität bei Patienten mit polyzystischer Nierenerkrankung und Niereninsuffizienz mit einer rascheren Progredienz der Niereninsuffizienz assoziiert war [8]. In einer anderen Untersuchung wurden Patienten mit Niereninsuffizienz (eGFR 30-60 ml/1,73 m2/min) angehalten, zusätzlich zu ihrer üblichen Trinkmenge 1-1,5 l/d Wasser zu trinken. Nach einem Jahr ergaben sich hinsichtlich der Abnahme der Nierenfunktion keine Vorteile gegenüber denen, die bei ihrer gewohnten Trinkmenge bleiben sollten [9].
Dass die Beziehung zwischen Flüssigkeitszufuhr und Progredienz einer bestehenden Niereninsuffizienz offenbar nicht linear ist und damit auch die Empfehlungen zur adäquaten/optimalen Trinkmenge nicht ganz einfach auszusprechen sind, haben größere Studien gezeigt, in denen die Urinosmolarität gemessen wurde (hier möglicherweise ein Surrogat für die Wasserzufuhr und die Fähigkeit, den Urin zu konzentrieren bzw. zu verdünnen). Dabei ergab sich, dass sowohl eine niedrige ([10], [11]) als auch höhere (8, [12], [13]) Osmolarität mit einer schnelleren Abnahme der eGFR assoziiert war.
Wegen der scheinbar widersprüchlichen Ergebnisse hat sich die renommierte französische Arbeitsgruppe „CKD REIN“ näher mit dem Thema der optimalen Trinkmenge bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz hinsichtlich des Fortschreitens in das nierenersatzpflichtige Stadium (Nierenversagen) befasst. In dieser Beobachtungsstudie wurde neben der jährlichen Abnahme der eGFR auch die Urinosmolarität als Messgröße der Nierenleistung herangezogen [14].
Methodik: Insgesamt wurden 1.265 Patienten der CKD-REIN-Kohorte aus 40 nephrologischen Zentren (Jahre 2013-2019) mit chronischen Nierenerkrankungen eingeschlossen. Die mittlere errechnete GFR betrug zu Beginn 32 ml/min/1,73 m2 (15-60 ml/min/1,73 m2) und das mediane Alter 69 Jahre. Zu Beginn wurde in Interviews die Flüssigkeitszufuhr ermittelt; außerdem wurde das 24-Stunden-Urinvolumen gemessen sowie die GFR und die Osmolarität im Urin nach einer etablierten Formel errechnet [15]. Mittels eines COX-Regressionsmodells sowie auch gemischter linearer statistischer Methoden wurden Hazard Ratios (HR) und die 95%-Konfidenzintervalle (CI) hinsichtlich der Beziehung zwischen Trinkmenge und Fortschreiten in das Stadium des Nierenversagens sowie der jährlichen Abnahme der eGFR („slope“) ermittelt.
Ergebnisse: Zu Beginn betrug die Menge des gesamten täglich zugeführten Wassers in der Kohorte im Median 2,0 l (IQR: 1,6-2,6 l), die reine Wasserzufuhr 1,5 l (IQR: 1,0-1,7 l) und das Urinvolumen 1,9 l (IQR: 1,6-2,4). Die mittlere Urinosmolarität wurde mit 374 ± 104 mosm/l errechnet und die mittlere Ausscheidung osmotisch wirksamer Bestandteile mit 691 mosm/d (ein Maß für die renale Belastung mit harnpflichtigen Substanzen). Die klinisch besonders bedeutsamen statistischen Beziehungen zwischen den Gruppen unterschiedlicher Trinkmengen („plain water“), dem Fortschreiten in das Stadium des Nierenversagens während der 3-jährigen Beobachtung (mehrere Messungen) sowie der jährlichen Abnahme der eGFR sind in Tab. 1 wiedergegeben. Dabei wurden die nach verschiedenen Parametern adjustierten HR gegenüber der als Referenz (HR = 1,0) angenommenen Trinkmenge von 1,0-1,5 l errechnet. Es ergibt sich bei der Darstellung der Ergebnisse im Diagramm eine U-förmige Beziehung, d.h. Trinkmengen von unter 1,0 l/d und über 1,5 l/d sind beide mit einem ungünstigeren Verlauf hinsichtlich der Zunahme der Niereninsuffizienz assoziiert. Eine ähnliche Beziehung ergab sich auch zwischen dem Urinvolumen/24 h und dem Fortschreiten in das Nierenversagen, wobei hier die U-förmige Kurve die Referenzlinie (HR: 1,0) bei ca. 1,6 l/d und 3,2 l/d schneidet. In diesem Bereich der täglichen Urinmenge ist also ein optimaler Risikobereich anzunehmen oder anders formuliert: Es scheint günstig zu sein, wenn die Niere nicht zu stark gefordert wird, den Urin konzentrieren oder verdünnen zu müssen. Die Studie hat trotz der plausiblen Methodik einige Schwächen, die auch von den Autoren erwähnt werden. Dazu gehört, dass diese Beobachtungsstudie keine verlässlichen Aussagen zu kausalen Beziehungen machen kann. Außerdem wurden die Angaben zur täglichen Trinkmenge nur einmal zu Beginn der Studie erhoben. Das könnte sich je nach Temperatur und Durstgefühl im Laufe des längeren Beobachtungszeitraums durchaus geändert haben. Möglicherweise haben auch unterschiedliche Nierenerkrankungen die Ergebnisse beeinflusst.